24. Der See

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Am Dienstag zog ein Hoch von Spanien aus über Europa und brachte uns unerträgliche Afrikahitze. Obwohl es erst Ende April war, bekamen wir so schon einmal einen Vorgeschmack zum Sommer. Ich persönlich mochte es nicht so und gerade in der Schule wurde es viel zu schnell stickig. Außerdem ließ mich mein Kreislauf im Stich, der wegen meinem psychisch eher instabilen Zustand sowieso schon angeschlagen war. Ich litt fast laufend unter Kopfschmerzen und hatte bisweilen damit zu kämpfen, nicht einfach umzukippen. Die heißen Temperaturen sollten auch bis zum Wochenende anhalten, weshalb ich die Arena nur zum Bewegen meiner Pferde betrat, die ebenfalls so unmotiviert waren wie ich. Vito lief in den aktuell nur zwei Shows am Tag unter Marion, um ihn musste ich mich gar nicht mehr kümmern. Nevado longierte ich entweder oder ließ ihn einfach etwas in der Halle freilaufen.

Ludo fand meine Faulheit nicht ganz so prickelnd, tolerierte sie aber mit zwei zugedrückten Augen. Ich bekam für meine nicht geleistete Arbeit auch keinen Lohn, sonst hätte er wahrscheinlich anders reagiert. Selten hatte ich so wenig Lust verspürt, nach Rust zu fahren. Ich hatte zu nichts mehr Lust. Fand keine Freude mehr an Dingen, die früher mein Leben erhellt hatten. Mein halber Tag bestand aus Schlafen, denn nur im Schlaf wurde mir die Last von den Schultern genommen, ich spürte nichts mehr, ich empfand nichts mehr, ich konnte nicht mehr Nachdenken. Obwohl mein Zustand immer noch besser war, wie zu dem Zeitpunkt, als Vito gegangen war. Zurückblickend fand ich die gesamte Aktion von mir ziemlich lächerlich. Er ist und war schon immer nur ein Pferd.

Erst am Donnerstag fielen die Temperaturen etwas. Trotzdem war es noch warm genug, dass ich in Shorts und Top im Unterricht saß und sehnsüchtig das Schulende herbeisehnte. Marion hatte mir am Morgen geschrieben, ich solle doch Badesachen einpacken, sie würde mich nach der Schule abholen. Sie hatte heute frei und wollte uns etwas Gutes tun. Was genau sie machen wollte, hatte sie nicht verraten, aber es musste wohl mit Schwimmen zusammenhängen. Endlich erlöste uns der Gong. An Marions blauem Renault hing ein Pferdeanhänger, was mich überraschte und auch ein wenig komisch aussah. Ihr Auto war nicht das Größte und dahinter der Hänger sah fast zu mächtig für das kleine Gefährt aus. Ich ließ meine Tasche auf den Rücksitz fallen und setzte mich dann auf den Beifahrersitz.

„Hi", grüßte ich und schnallte mich an. „Hallo, Hanna. Wie war die Schule?", fragte Marion und startete das Auto. „Wie üblich. Könnte besser sein", murmelte ich. Erschöpft lehnte ich mich nach hinten und schloss für einen Moment die Augen. „Deswegen werde ich dich jetzt aufmuntern. Wann hast du eigentlich das letzte Mal gelächelt?", fragte sie viel zu gut gelaunt. „Keine Ahnung", wich ich aus. Ich konnte mich nicht erinnern, diese Woche überhaupt an irgendetwas Freude gehabt zu haben. „Und bleich bist du auch. Jetzt haben wir doch so ein schönes Wetter und deine Haut hat immer noch die Farbe von Kalk", versuchte sie es weiter, doch erneut zuckte ich nur mit den Schultern. „Jetzt komm schon. Ich habe die Pferde dabei und wir gehen schwimmen! Was gibt es Schöneres?" Zum ersten Mal an diesem Tag entlockte sie mir ein klitzekleines Lächeln. „Ok, du hast gewonnen", sagte ich leise. „Na, also. Geht doch!", freute sie sich.

Wir fuhren ein ganzes Stück über die Autobahn, immer in Richtung Vogesen. Der Bergzug in Frankreich, gegenüber vom Schwarzwald, war für seine schönen Wanderwege bekannt. Marion fuhr ein ganzes Stück den Berg hoch, mitten in den Wald hinein. Zusammen mit dem Hänger hatte ihr Auto ganz schön etwas zu tun, doch wir schafften es bis zu dem Zielpunkt. Einem kleinen Wanderparkplatz inmitten des Waldes. Jetzt war ich doch neugierig, wo sie mich hinbringen wollte. „Ab hier müssen wir zu Fuß gehen. Willst du reiten oder sollen wir führen?", fragte sie und stieg aus. Ich tat es ihr gleich und wir gingen um das Auto herum zum Hänger. „Keine Ahnung, ich weiß immer noch nicht, wo du genau hinwillst", antwortete ich und half ihr die Klappe zu öffnen. Wie erwartet fand ich Nevado und Vito darin vor. Die zwei Pferde drehten erwartungsvoll die Köpfe und Nevado begrüßte mich mit einem leisen Wiehern. „Ein Stück ist sehr steil, da müssen wir sowieso führen, aber den Rest können wir gerne reiten", schlug meine Freundin vor und ich nickte zustimmend. „Nimmst du Jovito? Ich denke, ihr beide kommt besser miteinander klar" „Wenn es dir nichts ausmacht, dann klar, gerne!", freute sie sich und wir luden die Tiere aus.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now