51. Und wieder wird es schwarz

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Es war einige Tage vor dem Auftritt, als ich es zum ersten Mal seit langem wieder wagte. Vito zu reiten. Der Wunsch kam von mir. Was sollte schon groß passieren, ich war eh schon am Boden zerstört. Und wenn er sich wieder in die Ecke stellte und sich verweigerte, dann rechnete ich damit. Zuerst ließen wir ihn in der Halle rennen, damit er sich austoben konnte und danach ritt Marion ihn einige Runden in Dressur. Sie hatte zwar einige Auseinandersetzungen mit ihm, er stellte sich tatsächlich hin und begann freudig mit seiner Reiterin darüber zu diskutieren, ob er jetzt weiterlaufen sollte oder nicht, doch das war es auch schon wieder. Bisher hatte er noch niemals jemanden abgeworfen, selbst in seiner bockigsten Zeit nicht. Er schlug nach keinem Menschen aus, er biss nicht, er trat nicht nach uns, er achtete stets auf unsere Gesundheit. Wenn er jedoch weit genug von uns entfernt war, ließ er gerne das Rodeopferd hinaus, sodass ich manchmal echt damit rechnete, er würde dasselbe unter einem Menschen tun. Doch abgesehen von heftigen Schweifschlagen, empörten Hufestampfen, missmutigem Kopfgeschüttel und das bloße Verweigern mit ‚Ich gehe jetzt keinen Meter mehr weiter', tat er nicht. Ein weiterer Beweis dafür, dass er sehr wohl wusste, was er da tat und immer noch eine gute Seele hatte. Also schlug ich nach ihrer anstrengenden Einheit vor, dass ich mich dafür bereiterklären würde, ihn ein paar Runden trockenzureiten.

Marion war überrascht, da ich in letzter Zeit, abgesehen von Nevado, kaum auf einem Pferd freiwillig gesessen war. „Woher kommt der Sinneswandel?", wollte sie wissen als sie abstieg und mir die Zügel überreichte. „Immerhin ist er immer noch mein Pferd und vielleicht habe ich auch die Hoffnung, dass es sich dadurch wieder zwischen uns einpendelt. Wenn er bei Fred schön gehen kann, kann er das bei mir wohl auch, oder nicht?" Schulterzuckend hielt sie ihn am Zügel fest, während ich aufsaß. „Vielleicht? Hoffen wir das Beste. Abwerfen wird er dich ja sicher nicht, das traue ich ihm kaum zu. Wenn irgendwo da drin noch der alte Vito ist, wird er dich immer noch kennen", sagte sie und strich über das weiße Abzeichen auf seiner Stirn, welches meistens unter seinem langen, schwarzen Schopf verborgen war.

Ich lächelte und nahm die Zügel ein wenig auf, damit sie nicht vollständig durchhingen, aber trotzdem lang genug zum Entspannen waren. Dann drückte ich vorsichtig meine Unterschenkel gegen seinen Bauch und nach einem unsicheren Blick setzte er sich tatsächlich in Bewegung. Ich ließ ihn ganz ruhig an der Bande entlanglaufen, genoss dabei die schmerzlich vermissten weichen Gänge. Nevado hatte einen schwungvolleren Gang, er war längst nicht so weich zu sitzen wie das Tier unter mir. Vito war unruhig, ich spürte das, er ging etwas schneller als vorhin bei Marion im Schritt und sah dabei immer wieder nervös zu mir und durch die Halle. Beide seiner Ohren waren auf mich gerichtet, doch ich redete kein Wort mit ihm, um ihn nicht zu verwirren.

Stattdessen versuchte ich möglichst Ruhe zu vermitteln, indem ich mich selbst entspannte und ihn entscheiden ließ. „Wo hast du eigentlich deinen Reithelm?", fragte mich meine Freundin grinsend, die es sich auf der Bande bequem gemacht hatte. „Ich habe den so selten gebraucht... Der müsste irgendwo in der Sattelkammer liegen. Als ob du einen getragen hättest", zog ich sie auf. Stuntreiter waren da selten ein Vorbild. In der Show wurde stets ohne Helm und wenn überhaupt, mit Ritterhelm geritten. Im Training zogen manche einen auf, doch auch da nur die Wenigstens. Wer gefährliche Stunts ohne Helm machen konnte, konnte auch ein Pferd ohne reiten. Und die meisten unserer Pferde waren ja auch Verlasspferde. Die konnten durch Feuer galoppieren und ließen sich von Menschenmengen nicht beeindrucken, da passierte ein Sturz sehr selten. Dennoch kam es vor und sollte deswegen eigentlich nicht unterschätzt werden. Wenn jemand fiel, dann mit Absicht. Viele trugen deshalb Knieschoner, Handschuhe, und Schulterpads, die dann den entsprechenden Fall abdämpften. Häufig war sogar der Sand in der Arena an den Stellen, auf die man fiel, besonders gelockert und nicht festgefahren. Und trotzdem gab es immer wieder blaue Flecken und man hörte auch von bösen Unfällen... Berufsrisiko. Im Großen und Ganzen war es ja professionell und uns war zu jeder Sekunde bewusst, was wir da taten und vor allem in der Show geschah nie etwas Ungeplantes. Das erforderte natürlich langes Training, welches ich noch nicht hatte und wenn überhaupt, erst bekommen würde. Die Grundlagen waren mir klar, dennoch, beim Tjosten durfte ich sicherlich die nächsten paar Jahre nicht mitmachen. Denn in dieser Disziplin musste jeder Handgriff sitzen.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now