Moving On

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Moving On (Titel by Roosevelt) 

Rianne dachte in den folgenden Tagen viel über Stellas Worte, was sie und Nate anging, nach. Nebenbei war sie auch mit ihrer Arbeit und Kursen für ihre Ausbildung zur Traumatherapeutin beschäftigt. Ihre Freundin hatte schon irgendwie recht: sie und Nate waren langsam aber sicher in einen komfortablen Trott geschlittert.

Sie kochten und kauften zusammen ein, wenn die Arbeit wieder all ihre Zeit forderte sprachen sie untereinander ab wer gerade etwas mehr Freiheiten von häuslichen Pflichten brauchte, so dass der andere mehr übernehmen konnte.
Sie hatten zum größten Teil den selben Freundeskreis und fuhren 60% der Woche zusammen zur Arbeit. Ihr gemeinsamer Netflix-Account wurde selten ohne den anderen benutzt, da sie in ihrer Freizeit ohnehin immer die selben Serien schauten. Es war sogar zur Gewohnheit geworden, dass sie sich manchmal zur Begrüßung oder zum Abschied auf den Mund küssten.
Rianne erschien Letzteres weniger außergewöhnlich, da sie ihre Zuneigung zu ihren Freunden schon immer gerne auch körperlich ausgedrückt hatte, egal ob bei männlichen oder weiblichen. Wenn man jemanden mochte und er oder sie einem am Herzen lag, warum es dann nicht zeigen? Vielleicht kamen hier auch ihre argentinischen Wurzeln durch.
Rianne war in Nates Familie beliebt und auch ihre Eltern waren erleichtert, dass sich jemand um sie kümmerte, gerade weil sie nicht mehr in den USA lebten und ihre Tochter nur ab und zu sahen. Nicht alleine zu wohnen war ein schönes Gefühl und es gab ihr Struktur, aber möglicherweise waren sie und Nate in einer Komfortzone steckengeblieben.
Rianne war sich sicher, dass sie niemals romantische Gefühle für Nate haben würde. Er war wie ein Bruder, abgesehen von dem einen Mal, wo die Grenzen dazwischen etwas verschwommen waren. Aber das war eine andere Geschichte und schon viele Jahre her.

Auch hatte er Andrea viel zu nahe gestanden. Das machte es zwar einfacher sich von ihm verstanden und bei ihm sicher zu fühlen, aber sie hätte immer das Gefühl ihren verstorbenen Mann mit seinem besten Freund zu betrügen, wenn sich jemals mehr als Freundschaft zwischen ihnen ergeben würde. Auch wenn manche Leute vielleicht sagen würden, dass Andrea es unterstützt hätte.

"Ich hab Jay gefragt, ob er am Samstag auch kommen will..."
Es hätte nicht so schwierig sein sollen ihrem Mitbewohner mitzuteilen, dass sie einen weiteren Gast zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen hatte, zumindest hatte Rianne das nicht erwartet. Normalerweise war ihr Partymotto immer: Je mehr Leute, desto besser.
Heute Abend aber sah Nate alles andere als glücklich aus, als sie am Donnerstag bei einer Schüssel Pasta und Wein an ihrem massiven Eichentisch zusammensaßen und sie ihm diese Neuigkeit unterbreitete. In den letzten Tagen hatte Rianne ab und an Nachrichten mit Jay ausgetauscht, meistens Neuigkeiten über den Fall der Familie Finley (was ein guter Aufhänger war, um unverfänglich miteinander in Kontakt zu bleiben) und er hatte letztlich den ersten Schritt gemacht sie doch nach einem Date zu fragen. Irgendwie zumindest. Seine exakten Worte waren gewesen:

Schon Pläne fürs Wochenende? Ich hätte Samstag Zeit für etwas, das nichts mit Arbeit zu tun hat...

