The Fear

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The Fear (Titel by Ben Howard) 

In dieser Nacht träumte Rianne erneut von ihrem Autounfall.

Davon, dass sie bei diesem scheiß Wetter eigentlich nicht hätten fahren sollen. Dass eigentlich sie hätte tot sein müssen, wenn Andrea wie sonst auch am Steuer gesessen hätte. Dass sie niemals die Gelegenheit gehabt hatten einander für den Streit im Auto zu vergeben und die allgemeinen Unstimmigkeiten was ihre Zukunft anging zu klären. Dass sie niemals wissen würde, ob sie und Andrea ihre Beziehung hätten meistern können. Dass sie ihren Sohn niemals gesund und lebendig hatte kennenlernen dürfen. Alles, über das sie bereits in unzähligen Therapiesitzungen gesprochen hatte, von dem sie geglaubt hatte damit fertig zu sein, damit abgeschlossen und sich selber eine Absolution gegeben zu haben, kam in ihren Träumen wieder hoch. Wenn sie bis dato ihre scheinbar mehr als ernsten Gefühle für Jay nicht hatte wahrhaben wollen, war es nun wohl an der Zeit sich diese einzugestehen. Sie befände sich nicht inmitten dieser Rückwärtsspirale, wenn mit ihm zusammen zu sein nicht angefangen hätte ihr etwas zu bedeuten. Es bedeutete ihr mehr als sie jemals erwartet hätte und mehr als sie anfangs gewollt hatte, aber es war passiert. Er hatte sich ziemlich störrisch in ihr Herzen gepflanzt und war nicht mehr von diesem Platz wegzubewegen. Nach Andreas Tod hatte sie geglaubt ihr Herz nie wieder verschenken zu können. Besser gesagt: Es war gar nichts zum Verschenken da gewesen. Es war ihr schier unmöglich erschienen hinter die Trauer zu blicken und sich vorzustellen, dass sie jemals wieder etwas für jemanden empfinden könnte, das ebenso tief und verzehrend war. Aber zu wissen warum sie die Konfrontation mit Jay vermied, bedeutete nicht automatisch, dass Rianne etwas daran ändern und einfach ihre Angst über Bord werfen konnte. Eine Selbstanalyse ohne eine Handlungsanweisung für den ersten Schritt, war nicht gerade sehr hilfreich. Auch wenn es ihr zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst war, hatte Rianne Glück, dass Dr. Charles ihr einen Besuch abstattete, nachdem sie allen anderen Ärzten wegen ihrer Entlassung schon ausgiebig auf die Nerven gegangen war.Dr. Charles hatte bisher frei gehabt, wurde jedoch schnell von seinen Kollegen auf den neusten Stand gebracht. Er kannte ihren Fall ohnehin sehr gut, da er die letzten Jahre einige Termine mit ihr gehabt hatte. Er war nicht ihr eigentlicher Therapeut gewesen, aber oftmals derjenige, den Rianne sich ausgesucht hatte. Sie war zu gleichen Teilen stets dankbar und verärgert über seine konfrontative und ehrliche Herangehensweise gewesen.Er redete nichts schön und hatte mit seiner Meinung nie hinterm Berg gehalten, ob sie diese nun hatte hören wollen oder nicht. "So, ich wurde darüber informiert, dass Sie gerne entlassen werden wollen. Geht es Ihnen denn besser? Wie sieht's aus mit dem Gefühl in den Beinen?" Er war in seinem üblichen Outfit ganz gemächlich in ihr Zimmer geschlendert: Die Brille hing ihm mit einer dieser lächerlichen Ketten befestigt um den Hals, ein hellgrauer Kittel verdeckte alles was er sonst trug außer der altmodisch breiten Krawatte. Rianne seufzte, da sie fürchtete einer Therapiesitzung entgegenzublicken, der sie nicht zugestimmt hatte: "Ist immer noch nicht vollständig wieder da. Das Rechte ist okay, das Linke kribbelt immerhin. Ich bin mir sicher, dass das auch ganz schnell wieder wird. Soviel ich weiß, ist es eh nur in meinem dämlichen Kopf. Und Zuhause kann ich mich viel schneller erholen. Wie Sie sehr wohl wissen, hab ich mehr als genug Zeit als Patientin hier im Krankenhaus verbracht."Dr. Charles antwortete ihr nicht direkt und tat so, als ob er ihre Krankengeschichte und Akte durchgehen würde, ehe er ihr eine weitere Frage stellte: "Ich hab gehört, dass Ihre Episode aufgetreten ist als Detective Halstead mit einer Schussverletzung eingeliefert wurde. Könnten Sie mich vielleicht aufklären, wie Ihr Verhältnis zueinander ist? Ich bin neugierig..." "Sie müssen mir nichts vormachen! Ich weiß, dass Sie wissen, dass Jay und ich uns ... na ja, dass wir zusammen waren, also... Fragen Sie doch einfach, was Sie fragen wollen!" Daniel Charles war in ihren Augen noch nie besonders gut darin gewesen den Dummen und Unschuldigen zu spielen. Er wusste immer