63. Zuhause

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Der heutigen Show sah ich entspannt entgegen. Es war der Freitag vom zweiten Wochenende und ich hatte gute Laune. Sam war ebenfalls an diesem Morgen aufgetaucht und sah deutlich verändert aus. Zwar trug er noch immer ein Bandshirt, dieses Mal stand in weißer Schrift „Die Krupps" darauf, doch seine Hose bestand aus gewöhnlichem, blauen Jeansstoff, der am Knie endete und dort ausfranste. Seine schwarzen Haare hatte er so gut es mit seiner Haarlänge eben ging, mit einem neongrünen Haargummi gebändigt und auch auf die Nieten hatte er ebenfalls verzichtet. „Hast du den Aufzug eigentlich nur veranstaltet, damit ich die Ähnlichkeit zwischen dir und Fred nicht bemerke?", wollte ich wissen, als er mich zu Vito begleitete. Es gab einige Bilder von Fred als jüngeren Mann, die ich gut kannte und Sam sah aus wie dem Älteren aus dem Gesicht geschnitten. „Nein, also... ja, ein bisschen. Sagen wir es so, ich habe etwas übertrieben, damit du es nicht gleich merkst, denn sonst hätte es dich nur verwirrt. Aber Fred meinte, er hätte es dir erklärt. Angelogen habe ich dich mit meinen Interessen nicht, nur habe ich sie etwas überspitzt dargestellt. So viel schwarz ist im Hochsommer sowieso nicht wirklich angenehm, also siehst du mich heute ganz in Zivil", antwortete er und sah mir zu, wie ich vorsichtig begann, meinen Falben zu putzen. Ich hatte ihn nicht angebunden, ich ließ ihn in seiner Box frei umherlaufen, damit er ausweichen konnte. Zu meiner Freude tat er das aber nicht, sondern döste mit angewinkeltem Hinterbein vor sich hin und schien meine ruhige Behandlung zu genießen. Ich nahm mir viel Zeit, um möglich ruhig und sanft zu sein.

„Das sieht doch wieder ganz harmonisch aus", kommentierte Sam irgendwann. „Vielleicht tut es das, doch ich kann ihn immer noch nicht verstehen. Aber er akzeptiert mich wieder", lächelte ich. Wir gingen ein Stückchen spazieren, gerade einmal um die Halle herum, doch es freute mich, dass er mir so brav folgte. Es war nicht so, als wäre nie etwas gewesen, er vertraute mir noch nicht ganz. Statt wie früher sich vollkommen auf mich zu verlassen, passte er auch mit seinen Ohren und Augen auf, was einige Male dazu führte, dass er vor unwichtigen Dingen erschrak. Einmal war es ein plötzlich auffliegender Vogel, der ihn zur Seite hopsen ließ, ein anderes Mal das Geräusch einer Motorsäge, die irgendwo weiter weg gerade einen Baum fällte.

Die Zeit verflog und so kam es, dass ich mich schon wieder für die Show richtete. Nevado verstand ich wieder besser. Der Schimmel nutzte das sogar zu seinem Vorteil aus und ärgerte mich ein wenig, indem er absichtlich so tat, als würde er mich nicht verstehen, obwohl er mir bereits am Anfang bewiesen hatte, dass er sehr wohl alles so auffasste, wie ich es ihm sagte. Ich akzeptierte diese kleinen Neckereien, sie entspannten die Atmosphäre zwischen uns und nahmen das Lampenfieber, das trotz dem letzten Wochenende, wieder ein wenig von uns Besitz ergriffen hatte.

Zumindest dachte ich das, denn sobald wir kurz vor dem Auftritt waren und Nevado sich von mir entfernte, wurde er extrem unruhig. „Was, wenn ich dich da drin nicht verstehe?", fragte er leicht panisch, doch ich schüttelte nur den Kopf, bedeutete ihm leise zu sein und nickte zur Arena. „Das schaffst du schon", redete ich ihm gut zu, da war er auch schon außer Hörweite. Ich mischte mich wieder unter die Menge, setzte mich auf den Boden einer der Aufgänge und wartete die paar Minuten bis zu meinem Auftritt. Die ersten Töne erklangen, da tänzelte ich schon vergnügt auf die Sandfläche. Ich sah Nevado auf seiner Position bereits tänzeln. Er machte der jungen Dame, die ihn hielt, ganz schön Mühe. Als ich schließlich das Zeichen gab, war sie froh, den Strick von seinem weißen Halfter zu lösen und ihn rennen zu lassen. Er stürmte seinen Weg hinunter, rannte seine Runde und kam dann außer Atem zu mir. Er hatte immer noch ein wenig Angst. Für einen Moment erlaubte ich es mir, inne zu halten und seinen Kopf zwischen die Hände zu nehmen. „Hör zu, alles ist gut. Entspann dich einfach, genieße es", flüsterte ich und machte mit der Freiheitsdressur weiter.

Er sah noch einmal zu mir, doch war dann so unkonzentriert, dass nur jede zweite Übung klappte. Vielleicht hatte er heute einfach einen schlechten Tag.

Moondancer - PferdeträumerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt