Hymn #101

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Hymn #101 (Titel by The Ballroom Thieves) 

Am Mittwoch beeilte sich Rianne wieder zu Jay ins Krankenhaus zu kommen und verfluchte sich selber für ihr mangelhaftes Zeitmanagement. Die To-Do-Liste für ihren Morgen war länger geworden als sie ursprünglich angenommen hatte und jetzt war sie zu spät dran um die Visite im Med mitzubekommen. Sie hatte selber hören wollen, ob Jay bald entlassen werden würde oder ob es weitere Komplikationen gab. Obwohl Jay sich generell jeden Tag besser gefühlt hatte und seine Verletzungen gut verheilten, hatte er Montagnacht ein wenig Fieber bekommen. Es war schnell wieder heruntergegangen, aber trotzdem waren besonders sie und Will beunruhigt gewesen. Manchmal konnte sie immer noch nicht glauben, dass sie so viel Glück gehabt hatten, also erschien alles noch sehr zerbrechlich. Jedes Mal wenn sie ihn reden hörte oder sah wie er sie mit diesen gefühlvollen Augen ansah, kam es ihr so unwirklich vor, nachdem sie erst vor fünf Tagen hatte mit ansehen müssen in was für einem Zustand er eingeliefert worden war.Sie und Jay hatten noch einige Dinge miteinander zu klären. Aktuell war Rianne jedoch einfach nur damit zufrieden bei ihm zu sitzen oder zu liegen, ihm Gesellschaft zu leisten und ihm wegen dem was passiert war, nicht noch mehr Kummer zu bereiten. Ihm schien es da ähnlich zu gehen. Obwohl er natürlich so schnell wie möglich entlassen werden wollte. Seiner Meinung nach passierte nie etwas Gutes in Krankenhäusern und jede Diskussion mit ihm darüber war zwecklos. Gestern Abend war sie das erste Mal nach Hause gegangen, da sie sich um ein paar Dinge kümmern und endlich mal eine richtige Dusche nehmen musste, sowie ein anderes Outfit anziehen wollte, das ihr wieder das Gefühl gab sie selber zu sein.Rianne hatte heute mit ihrem Chef gesprochen und ein paar Tage zur persönlichen Erholung eingereicht. Nicht nur, dass sie für Jay da sein und sich um ihn kümmern wollte, sowie ihr Vorhaben nicht wegzulaufen einzulösen gedachte, nein. Sie war auch der Überzeugung, dass sie Dr. Charles Ratschlag die Zeit für sich selber zu nutzen, ihren Kopf frei zu bekommen und nicht einfach so weiterzumachen als ob nichts passiert sei, annehmen sollte. Es war das erste Mal, dass sie wirklich danach gefragt hatte außerhalb von Urlaubstagen frei zu bekommen. Nach ihrem und Andreas Unfall war sie so schnell wie möglich wieder arbeiten gegangen. Sobald sie aus dem Bett hatte aufstehen können und sie von ihren Vorgesetzten das Okay erhalten hatte. Geweint und gelitten hatte sie nur in Stille nach Feierabend und in den verordneten Therapiesitzungen. Ihr neuer Ansatz gab ihr ein gutes Gefühl, jedoch wurde ihre Laune etwas von der Szene im Chicago Med getrübt, in die sie hineinlief: Jay war schon aus dem Bett aufgestanden und vollständig angezogen, seine Partnerin Hailey mit im Raum. Gerade als Rianne hereinkam, half sie ihm in seine dicke schwarze Sweatshirt-Jacke und arrangierte diese ordentlich und vorsichtig um seine linke Schulter herum. Rianne wusste, dass er das nicht selber tun konnte, weil er mit der Schlinge, in die er seinen Arm legen musste, deutlich bewegungseingeschränkt war. Er sollte mit diesem Hilfsmittel seine Schulter schonen, bis die Ärzte etwas Anderes sagten. Aber warum musste Hailey diejenige sein, die ihm half? Generell war es sehr rührend gewesen zu sehen wie beliebt Jay unter seinen Kollegen war. Es hatte einen ständigen Besucherstrom gegeben, Leute, die ihm Nachrichten schickten und sich nach ihm erkundigten. Seine Einheit war jeden Tag hier gewesen und somit auch Hailey. Aber die Art und Weise wie sie ihm jetzt half, passte Rianne nicht. Irgend etwas an der Art wie sie ihn dabei ansah, war ein wenig zu intim für Riannes Geschmack. Gleichzeitig war sie schockiert von dem ungewohnten Gefühl der Eifersucht, das sie überkam. Bisher war das kein Thema für sie gewesen, niemals! Auch wenn Andrea sicherlich jemand gewesen war, der gerne mit allem was nicht bei drei auf den Bäumen war, geflirtet hatte. Rianne hatte sich nie gefragt, warum sie bis jetzt niemals dieses brennende Gefühl in ihrem Magen verspürt hatte. Sie fand es überhaupt nicht gut, besonders da sie ansonsten gar nichts Schlechtes über die blonde Detective sagen konnte. "Alles klar Leute?" Rianne machte betont locker auf sich aufmerksam. Hailey trat zwei Schritte von Jay zurück. Auch das fühlte sich etwas