54. Vertrau mir

471 55 11
                                    


„Hanna!", rief jemand leise, aber laut genug, dass ich davon wach wurde. Jemand kniete neben mir, es war stockdunkel, sodass ich meine eigene Hand vor Augen nicht sah, ich spürte lediglich die Anwesenheit der anderen Person. „Hanna, steh auf", sprach sie weiter und legte ihre Hand auf meine Schulter, um mich sanft zu schütteln. „Lass mich", murmelte ich und setzte mich schließlich auf. Sofort verschwand das fremde Körperteil, als es seinen Dienst getan hatte. „Was machst du hier?" Endlich erkannte ich die Stimme. Sofort brachte ich Abstand zwischen uns. „Warum bist du hier, Fred?", giftete ich zurück. Er ignorierte meine Frage. „Ist alles in Ordnung?" „Ja". Ich fühlte mich erschöpft und kalt, Leere hatte meine Seele ergriffen. Doch inzwischen hatte ich mich fast an dieses Gefühl gewöhnt.

Der schwarze Ritter blieb still. Ich hörte nicht einmal mehr etwas von ihm, er schien wie verschwunden. „Fred?", fragte ich leise. Er schien meine Gedanken gelesen zu haben: „Ich bin noch da", meldete er sich zu Wort. „Warum bist du hier?", wiederholte ich etwas ruhiger, auch wenn ich immer noch unglaublich wütend auf ihn war. „Weil... die suchen dich, wir sollten zurück zu den Anderen", wich er aus und ich hörte es rascheln, als er nach meinem Handgelenk griff. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, hatte er mich schon auf die Beine gezogen. Ich riss mich von ihm los. „Dir macht es auch nichts aus, wie es mir geht, oder? Vermutlich lachst du mich hinter meinem Rücken noch aus und amüsierst dich mit Vito darüber, dass ich nichts mehr auf die Reihe kriege... Geh einfach. Ich finde den Weg schon selber", fauchte ich ihn an. Es war gelogen, ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand, aber dann würde ich hier halt bis morgen warten. Wenn es hell werden wird, würde ich schon meinen Weg finden.

„Ich würde dich niemals auslachen", meinte er nur sanft, aber startete keinen weiteren Versuch, mich mit sich zu ziehen. „Hör zu, es tut mir leid... Ich wünschte, ich könnte dem Theater auch schon früher ein Ende setzen. Auch wenn es den Anschein macht, weder Jovito noch ich sind in diesem Spiel die Bösen", erklärte er bemüht in einem ruhigen Tonfall. Ich begann zu zittern, meine wütende Fassade bröckelte und ich ließ die Erschöpfung wieder nach mir greifen. „Wer dann?" Es war eine einfache Frage, hinter der meine gesamte Hoffnung steckte. Wenn ich in diesem Spiel, in dem ich offensichtlich nur eine Figur war, den Bösen eliminieren würde, dann konnte ich es sicherlich beenden. Ich hatte schon einmal etwas Böses umgebracht, so schwer konnte es mir ja nicht fallen. Bei der Erinnerung daran zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Menschen umbringen, ja das schien mir offensichtlich nicht schwer zu fallen.

„Es gibt keinen Bösen", gab er mir die wohl unbefriedigtste Antwort, die ich bekommen konnte. Frustriert gab ich auf. „Dann sag du mir doch, was ich noch machen soll. Anscheinend weißt du ja alles!" „Ich könnte dir alles sagen und doch würde es nichts bringen. Du würdest es nicht verstehen. Selbst ich habe es erst spät gesehen. Beinahe zu spät. Du wirst mir vermutlich nicht mehr vertrauen, ich sehe ein, dass ich bereits da erneut versagt habe. Aber ich kann dich nur bitten, mir eine Chance zu geben und es dir langsam zu zeigen" Sein Tonfall war immer noch gelassen und er versuchte Ruhe auszustrahlen, so sehr, dass ich davon beinahe aggressiv wurde. Und doch wollte ich andererseits ihm Folge leisten, ihm bedingungslos vertrauen und mein Leben in seine Hände legen. Über diesem Gefühlschaos in mir lag seine spürbare Präsenz, die so erwachsen und stoisch kontrolliert wirkte. Ich haderte mit mir selbst. Einerseits wusste ich, dass er mich nicht anlog und dass er sicherlich seine Gründe hatte, rein rational gesehen musste ich ihm Folge leisten. Ich wusste irgendwo tief in mir, dass er Recht hatte. Nicht, weil ich Beweise hatte, sondern weil Fred diese Ausstrahlung hatte, dass alles gut werden würde. Was machte er bloß mit mir? War er überhaupt gut, wie er es selbst sagte?

