47. Kaltenberg

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Die Tage zogen an mir vorbei wie Herbstlaub einen Fluss hinab trieb. Es war heiß geworden. So heiß, dass das Arbeiten sowohl den Menschen als auch den Pferden eine Qual war. Ich hatte die komplette Planung für meinen Auftritt umgeworfen. Ich würde meine Szene mit Nevado alleine durchziehen. Vitos Fehlen konnte man verkraften, Nevado spielte eine tragende Rolle. Er spielte den legendären Schimmel, der dem König zum Sieg verhelfen soll. Natürlich hatte Mario mehrere weiße Pferde, so ritt Ludo, der den guten König spielte, eigentlich ein anderes Pferd, der Nevado vom Aussehen zwar ähnelte, aber eben nicht Nevado war. Mein Pferd musste nur in unserer Szene in die Arena. Ich selbst spielte tatsächlich den Naturgeist, der dieses legendäre Pferd besaß und der König suchte mich dann auf, um bei mir das Pferd zu holen. Normalerweise sollte ich als Naturgeist mehrere Pferde haben, mindestens zwei, doch das war jetzt eben nicht so. Ich musste dann halt zu Fuß die Arena verlassen. Dennoch plante ich auch einen Teil mit Vito, vielleicht kriegte er sich ja wieder ein und wir konnten ihn kurzfristig doch einsetzen. Üben tat ich ihn aber nicht. Dafür zeigte sich der Falbe nicht kooperativ genug.

Nevado und ich hatten unsere Szene schnell eingeübt und so verbrachte ich viele Tage damit, mit jenem Schimmel durch den Wald spazieren zu gehen. Meistens alleine, hin und wieder kam Fred mit Lebrero mit, doch der Komponist war seit letztem Vollmond schweigsamer denn je. Es gab keine Geschichten, keine Gleichnisse, einfach nichts. Immer wieder versuchte ich ihn zum Reden zu bewegen, doch er schwieg. Von Cernunnos beziehungsweise Sam hatte ich seit seiner überstürzten Abreise auch nichts mehr gehört. Ich hatte immer noch das Blackout von Vollmond und schätzte, dass in der Nacht irgendetwas passiert war, was wichtig war, ich aber nicht wissen durfte. Aus Lebrero, bei dem ich fast jeden Abend in der Box lag und Geschichten erzählte, bekam ich nur heraus, dass ich die komplette halbe Nacht wohl nicht mitbekommen hatte. Sonst verschwor auch er sich gegen mich. Ich war mir sicher, dass er gesehen hatte und wusste, was passiert war, doch er schwieg. Also gab ich irgendwann auf und ließ alles an mir vorbeiziehen.

Lea kam irgendwann wieder, aber dieses Mal wusste ich, dass ich sie mir einbildete. Und sie fühlte sich auch nicht mehr so real an. Sie war einfach da, wenn ich nachts alleine im Bett lag und gab mir das Gefühl nicht ganz so alleine sein. Und ihre Vorstellung lenkte mich von meinen Gedanken ab, denn oftmals nahm ihr Bildnis in meinem Kopf sämtliche Gedankengänge in Anspruch, damit ich sie überhaupt irgendwie sehen konnte. Meistens sah ich sie jedoch nicht und sie war nur eine Vorstellung in meinem Kopf.

Und dann kam der Tag der Abfahrt nach Kaltenberg. Ich fuhr im großen Pferdetransporter mit. Mario verließ sich darauf, dass ich sofort wissen konnte, ob es den Pferden gut ging. Denn die Fahrt war nicht ohne. Es waren 800 Kilometer und wir mussten den Tieren zuliebe regelmäßig Pause machten, wenn wir nicht sogar eine Nacht in Rust blieben, das auf halber Strecke lag, damit es nicht zu anstrengend wurde. Ich schlug das vor, doch Mario schüttelte den Kopf. „Nein, wir fahren durch, dann haben die Pferde nur einen Tag den Fahrtstress. Ich habe die Pferde heute Morgen schon bewegt, wenn du sie heute Abend noch einmal kurz laufen lässt, passt das. Es sei denn, es ist was mit ihnen. Dann fahrt in Rust durch und lasst sie über Nacht dort. Sonst verliert ihr aber nur Zeit", erklärte er. Na dann. Wenn er das so sagte. Obwohl wir bereits um sechs Uhr morgens losfuhren, mir war es übrigens ein Rätsel wie es mein Meister noch geschafft hatte, die Pferde zu bewegen, kamen wir erst um sieben Uhr abends an.

Es hatte alles ohne weitere Zwischenfälle geklappt und so versorgte ich die Pferde, während Ludo, der den LKW gefahren war, schon einmal in die Pension ging und sich schlafen legte. Er musste morgen mit dem großen Truck noch nach Rust und noch einen Schwung Pferde holen. Wenn es möglich war, nahm Mario viele Pferde aus meiner Heimat, damit den anderen die lange Reise erspart blieb. Gerade die Pferde waren auch wichtig, denn sie kannten die Menschenmasse aus der kleineren Arena gut und waren zuverlässig. In die Arena aus Kaltenberg passten zehnmal so viele Menschen hinein, was schon ein gehöriger Unterschied war.

Moondancer - PferdeträumerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt