59. Er lebt in dir // Moondancer

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Keine Ahnung, ob Fred vielleicht Marion eine Nachricht geschrieben hatte, sie ließ mich jedenfalls kaum aus den Augen, obwohl ich den gesamten Dienstag im Bett verbrachte, keine Menschen mehr sehen wollte, trotzig ihre Hilfsangebote ausschlug. Ich wusste, dass ich undankbar war, doch das war mir egal. Ich hatte keine Lust mehr. Auf nichts und niemanden. Ob man sterben konnte, wenn man lang genug einfach im Bett lag und sämtliche Nahrung verweigerte? Auf jeden Fall tat es weh und lenkte mich so von dem psychischen Schmerzen ab.

Am Mittwochmorgen reichte es Marion. „Los jetzt, steh wenigstens auf und iss etwas!", sagte sie streng und zog mir die Decke weg. Ich rollte mich in Embryo Stellung zusammen und protestierte schwach. „Hanna, los! Sonst hole ich Ludo...", warnte sie mich und ich gab mich geschlagen. Missmutig stand ich auf und schlafwandelte mehr als dass ich lief zur Dusche. Etwa eine Viertelstunde später saß ich an dem Tisch im Zimmer und knabberte unter Marions strenger Aufsicht an einem Nutellabrötchen. Kaum dass ich fertig gegessen hatte, war sie schon milder gestimmt. „Dass man dich immer erst zwingen muss...", murmelte sie kopfschüttelnd und zog sich bereits die Schuhe an. „Wohin gehst du?", wollte ich wissen und nahm mir einen Löffel voll Schokocreme direkt aus dem Glas, um es genussvoll abzuschlecken. Schoko machte glücklich, das konnte vielleicht gar nicht so schlecht sein.

„In den Stall. Die Pflichten rufen, falls du das vergessen hast. Und ich würde dich bitten mitzukommen", antwortete sie. Ich tunkte den Löffel erneut in das große Glas. „Muss ich?", fragte ich mit vollem Mund. „Ja", lautete ihre schlichte Antwort bevor sie aufstand und mir das Nutellaglas wegnahm. „Ich meine, mich freut es ja, dass du wieder ein wenig Appetit hast, aber die Anderen wollen auch noch", erklärte sie und schraubte es vor meiner Nase zu. Ich zog eine Grimasse und leckte den Löffel endgültig sauber. Bloß keine Verschwendung des braunen Goldes. Als sie ungeduldig mit ihrem Autoschlüssel wedelte, verdrehte ich nur die Augen, beeilte mich aber tatsächlich ein wenig mehr.

Ich weigerte mich, die Pferde zu besuchen und schlenderte stattdessen über das Gelände. Nachdem ich bereits meine vierte Runde um das Schloss gedreht hatte, traf ich auf Fred. Er nickte mir lediglich zu, blieb ansonsten sehr verschlossen. Er hatte Lebrero bei sich, der ihm geduldig folgte und mir lediglich einen kurzen Blick schenkte. Es war mir nicht entgangen, wie prüfend er geschaut hatte, doch ich senkte nur meinen Kopf und starrte auf den Boden.

Der Abend kam und ging. Es ging mir erstaunlich gut. Fast zu gut. Würde ich nicht wissen, dass heute Vollmond wäre, hätte ich es gar nicht gemerkt. Das realisierte auch mein Lieblingskomponist, der an einem Holztisch saß, einer seiner Zigaretten rauchte und schweigend in die Natur starrte. Ich saß ihm gegenüber und beobachtete in dabei. Irgendwann ergriff er das Wort. „Das Pferd in dir ist schwach", murmelte er gedankenverloren und sah an mir vorbei. „Wie?", fragte ich verständnislos. „Ganz richtig, du wirst dich heute nicht aus eigener Kraft verwandeln", meinte er und richtete seine Konzentration auf mich. „Wieso?", bohrte ich weiter nach. Langsam stieß er den Rauch aus. „Weil du es verdrängt hast. Du bist mehr Mensch als Pferd. Und obwohl der Mond dem Pferd in dir seine gesamte Kraft schenkt, reicht es nicht mehr aus um die starke, menschliche Hülle zu durchbrechen. Gib mir deine Hand", forderte er und deutete auf die Tischplatte. Offen hielt ich ihm beide Hände hin. Er drückte die Zigarette am Boden aus und griff dann nach einer. Erst spürte ich gar nichts, dann wie eine gewaltige Präsenz mich umfing, rücksichtslos sich durch meinen Geist wühlte und schließlich das schwache Licht ausmachte, welches das Pferd in mir war. Die grün schimmernde Macht von Fred umfing es, brachte es zum aufleuchten und zerrte es schließlich an die Oberfläche. Diese Prozedur tat höllisch weh, als würde er mir ein Organ bei vollem Bewusstsein entreißen.

Es drängte an die Oberfläche, bohrte sich in meine Zellen, brachte sie zum brennen und ich keuchte erschrocken auf, riss mich von ihm los. Vor Schmerzen krümmte ich mich zusammen und presste ein „Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen?" hervor. Der Mann lehnte sich etwas zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Lass es einfach zu, ignoriere es nicht länger", wies er an. Er hatte gut reden. Mein Körper brannte wie Feuer ich realisierte nur noch zur Hälfte, dass meine Knochen sich der neuen Figur anpassten, weißes Fell aus meiner Haut schoss und ich von der Bank rutschte, um mich nicht einzuklemmen. Ich hatte Mühe damit, mir meine Sachen vom Körper zu streifen, um wenigstens diese am Leben zu lassen. Fred sah kommentarlos zu, erst als ich wirklich den Verdacht hatte, diese Verwandlung nicht mehr zu überleben, erhob er sich und legte seine Hand auf meine Stirn. Sofort nahm der Schmerz ab, neue Energie floss in meinen Körper und die Veränderung meiner Anatomie verlief sanfter. Ich versuchte etwas Dankbarkeit zu übermitteln, wusste aber nicht, ob ich damit durchkam. Jedenfalls lag ich kurz darauf vor ihm und realisierte als erstes, dass meine Mähne mich nicht mehr mit ihrer Länge nervte. Durch meinen menschlichen Haarschnitt war sie auf eine angenehme Länge geschrumpft.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now