27. Feuer

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Es war ja wohl klar, dass ich mich jetzt nicht mehr traute, sie wegen Lena anzusprechen, die immer noch unbedingt zu dieser Fernsehserie wollte. Ich hatte es nicht geschafft. Stattdessen war Marion gerade im Begriff, sich von mir abzuwenden. Traurig und gleichzeitig verzweifelt kaute ich einige Minuten an meinen Fingernägeln herum und überlegte, wie ich weitermachen sollte. Ich entschied mich dafür, Vito einen Besuch abzustatten. Vielleicht ließ Marion doch noch einmal mit sich reden, wenn sie sich etwas abreagiert hatte. Wie erwartet fand ich sie bei dem Falben, den sie für die letzte Show richten wollte. Sie war immer noch wütend, ich erkannte es leicht an ihren ruckartigen Bewegungen, die nicht gerade sanft zu dem Hengst waren. Dennoch achtete sie darauf, ihre Energie nicht an dem Pferd abzulassen. Es hätte mich auch gewundert, wenn sie dies machen würde. Sie hatte trotzdem einen klaren Verstand, auch wenn sie wütend war. Trotzdem wollte ich nicht, dass sie in diesem Zustand auf das Pferd stieg. Jovito war immer empfindsam gewesen, was die Gefühlslage des Menschen auf seinem Rücken anging. Ich wollte nicht, dass sich irgendjemand verletzte. „Marion", sagte ich leise und vor allem vorsichtig, damit sie mich bemerkte. Wie ein verschrecktes Tier hielt ich mich etwas von ihr entfernt, ich traute mich nicht näher.

„Was?", fauchte sie und schmiss ihre blonden Haare zurück. „Hör zu, du verstehst mich falsch. Und Lena sicherlich auch. Ich habe nicht gesehen, was sie gemacht hat, deswegen kann ich es nicht beurteilen. Doch ich bitte dich, sie würde dir nie deinen Freund ausspannen! Hast du so wenig Vertrauen in Charles?", fragte ich zurückhaltend und mit gesenktem Kopf. „Nein, ich vertraue Charles! Aber ihr nicht! Gerade, wenn ich nach Kaltenberg soll! Da bin ich so lange von ihm getrennt, da könnte sie alles Mögliche mit ihm anstellen!", knurrte sie, immer noch wutgeladen. Ich witterte meine Chance. „Dann geh nicht nach Kaltenberg. Bleib hier, bei Charles. Mario hat sicherlich genug andere Damen, die deinen Job übernehmen können. Lena will sowieso in dieser Zeit eine Fernsehsendung drehen, sie wäre über einen gesamten Monat nicht hier", erklärte ich. Marion wirbelte herum. „Siehst du? Du schlägst dich voll auf ihre Seite? Willst du mir Kaltenberg ausreden? Du weißt genau, dass das meine Lieblingsrolle ist! Nie im Leben würde ich diese Rolle mir entgehen lassen!" Ihre Stimme wurde wieder etwas lauter. Im gleichen Moment realisierte ich etwas, was meine sowieso schon fast zerstörte Beziehung zu Vito den endgültigen Riss gab. Ohne mit der Wimper zu zucken stand er wie apathisch in der Box, wandte sich immer wieder freundlich an Marion, obwohl sie so sauer war. Warum wurde er nicht unruhig? Soviel schlechte Energie, wie die Stuntfrau gerade in sich trug, musste er doch etwas spüren? Doch er tat es nicht. Er schien all seine natürlichen Instinkte vergessen zu haben. Stand da wie ein braves, altes Schulpferd.

„Nein, ich will es dir nicht ausreden", brachte ich schließlich hervor, den Blick fest auf Vito gerichtet. „Nur, überleg dir, was du tust. Chris wird nämlich auch nach Kaltenberg kommen. Und man braucht dich hier, falls Lena den Vertrag unterschreibt. Bitte, ich..." Probeweise hatte ich mich dem Pferd genähert, meine Hand nach ihm ausgestreckt. Sofort zuckte er zurück und ging wieder in Alarmbereitschaft. „Hanna. Geh mir endlich aus den Augen! Ich kann dein Gebettel wegen Lena nicht mehr hören! Geh doch zu ihr und heul dich bei ihr aus!" Sie klang so sauer, bemerkte nicht, wie meine Aufmerksamkeit längst nicht mehr ihr galt, sondern dem Pferd, das erneut Kontakt zu der Blonden suchte. Obwohl sie gerade so sauer war. Ich hatte es bei beiden verscherzt. Bei Marion und bei Vito.

Urplötzlich bekam ich solche Kopfschmerzen, dass ich überrascht von den plötzlichen Schmerzen nach hinten taumelte, stolperte und mit dem Hintern voran auf dem harten Asphalt landete. Ich presste mir beide Fäuste auf die Schläfen und zog scharf die Luft ein. Die Welt um mich herum verschwamm für einen Moment und dann sah ich nur noch Feuer. Flammen, die die Box von Vito umzüngelten, wie ein Heilgenschein auf Marions Haupt thronten und die ganze Arena brennen ließen. Ich schrie auf. Sahen die Anderen das Feuer denn nicht? Warum unternahm niemand etwas? Warum blieben sie alle so ruhig? Es war wie ein Albtraum am hellsten Tag. Meine Körper versagte den Dienst und ich konnte nur tatenlos zusehen, wie alles verbrannte. Ich wollte Marion anschreien, das Feuer zu löschen, doch kein Ton kam aus meinem Mund. Panisch sah ich mich um, während ich die Hitze der Glut immer näher kommen spürte. Einerseits wurde mir klar, dass es nicht real ist, andererseits hörte ich das Knister und spürte das Feuer, als wäre es echt. Am Rande des Bewusstseins nahm ich zwei Frauen wahr, die schrien. So viel Wut. Ich sah, wie die Flammen an meinem Turnschuh züngelten, sich langsam an dem Stoff hochfraßen. Ich spürte den Schmerz der Verbrennung und ich konnte nichts dagegen machen.

Eine innere Ruhe ergriff mich. Fühlte sich sterben so an?

So viel Hitze.

So viel Zerstörung.

So viel Tatenlosigkeit.

Zwei starke Arme griffen unter meine, zogen mich von der sitzenden in eine stehende Position. Ich taumelte, die Augen weit aufgerissen und schließlich gaben meine Beine unter mir nach und ich sank in den helfenden Händen zusammen. Vor den Augen brannte immer noch alles. Die Flammen, die inzwischen an Vitos Mähne spielten, sie aber nicht brennen ließ.

„Hanna! Komm wieder zu dir!", hörte ich plötzlich jemanden an meinem Ohr schreien. Ich wollte antworten, schreien, doch nichts kam aus mir heraus. Stattdessen verschwamm die Umgebung wieder, das Feuer verschwand, doch meine Sicht wurde nicht klarer. Ich vergrub mein Gesicht an der schwarzen Jacke, der Person, die mich aufrecht hielt. Mir war auf Anhieb nicht klar, wer es sein konnte, doch ich spürte, dass es jemand Vertrautes war. Mein Körper befand sich immer noch in einer Art Schockstarre. Ich war überrascht, dass ich nichts feststellen konnte, außer der Tatsache, dass ich mich nur schwerfällig bewegen konnte. Während ich immer weiter in die echte Realität zurückrutschte, wurde mir klar, dass mein Körper nichts von der Tortur mitbekommen zu haben schien. Keine Träne hatte meine Augen verlasen, keine Schmerzen benebelten meine Sinne, nur die Bewegungslosigkeit, die noch einige Momente anhielt, ehe ich die volle Kontrolle über meinen Körper zurückbekam. Ich bemerkte, dass es Lena war, die mich festhielt. Mit einer Hand strich sie sanft über meinen Hinterkopf, mit der Anderen stützte sie mich.

Nach einigen Momenten, die wir in dieser Position verharrten, löste ich mich von ihr und sah mich um. Alles war wie immer. Keine Flammen, keine Asche oder Rauch. Marion war mit Vito schon verschwunden, ich sah sie in der Reithalle warmreiten.

„Was war das?", flüsterte ich heißer. Meine Stimme hatte sich noch nicht ganz erholt. „Das Gleiche könnte ich dich fragen", erwiderte Lena ernst. Sie hatte die Stirn in Falten nachdenklich in Falten gelegt. „Ich weiß es nicht. Plötzlich waren da diese Schmerzen und dann sah ich überall Feuer", antwortete ich mit gebrochener Stimme. „Eine Halluzination?", stellte sie sachlich fest. Ich zuckte mit den Schultern. „Möglich" Inzwischen hatte ich wieder die volle Kontrolle über mein Redeorgan und klang wieder normal. Ich sah kurz hinter zu Vito und Marion, die schienen nichts bemerkt zu haben. Oder zumindest zeigten sie nichts. Marions Wut war nicht verraucht, ich erkannte das an ihren noch etwas unsanften Bewegungen, doch sie gab sich Mühe, sich zurückzuhalten auf dem Pferd. Immerhin.

„Ich glaube, jetzt hasst sie mich endgültig", bemerkte Lena, die meinem Blick gefolgt war. „Wieso?", wollte ich wissen. Ich stand immer noch vollkommen neben mir, zu sehr hatte mich diese Halluzination verwirrt. Noch nie vorher hatte ich das gehabt und mir war noch nie zu Ohren gekommen, dass es so extrem war. „Ich habe mich gerade mit ihr über dich gestritten, weil ich nur noch sehen konnte, wie du nach hinten auf den Boden gefallen bist und dann vollkommen teilnahmelos dagesessen bist. Sie sah so wütend aus, doch gleichzeitig besorgt. Vielleicht hat sie überlegt, ob sie dir helfen soll, doch dann hat sie mich gesehen, sofort eine hochnäsige Miene aufgesetzt und sich wieder Jovito zugewandt. Ich habe sie gefragt, was passiert sei, doch sie reagierte sofort gereizt. Sie meinte nur, dass es nicht ihre Schuld war, dass du plötzlich weg warst. Interessant war, dass kaum eine Sekunde nach deinem Fall der ganze Hof in Aufruhr geriet. Deswegen war ich ja auch hierhinten. Die Krähe hat angefangen zu schreien wie am Spieß und alle wurden auf einmal hektisch wegen dem nervtötenden Tier. Ludo hat sie dann einigermaßen beruhigt, doch so wirklich still wurde sie erst, als du wieder zu dir kamst. Vielleicht verträgst du nicht die Geräusche, die sie macht und das ruft bei dir die Halluzination hervor", berichtete sie, was alles passiert war, während ich geistig nicht anwesend war. „Wie lange war ich weg?", fragte ich, während meine Gedanken schon wieder ganz woanders waren. Die Krähe. Vielleicht hatte sie doch etwas damit zu tun? Aber ich hatte sie doch so genau auf magische Hintergründe überprüft, die sie eindeutig nicht besessen hatte.

„Nur ein paar Minuten, nicht lange. Aber eben, das waren jetzt ein paar Minuten voller Stress", antwortete sie. Ich nickte nur und dachte weiter über den Vogel nach. Ich hatte sie nicht schreien gehört, obwohl ich es laut Lena eigentlichen hätte hören müssen. Interessant. Höchst interessant.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now