20. Überreizung // Moondancer

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Das ekelhaft kalte Metall schmeckte nach nichts und lag einfach nur schwer in meinem Mund. Ich schob das Gebiss mit meiner Zunge ein paar Mal von links nach rechts, fand aber keine passende Position. Bäh. Mit einem Mal war mir klar, warum Vito das Teil nicht so gerne mochte. Jedoch war die Trense nicht einmal das Schlimmste. Abgesehen, davon, dass ich mich darin sowieso eingeengt fühlte wie in einer viel zu engem Oberteil, kam der Sattel dazu. Ich wusste, dass dieser zu der allgemeinen Sicherheit richtig fest sitzen musste, doch momentan fühlte er sich mehr an wie eine eng sitzende Hose und er war noch nicht einmal nachgegurtet. Am Meisten irritierte mich aber die Tatsache, dass Marion auf einmal so viel Kontrolle über meinen Kopf hatte. Ich musste quasi alles vergessen, was mir wichtig war. Meine Würde auf den Boden schmeißen, mich führen lassen, mich unterwerfen. Fühlte sich so das Leben als Pferd an? Warum machten sie das alle so brav mit? Warum zur Hölle ließ man sich seinen gesamten Stolz nehmen?

All die Fragen ließen sich ziemlich einfach beantworten, wenn man genauer darüber nachdachte. Weil der Mensch ein egoistisches Wesen ist, der das Pferd nicht fragt. Felicitas Handlung wurde sehr viel mehr verständlicher, wenn ich so eingeengt und vollkommen ausgeliefert hinter Marion lief, die mich ein wenig über den Hof führte, damit meine Gelenke nicht gleich überlastet wurden. In meinen Hufen kribbelte es, der Drang der Freiheit war wieder da. Wie immer, wenn ich in Pferdegestalt unterwegs war. Seufzend sah ich nach oben in den inzwischen dunklen Nachthimmel. Der Vollmond war hinter Wolken versteckt. Sein Licht war nicht ausmachbar, als wäre es Neumond. „Was ist los?", fragte Marion, die den Laut von mir mitbekommen hatte. Ich sah mich nach Zuhörern um, spürte dabei wieder den Druck der Trense, der mir klarmachte, dass ich mich nicht so weit umsehen konnte, denn obwohl meine Freundin die Zügel lang hielt, schränkte es mich ein.

„Weißt du eigentlich, wie entwürdigend sich das anfühlt?", antwortete ich. „Du kannst immer noch sagen, dass du es nicht machen willst", erwiderte sie. „Schön wär's. Ihr braucht mich", meinte ich niedergeschlagen. Beruhigend strich sie mir über den Hals, dann zupfte sie sanft am Zügel, und somit an meinem Kopf, um mich zum Weitergehen zu ermutigen. Ich setzte mich wieder in Bewegung, deutlich resignierter als vorher. Ich brauchte danach dringend eine Dosis Freiheit, wenn alles vorbei war. Es war schon jetzt anstrengend, die vielen Geräusche der Menschen, die noch im Park unterwegs waren, die Hektik hinter der Arena. Ich war das nicht gewohnt. Normalerweise war alles um mich herum ruhig, wenn ich mich verwandelte. Die Nervosität und Unruhe übertrug sich auf mich, doch ich unterdrückte diese Gefühle. Augen zu und durch, das war mein Motto für diesen Abend.

Als Marion das erste Mal mit Sattel auf mir saß, hatte ich keine Ahnung mehr, was ich machen sollte. Wir verbrachten die nächsten 15 Minuten erst einmal damit, die Hilfen durchzugehen, damit ich in der Show auch ohne ihre mündliche Zurede reagieren konnte. Ihre Reitweise war wie gewohnt feinfühlig und gerade bei mir ziemlich vorsichtig. Für sie fühlte es sich ähnlich merkwürdig an wie für mich, da sie mich stets mit meiner menschlichen Form in Verbindung brachte.

Dazu kam, dass ich mit jeder Minute, die die Show näher rückte, nervöser wurde. Unruhig trippelte ich vor mich hin, versuchte die überschüssige Energie abzulassen, doch es ging nicht, da ich stets mit neuer Energie aus dem Boden versorgt wurde. Kurz vor Showbeginn drehte sie mit mir zu Fuß noch einige Runden im Schritt. Ich hatte nun wirklich Angst. Vorhin hatte ich bereits gesehen, wie viele Menschen da waren und wie laut es wirklich war. Für mich war es bereits jetzt, hinter der Arena, eine hoffnungslose Überforderung der Sinne. Die ganzen Menschen, die von drinnen eine konstante Geräuschsquelle darstellten, die vielen bunten Farben, die ich von der Nacht nicht gewöhnt war. Meine Aufmerksamkeit war zum Zerreisen gespannt, ich nahm jeden einzelnen Menschen wahr, der an mir vorbeilief. Das ging so weit, dass ich sogar einige Schatten in dunklen Ecken als überraschende Formationen ausmachte. Dementsprechend erschrak ich mich alle paar Sekunden und meine Nerven lagen vollkommen blank. Mein Fell war bereits klatschnass, ich schwitzte. Unangenehm warm war die Satteldecke, die ich am liebsten abschütteln wollte. Das Leder der Trense rieb an meinem feuchten Haar, erzeugte Schaum und reizte die Haut darunter. Marion redete leise beruhigend auf mich ein, sie spürte meinen Gemütszustand. Es war, als würde ich sie nicht verstehen. Ihre Worte gingen in einer Seite meiner Ohren rein und die andere direkt wieder hinaus.

Moondancer - PferdeträumerTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang