23. If I go crazy then will you still call me Superman?

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Ich machte einen Spaziergang um die Welt,
um meine aufgewühlten Gedanken zu beruhigen.

Im langsamen Schritt zockelten wir zurück. Ich ließ mich einfach von ihm tragen und musste ihn nur vereinzelt bremsen, wenn er wieder zügiger gehen wollte. Fragen schossen mir durch den Kopf, als ich das willenlose Wesen unter mir über den Feldweg lenkte. War das vielleicht Vitos Problem? War er wütend auf mich, weil ich seine Meinung nicht mehr respektiert hatte? Weil ich mir ohne zu fragen genommen hatte, was er besaß. Seinen Stolz, seine Anmut, seine Eleganz. Doch warum konnte dann Marion ihn ohne Probleme reiten? Vielleicht, weil sie anders ritt. Sie gab ihm eine bestimmte Führung und verlangte nur das von ihm, was sie wirklich für die Show benötigte. Was sie brauchte, um zu überleben. Damit die Chefs zufrieden waren.

Hatte ich es irgendwann zu selbstverständlich angesehen, dass Vito mir all das Vertrauen schenkte? Hatte ich das überhaupt verdient? Wann hatte ich jemals etwas für ihn gemacht? Er hatte mir alles geschenkt ohne zu zögern und ich hatte es genommen. Ihn so geformt, wie ich ihn brauchte. Und als es nicht mehr geklappt hatte, hatte ich ihn gegen Nevado eingetauscht, der mir willenlos folgt. Nevado war so anders. Der Schimmel hatte so viel weniger eigenen Willen wie Vito. Vielleicht auch weniger Intelligenz? Wenn man bei Pferden überhaupt von einer Intelligenz sprechen konnte. Nevado folgte mir, weil das sein Leben war. Er erfreute sich daran, wenn er etwas für mich tun konnte und unterwarf sich mir ohne zu fragen. Wie ein Hund für sein Herrchen. Dabei mochte ich genau dieses Verhalten bei Tieren eigentlich nicht. Wann hatte ich angefangen, selbst so ein Herrchen zu werden?

Ich schluckte meine aufkommenden Tränen hinunter. Am liebsten hätte ich auf der Stelle angehalten, wäre abgestiegen und hätte Nevado freilaufen lassen. Ihm seinen Willen zurückgegeben, den er nie gehabt hat. Doch ich wusste, dass das sinnlos war, denn Nevado würde nur verdutzt stehen bleiben und mir dann hinterherrennen. Dabei konnte ich ihn dafür nicht verurteilen. Er hatte noch nie einen angeborenen Willen gehabt. Er würde ihn nicht einmal mehr lernen.

Ich ließ meinen Körper irgendwo im Sand der Zeit liegen.
Ich sah zu, wie die Welt zur dunklen Seite des Mondes hinübertrieb.
Ich glaubte zu fühlen, ich kann es nicht ändern.

Vielleicht war ich das Problem. Ich war die ganze Zeit davon ausgegangen, dass mit Vito etwas nicht stimmte, aber den Fehler nicht bei mir gesucht. Oder doch? Ich hatte keine Ahnung mehr.

Ich sah zu, wie die Welt zur dunklen Seite des Mondes hinübertrieb.
Letztendlich wusste ich, dass es etwas mit dir zu tun haben musste.

Ich betrat das Gelände der Arena. Die Mittagspause war inzwischen beendet, deutlich mehr Leute waren unterwegs. Auf Gesellschaft hatte ich aber wenig Lust und so machte ich, dass ich direkt vor Nevados Box ritt, um erst da abzusteigen. Normalerweise wollte Ludo, dass man, wenn man von draußen kam, die Pferde über den Hof führte, doch das ignorierte ich für diese Mal. Noch während ich gerade die Trensenverschlüsse öffnete, war es mit meiner Ruhe vorbei. „Hanna! Ist das dein verdammter Ernst? Hast du dir gestern die Haare gefärbt?!" Marion war aufgetaucht und sah mich mit einem bösen Blick an. „Ich habe mir so viel Mühe mit dem Haarefärben gegeben!", jammerte sie weiter. „Was denn?", antwortete ich leise und sah über Nevados Hals zu meiner Freundin. „Sag bloß, du hast seit gestern nicht mehr in den Spiegel geschaut! Deine Haare!", rief sie entsetzt aus. Hatte ich nicht. Aber das sagte ich ihr nicht. Meine Haare hatte ich nach dem Aufstehen blind einfach irgendwie zusammengebunden und sie für die Schule unter der Kapuze meiner Stoffweste gestopft.

Irritiert durch ihre Aussage griff ich also nach hinten und holte eine Strähne meines Haares nach vorne, um sie ansehen zu können. Das gewohnte helle Braun strahlte mir entgegen. „Was?!" Ich war nun selbst überrascht und öffnete meinen Zopf, um meine Haare besser betrachten zu können. Tatsache. Sie fühlten sich nicht nur so an, sondern sie sahen auch so aus als ob sie nie blondiert wurden. Zum ersten Mal an diesem Tag musste ich schmunzeln. „Verträgt sich wohl nicht mit Moondancer", stellte ich fest und warf meine langen Strähnen wieder nach hinten, um sie erneut zusammenzufassen. Marion stöhnte auf. „Das heißt, ich darf dir jeden Monat neu die Haare färben?", fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. „Oder wir lassen sie einfach braun. Dann gibt es halt zum ersten Mal eine braune Lady in der Arena. Oder ich mache die Show gar nicht mehr bis Kaltenberg und dort ist es sowieso egal, da ich dort einen Naturgeist spiele. Von daher ist braun dafür gar nicht mal so schlecht", schlug ich vor, doch Marion schüttelte den Kopf. „Da musst du Ludo fragen. Ich habe da kein Entscheidungsrecht, obwohl ich für blond bin", erklärte sie. „Von mir aus. Nimmst du nachher Vito in der Show?", wechselte ich emotionslos das Thema und entfernte die Trense an Nevados Kopf, um sie gleich durch ein Stallhalfter zu ersetzen. „Wenn es dir nichts ausmacht. Ich reite ihn gerne, er ist zuverlässig", meinte sie. „Er sieht noch nicht so aus, als ob er schon bewegt wurde. Wäre mir recht, wenn du das damit übernehmen kannst" „Ich hatte heute Morgen zweimal Sorgho, deswegen. Kein Problem, du kannst auf mich zählen", sagte Marion und zwinkerte mir zu. „Zum Glück habe ich dich. Ich habe gerade keinen Nerv dafür übrig", murmelte ich leise und nahm mir den Hufkratzer, um Nevado die Hufe zu säubern.

Es ist mir wirklich egal was ab und zu passiert,
solange du am Ende mein Freund sein wirst.

