44. Verwirrung

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Ich schien wohl eingeschlafen zu sein, denn ich erwachte, als Leben in den Stall einkehrte. Lebrero lag ruhig neben mir. Er war zwar wach, hatte mich aber wohl schlafen lassen, denn er hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Obwohl er gehört haben musste, dass es Frühstück gab. Ich rutschte von seiner Seite weg. „Tut mir leid", murmelte ich. „Warum denn?" „Es gibt Frühstück und ich habe dich doch davon abgehalten, oder nicht?", erklärte ich zerknirscht. „Ach was. Der Futterwagen war noch nicht einmal hier", meinte er sanft und ich lächelte erleichtert. Dann stand ich auf und schüttelte mir das Stroh von der Hose. „Ich lass dich dann mal in Ruhe. Vielleicht sehen wir uns später", verabschiedete ich mich. Das Pferd stand auf und kam noch einmal auf mich zu. „Pass auf dich auf", wies er noch an und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Ich umarmte ihn kurz und ging dann tatsächlich.

„Hast du im Stall übernachtet?", fragte Mario überrascht, als ich die Küche betrat. „Dir auch einen guten Morgen", erwiderte ich schnippisch im Angesicht seiner Direktheit, „Und ja". Abwehrend hob er die Hände. „Schon gut. Guten Morgen" Er blieb ruhig und nippte weiter an seiner Kaffetasse und ließ seinen Blick immer wieder zwischen Tablet, auf dem er Zeitung las, und der Uhr hin und her wandern. Offensichtlich hatte er mal wieder kaum Zeit. Ich ließ mich ebenfalls auf einen Stuhl fallen, angelte mir ein Pain au Chocolat aus dem Korb, der in der Mitte stand und begann ein wenig daran herum zu knabbern. Mario hob verwundert die Augenbrauen. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Es war inzwischen eine Weile her, dass ich tatsächlich freiwillig und ohne fremde Aufforderung in diesen Korb gegriffen hatte. Lebrero hatte mir in den vergangen Stunden ein wenig die Seele leichter gemacht, wenn er es auch nicht geheilt hatte.

„Wie weit bist du eigentlich mit deiner Nummer?", meldete sich Mario plötzlich zu Wort, als ich das halbe Schokobrötchen schon gegessen hatte. „Kaltenberg?" „Hmh", nickte er leicht. „Keine Ahnung. Ich hatte mal einen Plan, aber die Pferde kennen den nicht, also zumindest Vito. Sag du mir, wie ich ihn dazu bringe, dass er mir wieder zuhört", seufzte ich. Jetzt sah er auf. „Er hört dir nicht zu? Interessant..." Er wandte sich wieder seinem Tablet zu, legte es mit einem Blick auf die Uhr aber wieder zur Seite und hastete mit eiligen Schritten aus der Küche. Ich aß mein Frühstück fertig, zog mir noch schnell frische Reitklamotten über und ging dann ebenfalls hinaus. Sam saß draußen unter einem Baum im Schatten. Warum er jetzt schon im Schatten saß, anstatt die Morgensonne zu genießen, war mir ein Rätsel. Aber er war sowieso so bleich, vielleicht genau deshalb.

„Guten Morgen, Hanna", begrüßte er mich. Ich nickte zur Erwiderung. „Was machst du da?", wollte ich wissen und blieb vor ihm stehen. „Auf dich warten. Beziehungsweise eigentlich auf Fred. Er wollte mir gestern noch etwas erklären. Aber ich schätze, der kommt erst irgendwann gegen Mittag", erklärte er. „Hmm... Bist du eigentlich so ein Gothic, oder wie auch immer man das nennt?", kam ich auf sein Aussehen zu sprechen. Er trug die gleiche Hose wie gestern, allerdings ein anderes Oberteil. Es war, natürlich, schwarz und trug in Weiß die Aufschrift: ‚Eisfabrik'. Vermutlich war das irgendeine Band. „Man nennt es Goth, nicht gothic. Gothic ist der Name der Szene. Und ja, ich glaube, ich bin das. Hat aber nicht nur etwas mit dem Aussehen zu tun, sondern viel mit der Weltanschauung, Musikgeschmack und Vorlieben. Wenn du mich unbedingt irgendwo einordnen willst, dann irgendwo zwischen Metalhead und Goth. Ich treibe mich sowohl auf dem M'Era und dem WGT, als auch auf dem Breeze und wenn sich die Gelegenheit ergibt, auch auf Wacken herum", zählte er auf. Ich kannte nicht einen Begriff davon. „Aha. Und ich dachte immer, du verbringst deine Zeit im Wald, als Hirsch oder so?" „Nicht immer", begann er zu lachen. „Ich lebe genauso ein Leben wie du nebenher. Nur vielleicht ein bisschen intensiver. Im Gegensatz zu dir werde ich schon als Kind darauf vorbereitet. Mit so viel Magie, die in deinem Körper steckt, musst du erst einmal umgehen können", er lächelte mild. „Also wirst du dein ganzes Leben darauf trainiert, mir irgendwie beizustehen, oder wie?" Die Vorstellung war mir irgendwie unangenehm. Doch er zuckte nur mit den Schultern. „So in etwa. Es ist eigentlich viel komplexer, doch das Meiste kann und darf ich dir noch nicht erzählen" „Und wann darfst du das?", bohrte ich weiter. „Vielleicht nächste Woche schon, vielleicht erst in zehn Jahren, vielleicht gar nicht" Ich verzog das Gesicht bei der ungenauen Antwort, traute mich aber nicht mehr zu fragen. Auch wenn vor mir ein ‚Goth' saß, etwa in meinem Alter und eigentlich ein ganz sympathischer junger Mann, war er dennoch Cernunnos, eine Gottheit und damit eine Respektperson. „Und für was steht das auf deinem T-Shirt?", nahm ich das Gespräch dann wieder auf. „Eisfabrik? Das ist eine ziemlich gute Band. Die machen sehr elektronische Musik und ist für empfindliche Ohren deshalb überhaupt nichts. Deshalb sehe ich mir die nie live an. Aber daheim finde ich die richtig gut. Die haben ganz interessante Texte und irgendwie mag ich die Melodien und vor allem den Gesang in der Musik. Ist aber sehr Techno, nicht unbedingt das, was ich sonst so höre. Aber ich höre ja auch sehr viel Musik, gerade aus dem Gothic Bereich sowieso alles und aus dem Metalbereich auch fast alles. Es gibt überall schlechte Lieder und nicht ganz so gute Künstler, doch am meisten mag ich wirklich die Bands aus diesen Genres. Kann ich dir nur empfehlen, wenn du da mal hinein hören willst" „Aha. Klingt nicht so, als ob mir das gefallen würde", meinte ich nachdenklich. Der Goth zuckte mit den Schultern. „Jeder hat eine andere Persönlichkeit und deshalb auch einen anderen Musikgeschmack"

Moondancer - PferdeträumerDonde viven las historias. Descúbrelo ahora