bestens was um ihn herum passierte."Okay, wenn wir schon so direkt sind, warum kommen wir dann nicht gleich zum Punkt? Ich hab mich gefragt, warum Sie hier sitzen und nicht an seinem Bett, seine Hand halten und seinen Heilungsprozess mitverfolgen, wie man es vielleicht von einer... sagen wir: 'Freundin' erwarten würde?" "Weil es keine gute Idee ist!" "Was genau ist keine gute Idee?" Jetzt ging er ihr aber wirklich auf die Nerven. Also erhob Rianne ihre Stimme ein bisschen, so als ob sie mit einem tauben Verwandten reden würde: "Mit - Jay - zu-sam-men - zu - sein!" "Würden Sie mir helfen das zu verstehen?" Dr. Charles setzte sich neben sie auf die Bettkante, als ob er alle Zeit der Welt hätte und reagierte gar nicht auf ihre sich steigernde Rastlosigkeit. "Weil es mir gut ging, bevor ich ihm näher gekommen bin! Ich hatte meine PTBS unter Kontrolle, ich konnte nachts schlafen, ich hab sogar meine Medikamente komplett absetzen können, bevor ich ihm begegnet bin. Ich hatte das alles ziemlich gut im Griff. Und jetzt bin ich wieder komplett fertig! Eine Irre, die es sich in den Kopf gesetzt hat, dass sie ihre Beine nicht bewegen kann, obwohl physisch nichts damit ist. Vielleicht erlebe ich ja gleich 'im Spiel' auch noch mal, wie ich mein totes Kind gebäre. So kann ich doch meine Ausbildung als Traumatherapeutin nicht weiterführen! Wie kann ich bitte eines Tages Leuten helfen ihr Trauma zu überwinden, wenn ich mir noch nicht mal selber helfen kann? Und auch so brauch' ich das hier echt nicht noch mal!" Sie deutete auf sich selbst in dem Krankenhausbett.Dr. Charles schaute sie ruhig an. Er zuckte noch nicht mal mit der Wimper. Rianne fragte sich wie er das wohl machte: einfach nichts von dem preiszugeben, was in seinem Kopf vor sich ging, wenn Patienten mit all ihren verrückten Ideen und originellen Verhaltensweisen zu ihm kamen. Sie kam sich jedenfalls gerade richtig verrückt vor. Immerhin war sie auch noch auf der psychiatrischen Station und bettelte darum herausgelassen zu werden. Vielleicht sollten sie sie lieber hierbehalten? "Okay, ich höre Ihre Bedenken, aber ich würde erst mal gerne wissen: Gab es denn auch eine positive Komponente daran, Jay näher gekommen zu sein?"Rianne rollte wieder mit den Augen: "Sie wissen schon, dass ich weiß, was sie hier gerade zu tun versuchen? Ich bin nicht blöd." "Die Tatsache, dass Sie glauben zu wissen was ich zu tun versuche, heißt ja nicht, dass es deswegen scheitern muss, oder?" Dr. Charles zeigte jetzt ein kleines Lächeln und Rianne kam nicht umhin es zu erwidern. Er war gut, das musste sie anerkennen."Okay, ich versuche eine etwas kooperativere Patientin zu sein: Natürlich gab es eine positive Komponente daran, Jay näher gekommen zu sein." "Beschreiben Sie mir das mal, skizzieren Sie mir kurz ein Bild davon! Was hat sich zum Positiven verändert, seit Jay in Ihr Leben getreten ist?" "Ich glaub ich hab in einem Monat 6 Kilo abgenommen!" Das war tatsächlich das Erste was ihr einfiel. "Oh, warum das?" Dr. Charles setzte sich seine Brille auf die Nase. "Er ... er macht mich so... kribbelig? Es ist lange her, dass ich wegen Etwas ständig so aufgeregt war, es ist als sei ich mit neuer Energie aufgeladen, obwohl ich kaum was essen kann. Und er fordert mich auf so viele Arten heraus. Er konfrontiert mich mit meinem Scheiß, er ist ehrlich und eigensinnig. Er kann ein ziemlicher Arsch sein, aber auch wiederum sehr aufmerksam und witzig, verspielt. Er ist echt schlau und kniet sich in die Dinge rein, die er tut. Ich fühl mich einfach extrem zu ihm hingezogen und auch irgendwie... 'schön' in seinen Augen? Jay hat... er hat in mir Wünsche ausgelöst und Seiten an mir geweckt, die ich schon vergessen oder selber noch nicht entdeckt hatte, ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen..." Rianne war etwas schockiert, dass sie das alles laut gesagt hatte und verstummte abrupt. Ihr fiel auf, dass sie noch ewig so hätte weitermachen können, aber all diese Dinge spielten keine Rolle, angesichts des einen No-Go's was es im Bezug auf Jay gab: "Aber jetzt ist er angeschossen worden und ich weiß nicht, ob ich mit dieser Gefahr leben kann! Ich kann einfach nicht noch eine Person in meinem Leben verlieren! Ich kann das nicht wieder zulassen, also denke ich, es ist das Beste, wenn..."

Our Scars (German Version)Where stories live. Discover now