„Und ich übernehme dein Pferdchen gerne. Er ist wirklich toll!", schwärmte sie und machte sich auf dem Weg zu dem Falben. „Zum Glück", wiederholte ich nur, noch leiser als vorhin und beendete endlich meine Arbeit an dem Schimmel. Ich ließ das zufriedene Tier in seine Box und machte mich dann auf den Weg in den Pausenraum, um meinen Spind noch schnell aufzuräumen. Das wollte ich schon gestern machen, aber Ludo hatte mich ja vorzeitig entlassen. Verschiedene Kleidungsstücke lagen in dem Metallkasten wild auf einem Haufen, die ich alle dort wegen Vollmondnächten deponiert hatte. Oder falls sonst irgendetwas passierte. Wechselkleidung ging mir nie aus. Ich nahm jedes einzelne Stück heraus, besah es auf Sauberkeit und Vollständigkeit – nicht, dass Motten, Mäuse oder sonst irgendwelches Getier daran rumgenagt hat-, faltete es ordentlich und räumte es wieder ein. Bei der Aufräumaktion fand ich auch zwei Halsringe, den einen, den Ludo mir zum Geburtstag geschenkt hatte und den ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt hatte. Hatte ich ihn überhaupt einmal benutzt? Ich hatte keine Gelegenheit dafür gehabt. Das kunstvoll geflochtene Leder war zu schade, um es im Schrank verrotten zu lassen, also räumte ich ihn auf die Seite. Ich würde ihn nachher mit nach Hause nehmen. Ob es sich demnächst noch eine Gelegenheit bieten dafür bieten würde, war fraglich. Der Andere war noch einfacher gehalten. Er war aus Kunststoff und steif in einer runden Form. Er übertrug die Hilfen besser auf das Pferd als die lockeren, die sich an den Hals des Pferdes schmiegten. Nach kurzem Überlegen behielt ich ihn und hängte ihn an die Rückwand des Spinds. Vielleicht konnte ich ihn mal für Nevado gebrauchen, falls ich den Schimmel jemals für das Halsringreiten ausbilden sollte. Momentan sah ich dieses Unterfangen aber als sinnlos und nicht wirklich für das junge Tier geeignet. Ich wollte gerade meine schwarzen Chaps rausholen, um sie zu putzen, als eine völlig aufgeregte Lena in den Raum stürmte.

„Hallo, Hanna. Ich habe dich gesucht! Ich brauche dringend deine Hilfe!", rief sie völlig verzweifelt. „Hmm?", erwiderte ich gelassen. Sie wedelte mit einem Zettel in der Hand und hielt ihn mir dann unter die Nase. Ich wollte ihn gerade lesen, da seufzte sie ungeduldig und nahm ihn wieder an sich. „Pro7 will mich für Wild Island! Die wollen mich! Es gibt da eine ganze Menge Geld und wenn ich dem nicht folge, werde ich möglicherweise Probleme kriegen in Zukunft. Ich bin ja eigentlich Schauspielerin und wenn ich nicht dann bereit bin, wenn sie mich brauchen, könnte das Schwierigkeiten geben. Das heißt, ich muss zwei Monate lang weg. Und das ist genau die Zeit, wo du und Marion ihn Kaltenberg seid!", ratterte sie herunter. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. „Hä? Noch einmal langsam. Was ist Wild Island?"

„Also, das ist so ein Projekt, bei dem eine Gruppe Menschen auf eine einsame, verlassene Karibikinsel gehen muss und dort komplett ohne äußerliche Hilfe und Hilfsmittel überleben muss. Und aus verschiedenen Gründen wäre es äußerst ungünstig, wenn ich da nicht hingehe. Außerdem finde ich das ziemlich interessant und würde das wahnsinnig gerne machen. Nur leider seid ihr in der Zeit in Kaltenberg, also müsste ich hierbleiben oder einer von euch beiden bleibt hier und macht die Lady in der Zeit", wiederholte sie etwas langsamer und gefasster. „Vergiss es. Ich habe eine feste Rolle, die nicht ersetzt werden kann. Aber Marion müsste nicht so dringend gehen nach Kaltenberg. Genug blonde Frauen, die die Königin spielen könnten hat Mario. Du könntest allerhöchsten sie fragen", meinte ich. Der Stuntfrau entglitten sämtliche Gesichtszüge. „Verdammt! Dann kann ich denen gleich absagen" Sie klang unglaublich niedergeschlagen und ich sah, wie wichtig ihr dieses Projekt war. Erbarmend seufzte ich. „Ich werde mit ihr reden. Aber ich kann dir nichts versprechen"

Lena jubelte und fiel mir in die Arme. „Danke! Du bist mein Held!", freute sie sich und sprang freudig durch das Zimmer. Ich lächelte. Wenn es schon nicht mit den Pferden klappte, klappte es vielleicht damit, Menschen zu helfen.

Wenn ich verrückt werde,
wirst du mich immer noch Superman nennen?
Wenn ich am Leben bin und es mir gut geht,
wirst du da sein und meine Hand halten?

If I go crazy then will you still call me Superman?

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now