Schließ nicht alle aus! (modern)

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Schließ nicht alle aus!

Astrid P.o.V.

Ich hasse es ein Mädchen zu sein. An manchen Tagen hasse ich es sogar überhaupt noch auf diesem Planeten zu sein. Ich bin 17 und hab seit eineinhalb Jahren sehr starke Bindungsprobleme oder überhaupt Probleme mit anderen Menschen. Eben auch ab und an mit mir. Oft stehe ich weinend unter der Dusche. Da kann ich meinen Tränen freien lauf lassen, ohne dass gleich jemand kommt und sie mir trocknen will. Sie verschmelzen sofort mit dem laufenden Wasser und sind nicht mehr auszumachen. Ich weine fast nurnoch unter der Dusche. Wenn ich alleine im Haus bin. Das ist selten, worum ich ehrlichgesagt auch froh bin. Ich glaube daran, dass das irgendwann aufhört und der Schmerz vorbei ist. Mich nicht mehr verfolgt. Den Schmerz kennt nicht jeder und darum bin ich froh. Ich bin vor eineinhalb Jahren abends vergewaltigt worden. In einem Auto nahe meines Lieblingsplatzes. Es war an der jährlichen Kirmes hier in Berk. Ihm war das Gebüsch zu öffentlich, daher hat er mich in sein Auto geschleppt. Von dieser Vergewaltigung wissen nur meine Eltern und die ermittelnden Polizisten, die wegen Mangel an Beweisen das Verfahren eingestellt haben. Meine Freundinnen fragen mich ständig, warum ich so abweisend zu Jungs bin, die mit mir flirten oder mich nett ansprechen. Ganz einfach. Das hat der Typ damals auch gemacht! Sie schwärmen mir ständig etwas von ihrem tollen Liebesleben vor. Doch sie kennen nicht die Schattenseite. Die durfte ich erfahren. Ich wünsche es wirklich keiner anderen. Es macht einen fertig. Ich habe die Monate darauf bezweifelt, dass ich je wieder jemanden lieben kann. Ich lasse Jungs inzwischen wieder mit mir reden. Doch will mich jemand anfassen, auch nur an der Schulter heben, schrecke ich zurück und bekomme eine leichte Panik. Es ist echt schwer mit mir.

Meine Eltern unterstützen mich aber und helfen, wo sie können. Heute gönnen sie sich jedoch einen Abend zu zweit. Und was mach ich? Ich habe zu aller erst alle Fenster und Türen kontrolliert und wenn möglich abgeschlossen. Dann bin ich unter die Dusche. War ich fertig mit dem Waschen habe ich unkontrolliert angefangen zu weinen. Ich dachte ich schaffe es heute mich zu beherrschen. Mission failed. Nach dem duschen habe ich es mir bequem gemacht und den Fernseher eingeschaltet. Ein Klingeln unterbrach die schöne Atmosphäre. Was will jemand um 21 Uhr bei meinem Haus?! Genervt ging ich an die Tür. Diese öffnete ich aber nur ganz langsam. Ein Junge stand vor mir. Vielleicht mein alter. Höchstens ein Jahr älter. Er sah mich leicht verlegen an. »Hey...erm«, auf einmal sah er mich leicht überrascht an. »Hast du....geweint?« »Möglicherweise.« »Soll...soll ich reinkommen? Brauchst du jemanden zum reden?« Ich erstarrte und schüttelte energisch den Kopf. »Oh ok Entschuldige, entschuldige.« »Was willst du? Und wer bist du überhaupt?!« »Ich bin Hicks. Mein Vater und ich sind gerade mit dem Umzug fertig geworden. Jetzt haben aber alle Läden zu. Könntest du mir vielleicht eine Packung Milch ausleihen? Ich kauf morgen auch direkt eine neue und bring sie rüber.« »Ok.« Ich schlug die Tür zu und lief zur Küche. Mit der Milch öffnete ich wieder die Tür und drückte Hicks die Packung in die Hand. Schroff verabschiedete ich mich noch mit einem »Tschüss« und schloss die Tür. Ich drehte mich um und rutschte an der Tür zu Boden. Dort begann ich wieder zu weinen. Ich wusste nicht einmal warum. Wollte ich unbewusst wirklich seine Hilfe? Es klingelte wieder. Ich ignorierte es einfach. Doch dann wurde das klingeln immer häufiger. Ich stand auf, wischte mir die Tränen weg und öffnete die Tür einen Spalt. »WAS?!« »Ich hab dich garni- Du hast wieder geweint.« »WAS GEHT DICH DAS AN?!« »Tut mir leid. Ich kann es nunmal nicht ausstehen, wenn jemand traurig ist und dabei ganz alleine. Was ist denn los?« »Das geht dich nichts an! Das geht niemanden was an!« »Aber, wenn du dich jemandem öffnest fühlst du dich erstens besser und zweitens kann dir die Person vielleicht sogar helfen.« »Ich will aber mit niemandem reden! Es hat eineinhalb Jahre niemanden gekümmert, außer meinen Eltern!! Also was willst du noch?!« »Nach deinem Namen fragen...« »Astrid!« Ich wollte die Tür wieder zuschlagen, doch sie wurde aufgehalten. Ich sah auf den Boden. »Was ist das?« »Meine Prothese? Das ist mein Ballast. Jetzt zeig mir deinen Astrid. Ich will dir helfen.« »Wir kennen uns nicht!! Und wenn ich es nicht einmal meinen Freundinnen erzähle, dann sicher nicht einem Fremden, der meint hier einen auf warmherzigen Samariter zu machen!! Also lass mich bitte alleine.« »Ok. Gute Nacht Astrid.« Hicks nahm sein Bein aus der Tür und ging. Ich sah ihm noch kurz hinterher. Ich schloss die Tür, machte im Untergeschoss alles aus und ging auf mein Zimmer. Direkt ins Bett. Dort kamen mir wieder Tränen hoch, doch ich unterdrückte sie. Ich bin stark. Ich will das nicht mehr. Ich will reden! Aber ich kann nicht. Keine würde es verstehen. Warum hab ich so ein verlangen es gerade dem unbekannten Hicks zu erzählen? Vielleicht liegt es an seinen ruhigen, unschuldigen, grasgrünen, schönen Augen. Sie strahlen etwas aus, ich kann nicht definieren was, aber es beruhigt mich. Auch wenn ich ihn eben angeschrien hab. Ich beschloss schlafen zu gehen. Morgen sieht das vielleicht nochmal anders aus.

Hicks brachte, wie von ihm gesagt, am nächsten Tag eine Packung Milch. Er sagte fast nichts. Er ließ mich diesmal. Doch am Montag saß er dann plötzlich in meinem Klassenzimmer. Neben meinem Stuhl. Das konnte doch nicht wahr sein! Ich hielt mich so gut es ging von ihm fern. Doch das gelang nicht so gut, wie ich es mir erhofft hatte. Meine Freunde wollten ihn nämlich mitnehmen.

Nach einigen Wochen des Kennenlernens muss ich echt zugeben, er ist nett. Und verständnisvoll. Er fragt nicht nach, warum ich bestimmte Dinge nicht möchte, obwohl ich gelernt hab, dass er eigentlich verdammt neugierig ist und einem bei allem helfen möchte. Mit der Zeit sind wir uns aber auch etwas näher gekommen und ich vertraue ihm inzwischen. Bei manchen dingen sogar mehr, wie bei meinen langjährigen Freundinnen. Bei ihm hatte ich sogar meine Berührungsangst verloren. Und immer, wenn ich in der Schule wider weinen könnte, was selten der Fall war, konnten seine Augen mich beruhigen. Er musste mich nur ansehen und alles war vorbei. Wie weggeblasen.

Es war wieder Freitagabend. Meine Eltern wieder weg. Ich wieder unter der Dusche. Ich schaffte es fast nicht zu weinen, doch kurz bevor ich die Dusche verlassen wollte kam es dann doch hoch. Nicht lange, aber die Tränen kamen und genau das wollte ich nicht mehr. Nachdem ich mich angezogen hatte und die Haare geföhnt hatte, klingelte es. Ich sah verwirrt in den Spiegel und lief zur Tür. Hicks stand davor. »Hey As-.....du hast wieder geweint?« Betrübt nickte ich. Hicks hob meinen gesenkten Blick an. »Ist schon gut. Aber bist du dir wirklich sicher, dass du mit niemandem darüber reden willst? Du weißt, ich bin für dich da, egal worum es geht.« Auf einmal brach etwas in mir. Der Damm, der die Tränen der letzten Zeit zurückgehalten hatte, und ich begann wie wild zu weinen und zu schluchzen. Ich vergaß Hicks und drehte mich einfach um. Schnurstracks lief ich zum Sofa und setzte mich. Kaum eine Minute später beruhigte ich mich wieder. Hicks war ins Haus gekommen und hatte sich neben mich gesetzt. Er sah mich so beruhigend an. Aber auch etwas auffordernd. Ich ließ den Kopf hängen und schloss die Augen. »V-v-vor...fa-ast zwei J-Jahren....auf...auf der Kirmes....wurde ich...wurde ich...vergewaltigt. Hinten in einem Auto auf der Rückbank. Der Täter wurde nicht gefunden.« Langsam kamen wieder Tränen aus meinen Augen. Vorsichtig sah ich nach oben zu Hicks. Er sah mich entsetzt an. »Aber das interessiert dich nicht. Das ist dir egal. Du denkst das sei nichts großes. "War ja nur Sex". Aber das war es nicht!! Es war die Folter! Mein schlimmster Albtraum! Und er wird immer von neuem Wahr, wenn mich ein Junge anspricht!! Dieser Typ hat mich gebrochen. Dank ihm hab ich Angstzustände und Bindungsprobleme!! Aber, "Es war ja nur Sex".« »Wieso sollte mir das egal sein?! Wieso sollte mir egal sein, dass du dank eines Menschen Probleme hast eine Beziehung einzugehen? Wieso sollte mir egal sein, dass dich jemand misshandelt hat?! Wir sind Freunde, Astrid. Mir ist nichts egal, was dir widerfährt. Vorallem sowas nicht. Das sollte keinem Mädchen widerfahren. Niemals. Das ist einfach krank soetwas zu tun.« Meine Tränen vermehrten sich zunehmend und ich begann wieder etwas zu schluchzen. Auf einmal legten sich zwei Arme um mich, drückten mich an einen warmen Körper. Ich öffnete meine Augen und sah etwas nach oben. Die Umarmung tat gut. Sie fühlte sich tatsächlich gut an. Sie beruhigte mich sogar. »Astrid es tut mir leid, was dir damals widerfahren ist. Aber zusammen bekommen wir das hin.« Ich sah kurz ungläubig nach oben, doch dann erwiderte ich seine Umarmung. In mir kam eine wärme auf, wie schon lange nicht mehr. Ich wurde schon so lange nicht mehr umarmt. Nicht einmal von meinen Freundinnen. Mir kamen schon wieder Tränen hoch. Doch ich glaube es waren eher Freudentränen. Freudentränen darüber, dass ich endlich jemandem zum reden gefunden habe, der sogar mein schweigen versteht.

Oneshots (HTTYD)Where stories live. Discover now