38. Reitstunde

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Nevado kaute entspannt auf seinem Gebiss, sah hin und wieder neugierig um sich, um alle Bewegungen mitzubekommen, die in seiner Umgebung stattfanden und erkundete mit seiner Lippe spielerisch meine Jackentasche, ohne wirklich etwas zu essen zu wollen. Denn ich hatte tatsächlich Leckerlies darin, doch er bettelte nicht und wurde nicht aufdringlich. Lediglich versuchte er damit von Zeit zu Zeit auf sich aufmerksam zu machen, dass er doch daran Interesse hätte und ich ihm bitte eines gewähren sollte. Tat ich natürlich nicht. Er hatte ja noch nichts gearbeitet.

Vito dagegen stand vollkommen regungslos zu meiner Linken, zuckte bei jedem Geräusch angsterfüllt zusammen, blieb jedoch stehen. Er schwitzte bereits, obwohl er noch keinen Schritt getan hatte. Er hielt den größtmöglichen Abstand, den er mit der Trense halten konnte, ohne an den Zügeln zu ziehen, mit dem ich ihn hielt. Lea war tatsächlich wieder aufgetaucht. Sie saß neben Hevea etwas außerhalb der Halle im Schatten. Ihr graues Fell verschwamm fast mit der Umgebung. Für Unwissende war sie verborgen, für mich jedoch deutlich zu sehen und damit auch beruhigend.

Ich wartete keine fünf Minuten, da tauchte Mario auf. Mein Meister nahm mir ohne zu fragen meinen Falben ab und deutete auf Nevado. „Rauf mit dir", sagte er und nahm Jovito mit zu sich in die Hallenmitte. Dort blieb er genauso regungslos stehen, wie er es eben neben mir getan hatte. Obwohl er so teilnahmelos wirkte, dass man ihn für krank halten könnte, zuckte er bei jedem unerwarteten Geräusch so heftig zusammen, dass man ihm regelrecht ansah, dass er eigentlich jede Sekunde unter totalem Strom stand.

Ich schwang mich auf Nevis Rücken. Zuerst fühlte es sich ein wenig merkwürdig an, da ich auf Vito gestern eine solche Angst gehabt hatte. Und vom Körperbau waren sich die Zwei doch ein wenig ähnlich. Hilfesuchend warf ich einen Blick zu Lea, die aufmunternd nickte. Ich lächelte ein wenig und entspannte mich etwas. Dann gab ich Nevado vorsichtig die richtigen Hilfen, nahm meine Stimme dazu und lotste ihn so im Schritt durch die Bahn. Er bewegte sich anfangs ein wenig steif, doch bald hatte er wieder das richtige Gespür für die Kombination aus Stimme und Hilfegebung, die ich bei ihm anwendete. Es half mir ebenfalls ein wenig zu entspannen. Und der Sattel gab mir guten Halt, sodass ich mich bald mehr traute. Mario sah sich das alles kommentarlos an.

Sein Galopp war bei Weitem nicht so versammelt, wie ich es mir wünschte, aber ich forderte den Schimmel auch nicht mehr. Es ging momentan eher um meine Reitweise als um seine Präsentation. Es fühlte sich nicht so an wie früher und schon gar nicht so wie auf Vito. Er war einfach ein Pferd. Wie jedes Andere. Wer reiten konnte, kam mit dem Wallach klar. Er war zuverlässig.

„Gut so. Verlangsame bitte jetzt zu einem gemütlichen Schritt, in dem du dich absolut sicher und entspannt fühlst", gab mein Lehrer aus der Hallenmitte die nächsten Anweisungen. Ich parierte durch und ließ die Zügel etwas länger, damit kaum noch Anlehnung bestand. Nevado ließ den Hals sinken, kaute und streckte sich ein wenig. Dabei wurde er automatisch ein wenig langsamer und trottete ganz gemütlich seine Bahn entlang. „Kannst du ihm so vertrauen?", fragte Mario weiter. Ich nickte. Wenn auch etwas zögerlich. „Du weißt, dass er nicht durchdrehen wird, wenn nicht frag ihn", fuhr er fort. Es war keine Aufforderung, mehr eine Feststellung. Dann schloss er mit Vito im Schlepptau zu uns auf und drückte mir die Zügel des Falben in die Hand. „Versuche ihn gleichmäßig bei dir zu behalten. Sein Kopf soll aber auf der Höhe deines Beines sein, so nah wie möglich bei dir", wies er an und drückte mir dann noch eine Gerte in die Hand. Er musste wohl meinen ablehnenden Blick bemerkt haben, denn er schmunzelte. „Als verlängerten Arm. Damit kannst du ihn in die richtige Position dirigieren, wenn er zu weit zurückfällt" Ich hatte selten eine Gerte bei Vito gebraucht. Wenn überhaupt. Er mochte das nicht und ich mochte es nicht. Man hatte kein Fingerspitzengefühl damit und es fiel mir immer schwer die fließenden Grenzen zwischen Schlagen, Antippen und zu leicht berühren zu finden. Dennoch tat ich, wie Mario verlangte.

Moondancer - PferdeträumerHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin