60. Die Entscheidung // Moondancer

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Ich erwachte in meiner menschlichen Gestalt. Zuerst überlegte ich, ob ich tot sein könnte, so sehr sah meine Umgebung danach aus. Alles war weiß. Nicht krankenhausweiß, sondern Marmorweiß. Ich lag auf einem weißen Steinbett, welches keinesfalls unbequem oder kalt war, wie alles. Obwohl ich keine Schuhe trug und mein Körper lediglich ein weißes, sehr schlichtes Kleid bedeckte, war es angenehm. So angenehm, dass es irgendwie unnatürlich wirkte. Vorsichtig richtete ich mich auf und betrachtete meine Umgebung genauer. Die Helligkeit der Marmorsteine tat beinahe in meinen Augen weh.

Der Raum, indem ich mich befand, hatte eine hohe Decke, so hoch, dass ich sie kaum ausmachen konnte. Es hatte was von einem altgriechischem Tempel, die Verzierungen, die Bauweise, alles erweckte diesen Eindruck. Mein Zimmer hatte nur ein Ausgang und da es außer dem Bett sonst nichts gab, stand ich auf und lief auf das große Tor zu, welches von selbst aufschwang. Erst hatte ich erwartet, dass es auch außerhalb dieses Raumes aussah wie in einem griechischen Tempel, doch dem war nicht so. Eine große Wiese erstreckte sich vor mir. Die Farben dieser Natur waren so kräftig, als wären sie gemalt. Doch außer mir entdeckte ich auf Anhieb keine Lebewesen in der gleichmäßig grünen Landschaft. Ich drehte mich einmal um mich selbst, das Zimmer, in dem ich aufgewacht war, war Teil einer endlos langen, weißen Mauer, das Tor jedoch bereits wieder mit dieser verschmolzen, sodass es kein Zurück gab.

Langsam wurde mir mulmig zumute und ich überlegte, ob ich träumte. Dafür fühlte sich alles aber zu realistisch an. Unruhig setzte ich mich in Bewegung, lief einfach geradeaus auf die Wiese hinaus. Das Gras unter meinen nackten Füßen war angenehm weich und warm. Eine Weile genoss ich das Gefühl einfach über diese Wiese zu laufen, dann hörte ich plötzlich kräftiges Flügelschlagen. Ich traute meinen Augen kaum, als ein pechschwarzer Pegasus in mein Sichtfeld kam und mit einigen Metern Abstand zu mir landete. Er neigte grüßend den Kopf. „Mondtänzerin, du wirst erwartet", sprach er und legte die Flügel an, sodass sie mit seinem Körper verschmolzen, sodass er aussah wie ein ganz normaler Friese. „Von wem?", fragte ich und kam etwas näher. „Steig auf", forderte er mich auf, ohne auf meine Frage einzugehen und ließ sich vor mir ins Gras sinken. Ich tat wie geheißen, hinterfragte auch nicht mehr, sondern nahm es einfach hin.

Er löste seine kräftigen Flügel vom Körper, die einen wunderschönen Übergang von Fell zu Federn aufwiesen und nahm etwas Anlauf. Es war ein aufregendes Gefühl auf so einem prächtigen Wesen zu sitzen, das schließlich abhob und mit gleichmäßigen Flügelschlägen in den Himmel stieg. Der Pegasus visierte eine Wolke an, auf die er direkt zuhielt. Sanft glitten wir durch die Lüfte, immer näher darauf zu. Bis er schließlich die Wolkendecke durchbrach und sich die Umgebung erneut veränderte. Ich hatte erwartet, dass wir nur noch mehr Wolken sehen würden, doch vor uns tat sich ein Himmel auf. Die Wolkendecke war hier ein grasgrüner Boden, eine ewige Steppe, auf der verschiedenste Pferde grasten. Alte, junge, kräftige Kaltblüter und schlanke Vollblüter in allen Farben und Formen, die man sich vorstellen konnte. Ungläubig sah ich mich um, entdeckte in der Ferne weitere Landschaften, Wald, Seen und weitere Pferde, soweit das Auge reichte. Direkt vor uns erhob sich ein großer Hügel, der von Felsen und einzelnen Bäumen gesäumt war. Der Pegasus landete, legte die Flügel an und trabte direkt darauf zu.

Verwundert streckte ich die Hand nach einigen der friedlich grasenden Vierbeiner aus, doch sie wichen zurück oder ihre Gestalten verschwammen merkwürdig, als wären sie aus einem Nebel. „Was ist das?", fragte ich das Tier unter mir. „All die Seelen, die ihre Vollkommenheit als Pferd gefunden haben und auf der Erde nicht mehr benötigt werden", erklärte er und beschleunigte sein Tempo etwas. Fasziniert sah ich mich um, also tatsächlich so eine Art Pferdehimmel. Es wirkte alles so ruhig und idyllisch, genauso wie man sich ein Paradies vorstellte.

Wir kamen schließlich am Fuße des Hügels an, ein ausgetretener Pfad schlängelte sich direkt nach oben und endete in dem kleinen Wäldchen am oberen Ende. Der Pegasus verlangsamte zum Schritt und betrat diesen. Ich fühlte mich seltsam ruhig, wie im Traum, obwohl ich mir sicher war, dass es keiner war. Es dauerte noch einige Momente, dann erreichten wir unser Ziel endlich. Die Bäume standen weniger dicht aneinander als es von unten ausgesehen hatte und so konnten wir problemlos tiefer in das Wäldchen eindringen. Keine fünf Baumreihen später lichtete sich der Wald wieder und vor uns eröffnete sich eine kreisrunde Lichtung. In der Mitte standen einige große Felsen und eine zierliche, perlweiße Stute. Der Pegasus verbeugte sich und ließ mich dann absteigen.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now