58. Away

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Diese Erkenntnis hatte mich so hart getroffen, dass ich in den darauffolgenden Stunden kaum ansprechbar war. Mein Lebenswille war mit dieser Erkenntnis verloren gegangen, mir war klar, dass ich verloren hatte und die Hoffnung aufgegeben hatte. Wenn da noch irgendwelche Hoffnung gewesen war, weil Jovito bei Fred funktionierte, so war diese Hoffnung auch dahin. Vielleicht war Fred sein neuer Seelenpartner, sicherlich war er für ihn besser als ich. Fred tat ihm gut, er sollte bei ihm bleiben. Ich nahm mir vor, noch heute Abend mit Mario zu sprechen und ihm zu sagen, dass ich aufhören würde. Endgültig. Egal wie viel Moondancer noch in mir steckte, ich war dafür nicht geschaffen. Ich tat den Pferden mehr schlechtes als gutes. Ich war ein verdammter Träumer, jemand, der die Realität nicht sehen konnte, weil die Träume einfacher und leichter erschienen. Aber ein Pferdeträumer hatte hier in dieser Welt nichts verloren.

Marion blieb bei mir, sie hielt mich fest, doch irgendwann hielt ich auch das nicht mehr aus. Sie war immer so treu, sie tat das mit mir, was ich mit Vito tun sollte. Ich wollte allein sein und als ich ihr das sagte, respektierte sie das. Ich musste erst mit mir selber fertig werden. In den Stall konnte ich nicht gehen, ich wusste, dass ich es nicht aushalten würde. Wenn ich mein Pferd jetzt sehen würde, würde ich zusammenbrechen. Den ganzen Sommer war ich emotional nicht stabil gewesen, weil ich dachte, dass alle gegen mich waren. Dabei war ich gegen sie gewesen. Immer.

War ich überhaupt gut genug für diese Welt? War ich überhaupt berechtigt, hier noch länger zu leben, nachdem, was ich alles kaputt gemacht hatte?

Ich wollte nicht wieder in den Wald gehen, nicht schon wieder wollte ich so egoistisch sein und alle nach mir suchen lassen, wenn sie mich wieder nicht finden konnten. Ich blieb in Sichtweite des Stalles, setzte mich auf die Wiese, sah den Hügel hinunter und hing meinen Gedanken nach. Es musste einfach vorbei sein, ich sah keinen Weg mehr. Ach, was war ich noch naiv gewesen letztes Jahr. So leichtgläubig glücklich, da war alles noch neu und aufregend. Ich wollte einfach ein Mensch sein, einfach normal. Irgendwo einen Neuanfang starten, meine Vergangenheit hinter mir lassen, so wie Fred es mir geraten hatte.

Ob ich jemals wieder glücklich werden konnte?

Ich ließ mich nach hinten sinken, starrte den rötlichen Himmel an, der sich im Sonnenuntergang so farbig zeigte. Meine Hände lagen gefaltet auf meinem Bauch, meine Beine hatte ich angewinkelt. Mich hatte wieder eine seltsame Ruhe begriffen, ich kannte sie bereits. Meistens verkündete sie Unheil, doch solange ich einfach hier liegen blieb konnte nichts passieren. Dann musste keiner kommen, der sich um mich kümmern musste, weil ich selbst nicht mehr dazu in der Lage war. Ich war so abhängig. Alles hatte sich um mich gedreht. Die ganze Zeit. Weil ich nicht in der Lage gewesen war, selbstständig zu sein.

Oder hatte ich es einfach genossen, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen? War ich so erbärmlich geworden? Das ich unbewusst jemand erwartete und ständig wieder dumme Aktionen startete, sodass Menschen kommen mussten, die mich festhielten und trösteten? Und das nur, weil ich zu blind gewesen war, um Vitos Verzweiflung zu sehen. Ich wollte nicht mehr leben, es war für alle am besten, wenn ich das Gleiche tat wie Nathalie. Niemandem zur Last fallen, einfach gehen. Diese Lösung erschien so schrecklich einfach. Alles in mir war kalt geworden. Die Gefühle stumpf, der Kopf schwebte dahin. Es war meine Schuld. Von Anfang an.

„Hanna", sprach jemand leise. Fred. Der Einzige, der mich nicht Ronya nannte. „Geh weg", murmelte ich. „Nein", antwortete er schlicht und setzte sich neben mich ins Gras. „Geh einfach. Ich will nichts von euch wissen", wiederholte ich etwas lauter. „Nein", sagte er erneut und schüttelte den Kopf. „Marion hat mich mit deiner Theorie konfrontiert", begann er und zum ersten Mal sah ich ihn kurz an. Für einen Moment war da die Hoffnung, ich hatte doch Unrecht. „Sie ist korrekt", sprach er es aus und ich schloss gequält die Augen. Mir war wieder alles egal. Ich würde gehen. Sobald es mir möglich war.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now