12. Gespräche

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Es tutete eine Weile, ehe jemand ranging. „Luraschi?", meldete sich jemand und mir wäre beinahe das Handy aus der Hand gefallen. „Hallo", sagte ich leise, zu mehr war ich im ersten Schockmoment nicht fähig. „Hanna", ertönte es ruhig an dem anderen Ende der Leitung. Seine Stimme zu hören war wie eine Wohltat. Und gleichzeitig auch ein Messerstich in den Bauch. Meine Beine begannen zu zittern, ich ließ mich an der kalten Steinwand des Stalls zu Boden sinken, fuhr mir mit meiner freien Hand verzweifelt durch die Haare. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, er hatte mich überrascht.

„Hanna?", fragte er erneut. „Bist du noch da?" „Ja", sagte ich leise. „Es freut mich, deine Stimme wieder so nah zu hören", sagte er leise. „Skype ist so unpersönlich", pflichtete ich ihm bei, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich total fertig klang, aber das war ich auch. Vor ihm brauchte ich mich nicht verstecken und er hatte mich definitiv überrascht. „Alles in Ordnung?", kam es besorgt von ihm. „Ja... es ist nur. Ich wollte eigentlich mit Mario sprechen", meinte ich und umklammerte das Handy fester. „Hör zu...", begann Marco, „Ich vermisse dich... Ich...", er brach ab. „Es hat sich nichts geändert", sagte ich sanft, versucht um eine feste Stimme. „Ich spüre immer noch die Schmerzen, es geht nicht... Warum lässt du nicht einfach los und suchst dir jemand anders?" Ich wollte es nicht sagen und trotzdem tat ich es. Marco seufzte leise. „Ich gebe dir jetzt Mario", sagte er ausweichend und kurz darauf hörte ich ein Rascheln, dann die Stimme Marios. „Ja?", meldete er sich.

Ich atmete tief durch, versuchte mich zu sammeln. „Warum hast du es erzählt?", fragte ich trocken. „Hallo, Hanna", er hielt kurz inne. „Du meinst Ludo, oder?" Ich bestätigte. „Weil er es wissen sollte. Er ist für die Show bei euch verantwortlich. Du kannst gegenüber dem Park keine Geheimnisse haben und vor Ludo als deinen Vorgesetzten schon zweimal nicht. Wann lernst du das endlich?" „Du hättest mich wenigstens vorwarnen können und es ihm nicht einfach so erzählen können!", brummte ich sauer. „Dann hättest du es abgestritten und versucht mich zu überreden, es nicht zu tun. Was ist so schwer daran, damit offen umzugehen! Es ist doch nicht schlimm, solange du es nicht verleugnest und Lügen erzählst" „Das ist Unnatürlich! Magie hat es eigentlich nicht zu geben. Und das weißt du genauso gut wie ich" Mario blieb still.

„Ich weiß", sagte er irgendwann. Ergeben seufzte ich. „Sag mir nächstes Mal Bescheid, bevor du es erzählst, mehr verlange ich gar nicht..." Ich machte eine Pause. „Ich will nicht, dass es so endet wie mit Nathalie. Ich will mich nicht umbringen müssen", fügte ich leise hinzu. Es blieb wieder still am anderen Ende der Leitung. Ich wusste, dass es gewagt war, Nathalie als Trumpf auszuspielen, doch manchmal musste ich es. Er durfte nicht vergessen, dass wir trotz der übernatürlichen Fähigkeit nur normale Menschen waren, die ein empfindsames Gemüt hatten. „Ich muss wieder an die Arbeit", meinte er schließlich nachdenklich und verabschiedete sich. Ich tat es ihm gleich und strich mir dann eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Es war so ungewohnt, statt dem vertrauten Braun jetzt das Blond zu sehen.

Am nächsten Tag ergab sich wirklich, dass ich die Wohnung bekam, ich würde sie aber nach jeden Ferien kündigen müssen und vor den Ferien noch einmal neu beantragen müssen. Das war zwar kompliziert, aber musste sein, wenn ich nicht durchgängig zahlen wollte. Lena nahm ich am Morgen mit auf einen Spaziergang. Sie war von Nevado, den sie an der Hand hatte, total angetan, aber der junge Hengst war wahrhaftig auch ein Traum von Pferd. Fehlte nur noch der Prinz, aber meiner war momentan etwa 700 Kilometer entfernt. Vito sträubte sich nicht gegen mich, nahm meine Hilfen aber nur ungern an und erschrak bei jedem Geräusch. Mir tat es im Herzen weh, bei ihm eine so harte Hand an den Tag legen zu müssen.

Lena fiel es irgendwann auf. „Ich muss gestehen, ich habe Bilder gesehen, auf denen sah eure Beziehung besser aus", sagte sie irgendwann. „Es hat sich etwas verändert, aber ich weiß nicht, was..." Niedergeschlagen sah ich kurz zu meinem Pferd, der für einen Moment einen schuldbewussten Ausdruck hatte, ehe seine sich Miene wieder verschloss. „Es ist nicht deine Schuld", geisterte für einen Moment in meinem Kopf herum, dann verschwand der Gedankenfetzen wieder, bevor er richtig von mir realisiert wurde. Vielleicht war es aber so. Vielleicht hatte ich irgendetwas getan, was ihn verändert hatte. Ich war nie fähig gewesen, ein Pferd auszubilden. Was machte ich eigentlich bei der Cavalcade?

Diese Identitätskrise hatte mich schon vergangene Nacht wach gehalten. Ich hatte schlecht geschlafen, irgendwelche Albträume gehabt, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte. Also hatte ich wach gelegen und mich mal wieder über den Sinn des Lebens den Kopf zerbrochen. Bis ich schließlich aufgestanden war und zum Stall meines Vaters gefahren war. Ich hatte mich eine Weile mit den Trabern unterhalten, über nichts Besonderes. Langweilige Geschichten von ihrem Alltag, von meinem Alltag, Geschichten von früher. Sie hatten mir für einen Moment das Gefühl gegeben, nicht vollkommen allein gelassen zu sein. Jedenfalls sah ich jetzt dementsprechend aus. Meine Augen waren vor Müdigkeit ganz trocken und ich wusste, dass meine Augenringe gefühlt mindestens bis zur Nasenspitze reichten. Schließlich verscheuchte ich den Gedanken daran und sah mich um, wo wir uns überhaupt befanden. Bisher war ich Lena hinterhergelaufen, die irgendeinen Weg einschlug, wie es mir schien. Wir liefen am Waldrand entlang, geradewegs wieder zurück zum Park. Es war die Stelle, an der ich Vito letztes Jahr freigelassen hatte, genau dort, wo er im Wald verschwunden war. Auch mein Pferd schien es zu bemerken. Er lief plötzlich ganz angespannt, mit aufgerichteten Ohren und hoch erhobenen Kopf, sodass ich Mühe hatte, ihn zu halten. Tänzelnd trabte er neben mir her und mein Griff um den Führstrick wurde stärker. Nevado sah ihm dabei amüsiert zu. „Was ist eigentlich dein Problem?", fragte der Weiße. Vito schmiss seinen Kopf herum, traf dabei beinahe mein Gesicht, sodass ich nach hinten taumelte. Für einen Moment sah er Nevado an, sagte aber nichts. Oder ich hörte es nur nicht, ganz sicher war ich mir nicht. Jedoch schien auch bei dem anderen Pferd nichts angekommen zu sein. „Hm?", wiederholte er deswegen fordern, „Was denn schon?! Oder ist der Hengst sich zu fein, um zu antworten?", provozierte er bewusst weiter. Überrascht sah ich nun ebenfalls Nevado an, wollte etwas sagen, doch mir fiel rechtzeitig ein, dass Lena anwesend war.

Dann drehte der Falbe wieder den Kopf, ignorierte den Jüngeren vollkommen. Ich kannte Vito zu gut. Er hätte es niemals auf sich sitzen lassen. Warum jetzt auf einmal?

Die erste Show überließ Marion mir. Damit ich mal testen konnte, wie es sich als Held des Spektakels anfühlte. Ich hatte still gehofft, dass ich meinen Falben reiten konnte, aber ich traute mich dann doch nicht und nahm einen alten Bekannten: Morendo, der aber auch nur zeitweise hierbleiben würde. Bis zu den Sommerferien oder so. Der ältere Herr war eine Lebensversicherung auf vier Beinen, zumindest für mich. So konnte ich mich ganz auf meine Darbietung konzentrieren, ohne groß auf ihn zu achten. Er lief sein Programm artig durch. Jedoch war es nichts Besonderes, nur wenige Menschen waren anwesend und so fühlte es sich mehr wie eine Probe an als eine offizielle Show. Nach der Show leistete ich ihm eine Weile Gesellschaft. Er fraß seine Karotten, die er als Belohnung immer nach einem solchen Auftritt bekam, aus meiner Hand.

„Hat dir Vito irgendetwas von sich erzählt?", fragte ich irgendwann und kraulte seine Stirn. „Nein, ich sehe ihn ja nicht häufig, wenn er immer vorne steht. Aber ich habe gehört, dass er gar nichts mehr erzählt. Nicht einmal seinem Nachbarn, Sentido, soweit ich weiß. Er versuchte ein paar Mal mit ihm zu reden, aber er blockt immer ab und ignoriert ihn... Hast du etwas mit ihm angestellt?", fragte das Tier und nahm erneut eine Möhre mit seinen weichen Lippen aus meiner rechten Hand. „Nein, deswegen frage ich dich ja, ich dachte, du wüsstest vielleicht etwas", murmelte ich und strich weiter mit der linken Hand über sein Fell. „Tut mir Leid, Moondancer, aber diesmal bin selbst ich überfragt", antwortete er und kaute genüsslich auf dem Gemüse. „Ist schon ok. Ich denke, es wird sich irgendwann klären. Auch wenn ich momentan darauf noch keine Hoffnung habe. Aber vielleicht, wer weiß", meinte ich etwas niedergeschlagen und schob ihm die letzte Karotte zwischen die Zähne. „Genug jetzt, sonst wirst du zu dick", schmunzelte ich und wischte mir die Hände an meiner schwarzen Reithose ab, die zu meiner Standartausrüstung gehörte. Vielleicht würde es sich wirklich irgendwann klären.

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Marion bedankt sich herzlichst für eure lieben Nachrichten am Ende des letzten Kapitels, genauso wie ich, dass ihr so tatkräftig mitgemacht habt.
Zitat: "Merci beaucoup tous ces messages sont très touchant"
Also auf Deutsch: Vielen Dank, alle diese Nachrichten sind sehr rührend" Ich habe übrigens alle Nachrichten weitergeleitet, die mich bis jetzt erreicht haben. Jedenfalls hat sie sich sehr gefreut :)


Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now