Out Of Bounds

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Out Of Bounds (Titel by Amanda Marshall) 

Jay schlug voller Frust auf das Lenkrad ein. Nach ihrem zweiten, schrillen Schrei hatte er das Auto angehalten, da er Angst gehabt hatte, Rianne würde einfach so aus dem fahrenden Auto herausspringen, wenn er nicht hörte. Also hatte er schnell am Straßenrand gestoppt. Sie war hastig ausgestiegen und hatte ihm sehr deutlich gemacht, dass sie nicht wollte, dass er ihr folgte. Nachdem er selber ein paar Mal tief Luft geholt hatte, war er dazu übergegangen im Schneckentempo hinter Rianne herzufahren. Er schaute ihr dabei zu, wie sie immer weiter durch die weißen Massen die Straße hinauf stapfte und Wolken warmer Luft in den Nachthimmel ausatmete. Jay war froh, dass sie nicht auf einer Schnellstraße waren.Er war sicher, dass es nicht nur ihr Streit gewesen war, der sie plötzlich so aufgewühlt hatte. Sie hatten sich bei voller Geschwindigkeit in den Haaren gelegen, die Straßen gefährlich und glatt von all dem Schnee. Es musste genau die Art von Flashback für sie erzeugt haben, den er eigentlich hatte vermeiden wollen. Sein Plan war gewesen sich wenigstens einmal in seinem Leben so lange zurückzuhalten, und mit diesem Gespräch zu warten, bis sie Zuhause gewesen wären. Er hatte gewusst, dass es in einer Auseinandersetzung enden würde, also hatte Jay dafür zumindest an einem Ort sein wollen, an dem sich Rianne sicher fühlte. Zumindest hoffte er, dass sie sich mit ihm nun immer noch sicher fühlte. Jay befürchtete es schlimmer gemacht zu haben, weil er sie so angefahren hatte. Aber er hatte es einfach nicht geschafft sein Temperament zu zügeln, als sie ihm dieses Bild unter die Nase gehalten hatte. Natürlich war das eine echt miese Nummer von Nate, wenn auch nicht besonders überraschend. Dieser Typ war ein Psycho und spielte nicht mit fairen Mitteln.

"Bist du dir wirklich sicher, dass du dieses Drama brauchst?"

Haileys Worte klangen in ihm nach. Was war eigentlich mit seiner Partnerin los, dass sie ihm damit so auf die Nerven ging? Vielleicht war es auch nicht so überraschend, wenn man bedachte, dass Hailey genau so etwas befürchtet hatte, als sie mit ihm den einen Abend im Molly's über Rianne geredet hatte. Oder besser gesagt, es war Haileys Bedenken im Allgemeinen, dass sein großes Herz ihn in Schwierigkeiten brachte und er nicht wirklich gut auf sich aufpasste. Bevor er entschieden hatte wie er mit allem umgehen und Rianne dazu bringen wollte sich wieder ins Auto zu setzen, sah er, dass sie unter einer Straßenlaterne zum Stehen gekommen war. Als Jay ebenfalls neben ihr anhielt, wurde die Türe aufgerissen. Er konnte sehen, dass ihr Make-Up etwas verschmiert war. Also hatte sie wohl geweint. Jetzt gerade hatte sie allerdings ihre Abwehr so gut aufgestellt, dass er sich gar nicht traute sich zu entschuldigen oder sie zu trösten. Jay war sich auch noch nicht sicher für was genau er sich entschuldigen wollte oder was er von seiner Seite her auch durchaus berechtigt fand."Es ist scheiße kalt und ich bin zu müde bei diesem Wetter bis zur nächsten L-Station zu laufen! Können wir uns vielleicht auf einen Waffenstillstand einigen bis wir Zuhause sind, und dass du nicht wie ein Irrer fährst?" fragte Rianne und wartete auf sein zustimmendes Nicken, bevor sie einstieg. Als sie dann saß, schaute sie nur aus dem Beifahrerfenster und machte ihm damit sehr deutlich, dass sie tatsächlich überhaupt nicht reden wollte. Also blieb Jay stumm und klammerte sich an die Hoffnung, die das Wort 'Zuhause' aus ihrem Mund, in ihm geweckt hatte.
Bei ihrer Ankunft ging Rianne direkt an das Gefrierfach und machte eine Menge Lärm als sie Türen öffnete und wieder schloss. Ein brodelnder Vulkan, der nur darauf wartete zu explodieren. Mit dieser kochenden Version von ihr, wütend und zornig, konnte er besser umgehen als mit der traurigen, verzweifelten und panischen. Sie griff nach einem Beutel gefrorenem Gemüse und pfefferte diesen nicht gerade liebevoll auf seine verletzte Hand. Dabei schleuderte sie ihm immer noch Blitze aus den Augen entgegen, aber die Geste brachte ihn trotz der angespannten Atmosphäre zum Lächeln. Auch wenn Rianne sauer war, kümmerte sie sich also trotzdem noch. Dann zog sie ihre nasse Jacke aus, die Socken und Schuhe ebenso, stellte den Wasserkocher an und wurschtelte ihre nassen Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammen. Er konnte förmlich hören wie sich die Räder in ihrem Kopf drehten. Jay war weiterhin auf stumm gestellt, sein Gehirn eingerastet, da er nicht wusste wo er anfangen sollte. Also konzentrierte er sich auf seine immer noch schmerzende Hand, die nun schockgefrostet wurde. Rianne huschte ins Bad und kam mit einer komisch aussehenden Flasche und einer Salbe wieder zurück. "Streck deine Zunge raus!" ordnete sie an, als sie exakt drei Globuli aus der Flasche in ihre Hand gezählt hatte. "Was ist das?" "Arnika, hilft gegen die Schwellung und falls du immer noch so eine Art Schock hast, dann auch gegen den. Vielleicht hilft es sogar gegen diese Testosteron-Schwingungen!" Ihre Stimme war ganz sachlich und streng, ein bissiger Krankenschwestern Ton. Nur ihre Augen, die jetzt frei waren von jeglicher Schminke, waren etwas sanfter geworden. Auch etwas, was er in ihrer Zeit zusammen bereits gelernt hatte: Sie stand wirklich auf homöopathische Mittelchen und alternative Medizin. Jay stand dem allen immer etwas skeptisch gegenüber und glaubte nicht wirklich daran, aber er dachte auch, dass es nicht noch mehr Schaden anrichten konnte und gehorchte. "Nicht runterschlucken! Einfach auf der Zunge auflösen lassen. Jetzt gib mir deine Hand!" Jay nahm das geschmolzene Gemüse herunter, ließ Rianne seine Hand mit einem Küchenhandtuch abtrocknen und ein wenig von der Salbe darauf schmieren. Er sah zu wie sie die Creme in seine zerschundenen Knöchel massierte, sanft dieses Mal und vorsichtig aufgrund der Schwellungen. Etwas von seiner allgemeinen Anspannung wich langsam von ihm. Sie nahm sich ausgiebig Zeit dafür, mehr als nötig gewesen wäre. "Es tut mir leid, dass ich grade im Auto so ausgerastet bin," murmelte sie leise, während sie weiter seine Hand hielt.Jay atmete lang und etwas erleichtert aus. Seine größte Angst, irgendwann nicht mehr das Schweigen mit jemandem brechen zu können, traf auf sie einfach nicht zu. Oder wenn dieser Tag an dem das nicht mehr möglich war irgendwann käme, war es wirklich aus und vorbei zwischen ihnen. Rianne hielt es nie lange aus ihn nicht zum Reden zu bringen oder ihre Meinung zu äußern. Egal wie sehr es weh tun würde oder wie schwer es für sie beide war. "Es tut mir leid, dass du dich mit mir unsicher gefühlt hast," antwortete er und zog sie mit seiner anderen Hand zögerlich näher. Er war froh, dass sie es zuließ."Es tut mir leid, dass du da mit reingezogen wurdest! Sag mir was er gesagt hat, um dich zu provozieren!" Jay zögerte und verzog angewidert das Gesicht, als er sich diese hasserfüllten und vergifteten Worte wieder ins Gedächtnis rief: "Das würde ich lieber nicht!"Der Wasserkocher war fertig und machte einige zischende Geräusche. Rianne regte sich aufgrund seiner Weigerung Details zu der Begegnung mitzuteilen wieder auf. "Dann sei du auch nicht sauer, weil ich dir nicht erzählt habe um was es in dem Gespräch mit Hailey ging. Du machst doch jetzt genau das Gleiche!" Sie wand sich aus seiner Umarmung. "Nein, es ist nicht das Gleiche, weil ich dir explizit gesagt habe, dass du mir keine Informationen vorenthalten sollst, nur weil du der Meinung bist, dass ich damit nicht umgehen kann!" Natürlich wäre es zu leicht gewesen sich einfach beieinander zu entschuldigen und es dann auf sich beruhen zu lassen. "Dass ich dachte, dass du damit nicht umgehen kannst, war nicht der Grund warum ich es dir nicht erzählt hab! Ich hab es dir nicht erzählt, weil ich dich nicht verärgern wollte und ich nicht das Mädchen sein will, das wie eine alte Petze zu ihrem Freund rennt und sich darüber beschwert, dass jemand sie blöd von der Seite angemacht hat. Das bin ich nicht! Außerdem hat Hailey mich nicht soweit gebracht, dass ich ihr eine reinhauen wollte. Also war das Gespräch, das wir hatten, ein völlig Anderes!" "Ich hätte dich nie für eine Petze gehalten, wenn du es mir erzählt hättest. Ich muss so was aber wissen, weil ich alles was dich beschäftigt wissen und nicht außen vor gelassen werden will! Und ich nehme an, dass es dich irgendwie betroffen gemacht hat. Du bist nicht annähernd so cool wie du nach außen hin immer gerne wirken möchtest. Ich weiß das inzwischen! Also was genau hat sie zu dir gesagt?"Rianne kippte das heiße Wasser in eine Thermoskanne und führte ihr Vorhaben ihnen Tee zu machen aus, während sie wahrscheinlich darüber nachgrübelte, was sie jetzt sagen sollte. "Ich denke sie wollte einfach sichergehen, dass ich es ernst mit dir meine. Vielleicht machen das gute Partnerinnen ja so." "Das geht sie aber überhaupt nichts an! Ich sag ihr ja auch nicht, wen sie daten soll oder wen nicht. Sie hatte kein Recht dazu. Und du musst mir so was erzählen, denn ich hätte das unterbinden können." "Ich möchte aber nicht schlecht von Leuten reden, mit denen du arbeitest und die du magst. Ich weiß, dass sie die letzten Jahre eine Menge für dich getan hat." "Ja und dafür bin ich ihr auch dankbar. Aber sie ist weder meine Freundin, noch ist sie meine Mutter oder meine Schwester." Und er würde wahrscheinlich eh nicht darauf hören was seine Familienmitglieder über die Wahl seiner Freundin zu sagen hätten. "Der Punkt ist: Halt bitte nichts vor mir geheim, denn das geht mich auch was an. Du gehst mich etwas an! Das war doch deine ganze Argumentation in unserem Angela Streit: Du bist nicht mehr nur alleine betroffen, also heißt das: Keine Geheimnisse! Abgesehen von all dem Arbeitskram, den wir uns aus rechtlichen Gründen nicht erzählen dürfen.""Okay, hab ich verstanden. Und was hat Nate jetzt zu dir gesagt?" Sehr unwillig erzählte Jay es ihr. Nicht jedes einzelne Wort, aber die Quintessenz, eine Zusammenfassung davon. Es tat ihm so sehr weh, als er beobachtete welcher Ausdruck sich auf Riannes Gesicht ausbreitete. Er hatte bisher wenige enge Freundschaften gehabt. Die einzigen Leute, die er wirklich seine engen und guten Freunde nennen konnte, waren die Leute in seiner Einheit, und Mouse. Aber der hatte sich wieder einberufen lassen und war danach nie nach Chicago zurückgekehrt. Die Erfahrung, dass jemand der ihm nahestand, eine 180Grad-Drehung machte und Lügen erzählte, mit dem einzigen Zweck jemanden zu bestrafen und zu verletzten, hatte er noch nicht machen müssen. Er wusste nicht wie sich das anfühlte. Er konnte wohl jedoch nachvollziehen wie es sich anfühlte, sich auf einmal alleingelassen zu fühlen. Die Trauer und Bestürzung in ihren Augen wandelten sich schnell in Verwirrung, Zorn und persönlichen Affront, je mehr er ihr von diesem tragischen Austausch vor dem 21. Revier erzählte. Es war als ob er in den Spiegel schauen und dort seine eigene Wut und Empörung von vorhin sehen würde:

Our Scars (German Version)Where stories live. Discover now