33. Rückkehr

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Kurze Info: Ich hatte bereits angedeutet, dass das Training in Kaltenberg stattfindet, habe es aber jetzt doch zu Mario umverlegt, da dem auch in der Realität so ist.

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Der Tag, an dem wir zu Mario abreisten, war grau und verregnet. Ich hatte inzwischen keine Schule mehr, hatte das mündliche Abitur mit Ach und Krach hinter mich gebracht und hatte schließlich einen tollen Schnitt von 3,4. Ein wenig ärgerte es mich, denn eine zweite Chance würde ich nicht mehr bekommen. Und ich wusste, dass ich besser hätte sein können. Vor zwei Jahren hatte ich noch fest damit gerechnet einen Schnitt von 1,2 ganz leicht zu schaffen. Meine Lehrer hatten mir das vorgehalten, vielleicht wäre ich sogar durchgefallen, wenn sie nicht gnädig gewesen waren. Denn sie wussten ja, dass ich eigentlich besser war. Nur meine wiederholte Abwesenheit in den letzten Monaten, die schlechten Prüfungen und vor allem meine einkrachende Leistung im letzten Jahr hatte dann dazu geführt, dass sie mir doch keine gute Note geben konnte.

Jedoch störte es mich wenig. Irgendwie realisierte ich die Note nicht oder wollte sie auch gar nicht wissen, jedenfalls geriet eben jene Abschlussnote schnell in Vergessenheit. Sie kam nicht bei mir im Inneren an. Warum war sie denn auch wichtig? Ich hatte meinen Beruf, der mir vermutlich auch sicher war.

Es war etwas mehr als eine Woche vergangen seit dem Vorfall. Von Vitos Halswunde war nicht mehr viel zu sehen, lediglich eine kleine Narbe blieb übrig. Als ich den Verband nach zwei Tagen entfernt hatte, wurde mir erst klar, wie viel ich geleistet hatte. Obwohl es sich in jenem Moment angefühlt hatte, als würde nichts passieren, schaffte ich es doch, fast dreiviertel des Schnittes wieder zu schließen. Vito selber hatte sich körperlich wieder erholt, doch sein Geist schien meinen widerzuspiegeln. Er sprach kein Wort, stand die meiste Zeit apathisch in seiner Box und starrte vor sich hin. Wenn wir trainierten versuchte er sich zwar Mühe zu geben, doch er war häufig abgelenkt und schien mich nicht zu verstehen. Mehrmals hatte unsere Trainingsstunde schon damit geendet, dass er sich völlig ahnungslos und überfordert in der Ecke stellte und jeden Befehl verweigerte. Immerhin war er nicht mehr aggressiv. Ich war seit dem Vorfall nicht ein einziges Mal geritten. Über Bodenarbeit versuchte das Vertrauen meiner Pferde zurückzugewinnen, doch es gelang mir nur schwer. Der Einzige, der selbst an den schwärzesten Tagen noch glücklich umher sprang und die ganze Zeit Regenbogen kotzen zu schien, war Nevado. Der Schimmel sprühte vor Motivation und versuchte mich mit allen Möglichkeiten glücklich zu machen. Jedoch erreichte er mich nicht.

Mein persönlicher Zustand hatte sich nicht gebessert. Ich merkte selbst, wie mir die Lust an allem vergangen war. Die Anderen litten unter meiner Reizbarkeit und inzwischen sprach man nur noch mit mir, wenn es wirklich notwendig war. Und selbst dann gab ich nur kurze Antworten. Ich ging den Menschen aus dem Weg und sie gingen mir aus dem Weg. Es war eine stille Vereinbarung, die wir getroffen haben. Ich selbst war mir dem sehr wohl bewusst. Jeden Abend reflektierte ich meine Handlungen, nahm mir vor, wieder meinen alten Geisteszustand einzunehmen, doch sobald ich einen Fuß vor die Tür setzte, bildete sich das Eis in mir und verschloss mich. Und das war ich. Eiskalt. Zu jedem, zu mir und zu meiner Umgebung. Nur wenn ich mit den Vierbeinern trainierte, riss ich mich zusammen, überdachte meine Handlungen zweimal, um nichts Falsches zu machen. Es war mir zu oft passiert in den letzten Tagen, dass ich es, ohne es zu wollen, Menschen verletzte. Sei es ein wütender Blick, sei es eine böse Antwort. Hinterher bereute ich es jedes Mal, doch konnte es nicht mehr rückgängig machen.

Ludo holte gerade Vito. Der Falbe trottete teilnahmelos hinter ihm her, stieg mit gequält geschlossenen Augen die Rampe empor und ließ sich in dem Fahrzeug anbinden. Nevado stand bereits neben ihm und stupste ihn aufmunternd an. Doch der Hengst wandte sich ab und knabberte müde an einigen Heuhalmen. Er fraß nicht genügend, das war mir klar. Noch hielt sich sein Gewichtsverlust in Grenzen, aber wenn er weiter so wenig aß, würden zuerst seine Muskeln verschwinden und später wäre er nur noch ein Schatten seines Selbst. Wenn er das nicht sowieso schon war. Schon jetzt hatte seine Kraft abgenommen. Ich machte mir Sorgen um ihn, doch wusste ich nicht, was ich tun sollte, noch hatte ich selbst die Motivation dazu, tiefer nachzuforschen. Wir funktionierten beide nur wie ein Roboter.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now