52. Kabbala

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Nach diesem Vorfall wollte ich nur noch zu einem Pferd. Lebrero. Egal, was Fred dazu sagte, der Dunkelbraune wusste sicherlich weiter. Wenn der Komponist schon nicht reden wollte, sein Pferd würde es tun, da war ich mir sicher. Nicht über diesen hässlichen Plan, der Schuld an all dem war, sondern einfach so.

Ich hatte Glück, das Tier döste gerade in seiner Box vor sich hin, von seinem Reiter war weit und breit keine Spur. „Lebrero?", fragte ich leise und sofort sah er auf. „Was ist los?", wollte er sofort wissen, „Du siehst nicht gut aus", fügte er noch hinzu und trat einen Schritt zur Seite, damit ich zu ihm konnte. „Vito hat mich abgeworfen", murmelte ich und vergrub mein Gesicht an seinem warmen Fell. „Er hat WAS? Sag mal, welche Geister gehen denn mit dem durch, er hat doch gesa... niemals den Eindruck gemacht, als ob er das tun würde!", verhaspelte er sich inmitten des Satzes, ich war aber nicht in der Lage, eine Bedeutung hinter dem zu sehen, was er eigentlich sagen wollte. „Keine Ahnung", meinte ich bedrückt. „Soll ich dich ein wenig ablenken?", erkundigte er sich besorgt und ich nickte. „Deswegen bin ich hier. Erzähl mir irgendetwas", bat ich leise und ließ mich an der Wand seines Stalls in das Stroh gleiten. Er überlegte kurz.

„Also, glaubst du an ein Leben nach dem Tod?", stellte er seine Eingangsfrage. „Glauben Pferde denn daran?" „Nein, natürlich nicht, weil wir nicht so weit denken wir ihr Menschen. Fred hat mir davon erzählt. Es gibt den klassischen, christlichen Glauben, in dem die Seele danach zu ihrem Schöpfer zurückkehrt, oder eben nicht. Aber er selbst glaubt nicht daran, er glaubt, dass jede Seele irgendwo schon einmal existiert hat. Deswegen hat er mir das erzählt, weil es ja so ist, dass auch mein Bewusstsein schon einmal existiert hat und wieder existieren wird. Nicht so wie man sich das vorstellt mit allen den Erinnerungen daran, sondern es gibt sechs Sinne. Die fünf physischen und den sechsten, psychischen. Die ersten fünf, das sind sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, und dann gibt es den sechsten Sinn, dieser sichert das Überleben der Seele, die Verbindung zu dem großen Ganzen. Dem Universum, wenn du so willst. Jedoch ist dieser während Lebzeiten ganz schwach ausgeprägt, bei manchen vielleicht mehr, bei manchen weniger. Die, die diesen Sinn ausgeprägter haben, diese spüren manchmal die Verbindung zu dem großen Ganzen, dem Gott sozusagen, oder dem Universum. Oder einfach der Topf mit allen Seelen darin, die alle Teil von etwas sind. Das ist schwer zu erklären, aber ich denke, du weißt, was ich meine. Und wenn diese fünf Sinne verschwinden, verschwinden auch alle Empfindungen von dieser Welt oder sozusagen von diesem Leben. Deswegen kannst du dich an dein altes Leben nicht erinnern, weil mit jedem neuen Körper, diese Sinne neu dazukommen. Dazu gehört dann auch das Denken wie es ist. Allerdings, du kannst dich zwar nicht daran erinnern, aber der sechste Sinn lernt trotzdem. Dein Leben ist nur eine weitere Zwischenstation, der Tod nur ein unbedeutendes Ereignis auf dem Weg. Alle unwichtigen Informationen gehen mit ihm wieder verloren, aber wenn du dann irgendwann Vollkommenheit erreicht hast, gehst du wieder als Teil in das Universum ein und bleibst dort. Es ist nicht so, dass du das spürst, denn schließlich hast du ohne die fünf Sinne auch kein Empfinden für Zeit oder Raum, du bist einfach nur ein Teil des Ganzen und wenn du Vollkommen bist, gehst du wieder dorthin zurück"

Nachdenklich legte ich den Kopf schief. „Das ist kompliziert", meinte ich schließlich. „Ja, ich weiß und ich denke, da steckt noch viel mehr dahinter, aber mein Kopf will das nicht so aufnehmen wie ihr Menschen, ich gebe nur das wieder, was er mir gesagt hat. Ich finde diesen Glauben einfach schön, auch wenn ich ihn nicht verstehe.", erklärte er, „Für mich zählt nur das hier und jetzt". Tatsächlich hatte er mich damit von meinen Gedanken um Vito abgelenkt und ich überlegte diese Theorie weiter: „Also ist das Ziel des Lebens, so viel Wissen wie möglich zu sammeln?" „Das weiß ich nicht, aber so wie es klingt, eher nicht, denn schließlich sind die Informationen von deinem irdischen Sein nutzlos" „Ja, aber irgendwann musst du doch alle Stationen durchlaufen sein", meinte ich. „Ich kann mir vorstellen, dass mein Bewusstsein im nächsten Leben zu einem Menschen aufsteigen wird, aber was nach dem Menschen kommt? Wie gesagt, mir fällt es schwer, so weit zu denken", erklärte er.

„Vielleicht ist man so lange Mensch, bis man durch Wissen oder Glaube an die Mystik ausgelernt ist. Bist man selbst so hoch ist, dass man alles wahrnimmt. Ich meine, vergleiche mal eine Menschen, der nichts weiß, quasi dumm ist und sich dem Wissen verweigert oder der nicht an diese Mystik glaubt mit einem Menschen, der absolut intelligent ist, die Mystik kennt und sich ihr hingibt. Da ist doch ein großer Unterschied, vielleicht muss das Bewusstsein vom ersten Beispiel noch einmal als Mensch leben. Nehmen wir dein Beispiel vom Tier, da kann man fast sagen, dass manche Menschen noch eher denken wie ihr tierischer Ursprung, also wenig übersinnlich und sehr flach und andere dagegen überhaupt nicht mehr. Die wären dann schon eher am Ziel, oder?" „Da musst du Fred fragen, ehrlich", kommentierte Lebrero und senkte den Kopf zu mir hinunter, damit ich ihn kraulen konnte.

„Trotzdem danke, das ist genau das, was ich brauche, das lenkt ab", lächelte ich. „Gern geschehen" Vertieft in meine Gedanken über diese Theorie, merkte ich gar nicht, dass ich nicht mehr alleine war. Der Boss der schwarzen Ritter lehnte an der Boxentür, seine Mine unbewegt kühl. „Was machst du hier?", fragte er sachlich. Ich zuckte zusammen und sah zu ihm auf. „Nichts", log ich schnell und machte, dass ich von meinem Platz wegkam. Fred schob sich an mir vorbei, warf seinem Pferd einen eindringlichen Blick zu und warf mich dann mit einer eindeutigen Handbewegung raus. „Geh bitte", sagte er kühl und ich tat, dass ich der Aufforderung Folge leiste. Er war doch immer so ein freundlicher, höflicher Mensch gewesen! Gab es eine Alienapokalypse, von der ich nichts mitbekommen hatte? Vielleicht hatte jemand alle Menschen in meinem Umfeld ausgetauscht ohne dass ich es bemerkt hatte.

Die nächsten Tage traute ich mich kaum noch aus dem Schatten Marions heraus, nach Jovitos Abwurf rechnete ich mit Allem. Ich machte einen Bogen um meinen Lieblingskomponisten, der sich weiterhin zurückhielt und lediglich in den Proben als schwarzer Ritter aufblühte und ignorierte auch meinen Falben mit meiner gesamten Kraft. Wir hatten meinen Teil der Show inzwischen komplett fertig, lediglich Nevado würde jetzt mit mir in der Arena sein und er gab sich alle Mühe, es mir recht zu machen, was ich sehr schätzte. Als Gegenleistung verbrachte ich viel Zeit mit ihm, verwöhnte ihn und zeigte ihm das bisschen Liebe, was noch in mir war.

Wir hielten zwei Generalproben ab, eine am Tag mit sämtlichen Rittergruppen, die nicht Teil der Cavalcade waren und am späten Abend mit nicht mehr der kompletten Besatzung, um lediglich noch einmal mit den Pyroeffekten zu spielen. Mario wollte wissen, wie gut sie wirkten und ob sie funktionierten. Ich würde getrennt von Nevado in die Arena laufen, ein bisschen spielerisch herumspringen, bevor ich ihn schließlich zu mir holte. Die Rolle fiel mir überraschend leicht, denn mir war klar, dass ich das nicht war. Ich war in diesen Momenten eine Waldelfe, die das schnellste und beste Pferd aus dem gesamten Land besaß, welches Ludwig, der gute Ritter, für sich wollte, damit er gewinnen konnte. Natürlich bekam er es, indem er es sich durch eine List mir abnahm. Als kurz darauf der böse Ritter, Fred, zu mir kam, kann ich ihm natürlich kein Pferd mehr anbieten und er bringt mich daraufhin um. Weil er ist ja böse und so. Und schwarze Ritter bringen nun einmal grundlos Menschen, in dem Fall auch Waldelfen, um. Dann wird meine Leiche vom Fußvolk aus dem Weg geschafft und zusammen mit ihnen warte ich dann am Rand auf meinen nächsten Einsatz, der erst wieder zu Ende der Show bei der gemeinsamen Abschlussrunde sein wird, die ich auf Nevado mitgaloppieren darf.

Die erste Generalprobe lief nicht so gut, weil mein Pferd durch die vielen Anwesenden im ersten Moment ziemlich irritiert war. Gerade, weil die Szenen ineinander übergingen und ich nicht wie üblich alleine in der Arena stand, sondern noch ein paar Leute um mich herum am abbauen der vorherigen Szene sind, die dann aber verschwinden und uns vollständig die Bühne überließen. Mein Teil war eine Übergangsphase, ein Lückenfüller, der gut in die Story eingebunden ist. Er musste mich inmitten der Menschen erst finden, bei der zweiten Probe wusste er allerdings dann, wo ich stand und daraufhin ging es gut.

Die zweite Schwierigkeit war die Dunkelheit, die wir auch in der Nachtshow um uns herum hatten. Aber da ich grell vom Schweinwerfer beleuchtet wurde, war das nach einer kurzen Diskussion auch kein Problem mehr. Nevado tat seine Sache gut, gerade die großen Entfernungen, die zwischen uns herrschten, waren ihm immer leichter gefallen und auf Zuruf und deutliches Handzeichen zeigte er inzwischen alles auch auf Distanz. Mario war zufrieden und ich auch.

Moondancer - PferdeträumerDonde viven las historias. Descúbrelo ahora