39. Geborgenheit

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Wir waren beide fertig nach dem Training. Sowohl mein Pferd, als auch ich. Seelisch und körperlich. Vito war die Belastung nicht mehr gewohnt und sah jetzt ziemlich erschlagen aus. Ich war innerlich total aufgewühlt, wusste nicht, wie ich auf sein Verhalten zu reagieren hatte und wie ich weitermachen sollte. Einerseits, war mir klar, dass es wieder funktionieren könnte. Dass wir funktionieren könnten. Und da lag das Problem: Wir könnten funktionieren, aber ob wir jemals wieder das werden könnten, was wir mal gewesen waren?

Nachdem ich beide Pferde versorgt hatte, stand ich noch eine Weile bei Vito und kraulte ihn am Rücken. Er wirkte, als hätte ich einen Aus-Knopf gefunden und ihn betätigt. Er schien zu dösen, aber auch hellwach zu sein. Er schien wie eingefroren und doch entspannt. Keine Reaktion, ob ihm meine Streicheleinheit gefiel, nur das leichte Heben und Senken seiner Flanken zeugten davon, dass er atmete und somit lebte.

„Lass uns einfach Kaltenberg durchstehen. Dann sehen wir weiter, ja?", murmelte ich noch zum Abschied und verließ ihn wieder. Von ihm kam keine Reaktion. Apathisch wie eine leblose Hülle. Vielleicht hatte es ihn innerlich auch so angestrengt wie mich. Der Versuch auf mich zuzugehen, obwohl es irgendwie nicht ging. Da war eine Blockade über meinen Gedanken und meiner Bindung zu ihm, die jeden Annäherungsversuch unmöglich machte.

Draußen trainierte ein weiteres, wichtiges Pärchen für Kaltenberg. Fred und sein dunkler, vierbeiniger Freund Lebrero. Lea lag als Hund zu Fuß der Begrenzung und beobachtete ihn. Ich ließ mich neben sie sinken und vergrub meine Finger in dem warmen, tröstlichen Fell. Von unten sah ich auf diese Weise einem meiner Lieblingsmenschen beim Reiten zu. Es sah so gut aus. Ich wusste zwar, dass Fred schon einige Zeit täglich mit seinem Pferd arbeitete, doch ich wusste auch, dass Mario den hübschen Hengst bereits beinahe aufgegeben hatte. Zu schreckhaft, zu mutlos, zu wild für das Stuntreitgeschäft. Doch Fred liebte solche Herausforderungen. Er liebte Pferde, die von sich aus motiviert waren. Die vorwärts liefen, die ihrem Reiter von sich aus alles gaben. Lebrero war so einer. Nur musste sein Potenzial erst in die richtige Richtung gelenkt werden und er musste ruhiger werden und seinem Reiter vertrauen können. Das hatte Fred ihm mit viel Geduld und Zeit beigebracht. Er nahm sich einfach die Zeit, ließ alles langsam angehen und überredete statt zu fordern.

Eine Weile betrachtete ich den schwarzen Ritter und sein Streitross, das vom Charakter so anders war als das, was man aus den Büchern kannte und von einem Pferd des schwarzen Ritters erwartete. Warum klappte das eigentlich bei ihm und nicht bei mir? Ich verdrängte den Gedanken, fuhr mir mit einer Hand durch die Haare und heftete meinen Blick wieder auf ihn.

Irgendwann ließ er die Zügel aus der Hand gleiten und überließ es seinem Tier, das Tempo seines Schritts zu bestimmen. Dabei saß er trotzdem konzentriert im Sattel, um Ruhe und Vertrauen auszustrahlen. Erst, als er abgestiegen war und in meine Richtung kam, begrüßte er mich. „Schön dich zu sehen, Hanna", sagte er gelassen. Ich erwiderte seinen Gruß. „Darf ich dich ein Stück begleiten?", fragte ich dann höflich. „Nur zu", meinte er schulterzuckend und hüllte sich anschließend wieder in sein gewohntes Schweigen.

Ich blieb ebenfalls stumm. Wo mir einen Augenblick noch so viele Fragen durch den Kopf geschwirrt waren, waren sie jetzt wie in Luft aufgelöst. An ihrer Stelle hatte sich, wie so oft in letzter Zeit, ein Kloß der Erkenntnis gebildet. Ein fettes, hässliches Teil, was alles andere nicht durch meine Gedanken durchließ. Gefüllt mit all den Erinnerungen, die ich so erfolgreich zu verdrängen versuchte. So sah ich einfach zu. Überließ den Farben, den Bewegungen, den Geräuschen, die um mich herum passierten, freies Geleit.

„Was ist eigentlich mit dir los?", fragte Fred irgendwann. Ich zuckte von seiner plötzlichen Wortmeldung zusammen. „Hm?", gab ich verdattert zurück. „Du bist viel stiller als früher. In dich gekehrt. Irgendwie", murmelte er vorsichtig. „Also, nicht, dass es mich stören würde", fügte er dann noch schnell hinzu. Fast ein wenig zu schnell. Ich zuckte mit den Schultern. „Kann sein". „Mhm", machte er nur nachdenklich und bearbeitete weiter sanft den dunkelbraunen Rücken seines Pferdes. „Erzähl mir etwas", sagte das Tier plötzlich. Überrascht sah ich auf. Es war lange her, dass mich ein Pferd so direkt angesprochen hatte.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now