Natürlich hätte sie auch an jedem anderen Abend mit ihm ausgehen oder sich am Nachmittag bloß auf einen Kaffee mit ihm treffen können, aber sie hielt es für eine gute Idee die Sache langsam anzugehen. Ihn zu Nates Party einzuladen bedeutete, dass sie ihn in einen weiteren Teil ihres Lebens lassen und schauen konnte, wie es sich anfühlen würde. Es eröffnete ihr zudem vielerlei Optionen es statt eines Dates eher wie eine lockere Zusammenkunft aussehen zu lassen.
"Okay... aber dir ist schon klar, dass ich auch Guilia und Nino eingeladen habe, oder?" Nate hob belehrend eine Augenbraue während er das sagte und sie fühlte sich wie ein kleines dummes Kind dabei.
Guilia und Nino waren zwei der vier älteren Geschwister von Andrea. Rianne und Nate standen immer noch in engem Kontakt mit seiner gesamten Familie. Er hatte drei ältere Schwestern und einen Bruder. Zwei der Schwestern waren schon verheiratet und hatten insgesamt fünf Kinder. Somit war es eine ganz schöne Meute, wenn alle di Vareses zusammenkamen. Guilia und Nino waren die einzig Unverheirateten unter ihnen.
In letzter Zeit fand Rianne es etwas schwierig die Verbindung zu ihrer Schwiegerfamilie zu halten.
Am Anfang war es sehr tröstlich gewesen nicht alleine zu trauern.
Sie war nach dem Unfall sogar bei ihnen eingezogen, da die di Vareses darauf bestanden hatten sich um sie zu kümmern und ihr das Gefühl vermitteln wollten, dass sie immer ein Teil der Familie bleiben würde. Aber seit es ihr Stück für Stück besser ging und sie das Gefühl hatte ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, sowie mehr und mehr Bruchstücke einer Zukunft ohne Andrea realistisch und vorstellbar wurden, fiel es ihr schwerer mit ihnen zusammen zu sein.
Es fühlte sich an als gehöre sie dort einfach nicht mehr hin und dann fühlte sie sich wiederum schuldig, so etwas überhaupt zu denken. Letztlich war sie doch immer noch ihre Schwiegertochter und Schwägerin und sie wollte den Kontakt auch nicht ganz abbrechen. Besonders weil Andreas Mutter in den letzten Jahren was sie betraf immer fürsorglicher und involvierter gewesen war als ihre eigene Mutter es je gewesen war und jemals sein würde. Trotzdem hatte Rianne das Gefühl, dass diese Loyalität sie davon abhielt komplett nach vorne zu schauen und sie weiterhin in ihrer alten Rolle gefangen hielt.
"Und?" Sie fragte sich was Nate ihr damit sagen wollte. Natürlich hatte sie schon eine Idee, aber sie wollte, dass er es laut aussprach.
"Ich wollte nur, dass du das weißt. Weil ich ja nicht weiß was mit dir und deinem ehemaligen Feind abgeht, dachte ich solltest du wissen, dass sie auch da sein werden."
"Ich weiß aber nicht was genau du damit andeuten willst? Warum musst es mir genau so sagen?"
Sie hatte bemerkt, dass seine Augen verärgert zu zucken begonnen hatten und Rianne war es nicht gewohnt, dass es gegen sie gerichtet war. Nate stand auf, auch wenn er seine Nudeln noch nicht aufgegessen hatte, und ging zur tiefen Edelstahlspüle um seinen Teller dort abzustellen. Natürlich schaffte er dadurch in erster Linie physische Distanz zwischen ihnen. Kein gutes Zeichen!
"Dein Ernst Nate? Schweigestrafe?" Rianne machte sich ebenfalls daran aufzustehen und stellte sich zu ihm in die Küche um ihn zur Rede zu stellen.
Manchmal brauchte Nate einen kleinen Schubser, um seine wirkliche Meinung zu sagen. Sie fand es unerträglich, dass er Konfrontationen hasste.
"Ich... ich find's halt komisch." Er drehte sich zu ihr um. Seine Gesichtszüge erschienen strenger als gewöhnlich, da er statt Kontaktlinsen heute eine Brille trug:
"Du hast mich so zugetextet wie schlecht Halstead dich ständig behandelt und runtermacht und auf einmal ist alles super toll zwischen euch und du lädst ihn zu uns nach Hause ein? Du hängst dein Fähnchen doch auch sonst nicht nach dem Wind!"
Irgend etwas an seinem Tonfall passte Rianne nicht, aber sie versuchte noch einen Moment die Angelegenheit vernünftig zu klären. Ein bisschen recht hatte er ja und sie war auch noch nicht überzeugt, dass zwischen ihr und Jay alles 'super toll' war, aber...
"Ich weiß und es tut mir auch leid. Jay und ich haben uns im Molly's nach unserem Konzert unterhalten und er hat sich entschuldigt, und..."
"Was genau ist denn zwischen euch vorgefallen, dass du auf einmal ganz schnell nach Hause wolltest, hm? Habt ihr da nicht auch wieder gestritten?" Ihrem Freund entging auch wirklich nichts.
"Wir... wir haben das geklärt. Wenn du ihn nicht hier haben willst, dann sag mir das! Aber ich würde echt gern versuchen mit ihm klarzukommen..." Das und noch Einiges mehr.
Rianne hatte immer noch gemischte Gefühle was diese nicht zu stillende Regung in ihr anging, aber sie konnte sie auch nicht ignorieren. Dafür hatte sie sich zu oft dabei erwischt, wie ihre Gedanken zu einem ziemlich sommersprossigen Gesicht und glühend grünen Augen wanderten. Sie konnte nicht länger so tun als wolle sie ihn nicht wiedersehen. Seit diesem Kuss war ihr bewusst geworden wie sehr sie es vermisste sich so schwindelerregend lebendig zu fühlen.

Our Scars (German Version)Where stories live. Discover now