unbehaglich an, als ob Rianne über etwas gestolpert wäre, das sie eigentlich nicht hatte sehen sollen. "Hey, du kommst gerade richtig! Ich bin ein freier Mann!" Jay schien putzmunter und strahlte sie quer durch den Raum hinweg an. Rianne war sich nicht sicher, ob es nicht doch eher seine Idee war, oder ob das medizinische Personal ihn wirklich 'freigelassen' hatte. Also schaute sie etwas skeptisch drein: "Hältst du das für eine gute Idee?" Jay verdrehte seine Augen gen Decke: "Ich werde hier drin komplett verrückt.""Der Mann hasst Krankenhäuser," stimmte Hailey ihm zu, was dazu führte, dass Rianne sich etwas dumm vorkam und sie anmaulte: "Ja, ich weiß, dass der Mann viele Dinge hasst, die eigentlich gut für ihn sind.? Das Leben ist aber kein Wunschkonzert. Was haben die Ärzte denn gesagt?" Sie schaute absichtlich nur den Mann im Raum an. Jay wusste, was sie ihn nur mit ihren Augen fragte: 'Warum hast du mich nicht direkt angerufen?'"Du hast gesagt du würdest eh gegen Mittag kommen," antwortete er ihr vorsichtig."Ja, stimmt. Entschuldige, dass ich nicht früher hier war, aber ich musste mich noch um ein paar Dinge kümmern." Um etwas, das für sie eine größere Sache war, von der sie ihm aber noch nichts erzählt hatte. Rianne hasste es das Gefühl zu haben sich erklären zu müssen, und dass sie vielleicht gar nicht so gut darin war sich um ihn zu kümmern. Vielleicht war sie was das Freundin-Sein anging eine komplette Niete? Jemand Anderes stand offensichtlich direkt schon Schlange und war bereit zu übernehmen.Somit war sie froh, dass Jay ihre Verwirrung und den inneren Konflikt bemerkte. Er stellte sich neben sie, küsste ihre Schläfe und brachte sie auf Stand: "Dr. Marcel sagt, ich kann gehen solange ich es langsam angehen lasse und mich täglich bei ihm oder Will melde, und sofort zurückkomme, wenn ich Schwindel, Fieber oder mehr Schmerzen bekomme. Aber da wir konstant daran gearbeitet haben, dass ich wieder auf die Beine komme, sind wir positiv gestimmt, dass ich das packe und gehen kann." Rianne wusste, dass er sehr wahrscheinlich etwas übertrieb um ihr ein besseres Gefühl zu geben, und sie zog die Augenbrauen hoch. Tatsächlich hatte das Krankenhauspersonal ihn täglich aus dem Bett gescheucht, um seinen Kreislauf in Gang und ihn wieder zu Kräften zu bringen. "Ich kann ihn nach Hause fahren, wenn du wieder zurück zur Arbeit musst," bot Hailey schnell an, bevor Rianne überhaupt geschnallt hatte, dass Jay jetzt sofort das Krankenhaus verlassen konnte. "Ehrlich gesagt hab ich mir den Rest der Woche freigenommen, also nehme ich ihn mit nach Hause. Aber danke für das Angebot," Rianne zwang sich zu einem Lächeln und griff besitzergreifend Jays rechte Hand, gab allerdings ihr Bestes ihren Ton Hailey gegenüber freundlich zu halten. Immerhin meinte die andere Frau es ja nur gut. Die beiden hatten gemeinsam Einiges durchgemacht, also musste es auch sie ordentlich aus der Bahn geworfen haben, dass Jay fast gestorben wäre. Rianne sah zu ihm auf und beäugte ihn. Er warf ihr sein schüchternes schiefes Lächeln zu, das ihr jedes Mal weiche Knie bescherte, weil es so süß aussah. Jay musste gesehen haben, dass sie das Telefon in seiner Hand musterte, von dem sie wusste, dass es nicht sein privates Handy war. Es war das selbe, welches sie letzte Woche von ihrem Schlafzimmerboden aufgehoben hatte. Es machte sie auf der Stelle nervös und ließ ihr Herz schneller schlagen. Dieses Handy war eine ständige Erinnerung daran, wie und warum alles so schrecklich schief gelaufen war und wieso sie jetzt überhaupt hier waren. Ohne etwas zu sagen, händigte Jay es plötzlich seiner Partnerin aus:"Hailey, könntest du das für mich entsorgen? Ich beantrage ein Neues, wenn ich wieder zurück auf dem Revier bin..." Riannes Herz hüpfte in ihrer Brust, die innere Siegesfaust in die Höhe gereckt. Das bedeutete ihr alles! Sie ließ ihn wissen, dass sie seine Geste zu schätzen wusste, indem sie sanft seine Seite drückte. "Natürlich," Hailey klang ein wenig erstaunt, nahm das Telefon aber trotzdem an sich und verließ das Zimmer: "Ich lass euch dann mal alleine. Gute Besserung Jay, halt mich auf dem Laufenden." Auf dem Laufenden? Wollte sie etwa ein tägliches Status-Update? Rianne sah das gar nicht ein, schimpfte jedoch gleichzeitig mit sich, dass sie solch zickige Gedanken hegte. Sie musste wirklich aufhören sich von Hailey bedroht zu fühlen.

Our Scars (German Version)Where stories live. Discover now