„Wer bist du?", flüsterte ich in die Dunkelheit. Er blieb still. Ich wusste nicht, ob er mir keine Antwort geben wollte oder ob er es nicht konnte. Nach einer Weile des Überlegens spürte ich plötzlich seine wieder Hand an meiner Schulter. Überrascht realisierte ich diese Berührung, es war selten, dass er das tat. Fred war ein so zurückgezogener Mensch, dass er menschlichen Kontakt zum größten Teil vermied, fast sogar zu hassen schien. Wenn es von ihm ausging, war das etwas Besonderes und ich wusste das, sodass ich ganz ruhig stehen blieb. Dann kam er näher und zog mich in seine Arme. Tröstend umfing mich seine Aura und ich blieb wie erstarrt stehen. Es war keine menschliche, herzliche Umarmung, wie ich sie von Marion kannte, sondern steif und unbeholfen. Es fiel ihm schwer, so viel Kontakt und umso mehr wunderte es mich, dass er es tat. Erst nach einem kurzen Moment entspannte er sich und verwandelte die Umarmung in etwas Väterliches, Tröstliches. „Das möchte ich dir noch nicht sagen, aber ich glaube, es bringt nichts dir vorzumachen, dass ich ein Mensch bin" Er löste sich von mir und die Kälte der Nacht umfing mich wieder, doch ein Hauch seiner Aura blieb an mir haften und war wie eine beruhigende Droge für mich. Ich kannte es, irgendwo hatte ich das schon mehr als einmal gespürt, doch ich konnte es nicht zuordnen. Es war so vertraut und doch so fremd, als ob mein Geist es kannte, es in diesem Leben aber noch nie gespürt hatte.

Ich vertraute ihm, selbst wenn er kein Mensch war, er war etwas Gutes für mich und es war mehr ein Bauchgefühl, dass mir das sagte. Ein tiefer Instinkt, der so fest verwurzelt war, dass ich ihn kaum ignorieren konnte. Wenn er mehr Zeit brauchte, sollte er die bekommen, es würde alles gut werden. Fred wusste, was er da tat. Ich respektierte ihn und seine Entscheidungen, es fiel mir so leicht, das zu tun, dass ein Teil meines Selbst mich empört fragte, ob er mir nicht tatsächlich irgendetwas verabreicht hatte, dass ich ihm so vertraute. Ich hörte nicht auf diese Stimme. Noch nie war der Komponist böse gewesen, wenn er es denn gewesen wäre, hätte Sam mich darauf aufmerksam gemacht, als er bei Mario gewesen war. Und wenn ein Gott, der mich beschützten sollte, nichts Schlechtes in Fred sah, konnte er es auch nicht sein.

Tief in meine Gedanken versunken reagierte ich auf seine Aussage nicht, also fragte er erneut. „Wirst du mir vertrauen?" Ich sah auf und nickte ehrlich. Da es aber dunkel war und ich nicht davon ausging, dass er es sah, fügte ich noch schnell ein kaum hörbares „Ja" hinterher. „Danke", erwiderte er aufrichtig. „Lass uns zu dem Rest zurückkehren, dass du dich ausruhen kannst", sagte er dann und griff nach meiner Hand, um mich durch die Dunkelheit zielsicher durch den Wald zu lotsen. Er benutzte keine Taschenlampe und fand trotzdem zielsicher seinen Weg, sodass ich nur dicht hinter ihm bleiben musste, um nicht zu stolpern. Es verwunderte mich nicht wirklich, bei ihm verwunderte mich gar nichts mehr. Ich wusste, dass ich es bald verstehen würde. Wir kamen der Lösung immer näher.

Sobald wir aus dem Schatten des Waldes heraustraten, hinaus auf den schwach beleuchteten Parkplatz der Burg, der auf der geräumigen Wiese davor lag, wurde ich schon von Marion bestürmt. „Kannst du gefälligst aufhören, mir so oft einen Schrecken einzujagen?", lachte sie erleichtert und schloss mich in ihre Arme. „Dich kann man auch nicht für zwei Sekunden allein lassen, oder?", setzte sie dann noch hinterher und ich erwiderte die Umarmung. „Nein", antwortete ich schlicht, „Tut mir leid. Kommt nicht wieder vor", versprach ich schließlich und schob sie ein Stück von mir, damit ich wieder Luft bekam. „Du erdrückst mich", kommentierte ich und sie ließ darauf etwas locker. „Hat er dich also tatsächlich gefunden", meinte sie dann und nickte zu Fred, der etwas abseits stand und die Szene von dort beobachtete. „Wieso?", hinterfragte ich verwirrt ihre Aussage. „Naja, ich bin erst einmal über das komplette Gelände geirrt auf der Suche nach dir, da kam er mir entgegengerannt und hat gefragt, wo du seist. Als ich sagte, dass du verschwunden bist, hat er gesagt, ich soll mir keine Sorgen machen und ist zielstrebig in den Wald gelaufen. Hast du ihn angerufen oder so?" Verwundert schüttelte ich den Kopf. „Wie denn, du hattest doch mein Handy. Sonst hättest du mich ja wohl versucht, so zu erreichen, oder nicht?" Nachdenklich nickte sie. „Stimmt, auf jeden Fall lass ich dich jetzt nicht mehr ohne dein Handy los. Sonst kommst du mir doch wieder abhanden", sie grinste erleichtert und knuddelte mich noch einmal fest. Ich lachte und sah über ihre Schulter zu Fred, der jedoch schon nicht mehr da war. Ich sah nur noch, wie er gerade wieder auf dem Schlossgelände verschwand und seufzte. „Jetzt habe ich mich gar nicht bei ihm bedankt", murmelte ich schuldig und Marion ließ mich wieder los. „Ist er schon weg?", wollte sie überrascht wissen und ich bestätigte ihre Frage. Schulterzuckend tat sie es ab und bedeutete mir dann ihr zu folgen. „Komm, wir gehen endlich schlafen, sonst bin ich dafür verantwortlich, wenn du deine erste große Show vergeigst" Meine Mundwinkel hoben sich etwas und ich machte, dass ich ihr folgte.


Moondancer - PferdeträumerKde žijí příběhy. Začni objevovat