Dissolve

151 7 0
                                    

23

Dissolve (Titel by Tusks)

Rianne wusste weder wie sie mit der Information umgehen sollte, dass Jay verschwunden war, noch wie sie ihre Gefühle diesbezüglich sortierten sollte. Ihr Magen war ein heißer Knoten und ihr Kopf drehte sich auf unangenehme Weise. Sie weigerte sich absolut in Panik zu geraten oder weiter darüber nachzudenken. Keine 'worst case scenarios' erlaubt! Also tat sie das, was sie am Besten konnte: Alles schön zusammenschnüren, wegpacken, zwei oder drei richtig tiefe Atemzüge nehmen und an die Arbeit gehen. Und damit war wirklich 'an die Arbeit gehen' gemeint. Sich richtig tief darin vergraben und absolut keine Zeit auf das Denken verschwenden. Eigentlich hatte sie geplant den Rest des Tages frei zu machen. Es wäre der perfekte Abend gewesen um Zeit mit Jay zu verbringen, weil es kein Limit gab, keine Termine am nächsten Morgen, außer vielleicht den Tag außerhalb der Stadt zu verbringen. So wie sie es besprochen hatten. Alles in allem ein wirklich schöner und pärchenmäßiger Start ins Wochenende. Aber das würde ja nun wahrscheinlich nicht passieren, weil er den heldenhaften Polizisten hatte spielen müssen oder in was für ein Schlamassel er sich auch immer hineingeritten hatte. Also konnte Rianne genauso gut arbeiten gehen und sich nützlich machen. Galgenhumor war ihre einzige Waffe gegen einen kompletten Nervenzusammenbruch. Irgendwann ertappte sie sich dabei, wie sie Jay erneut anrief und eine Nachricht hinterließ, weil sie es einfach nicht glauben konnte. Sie wollte nicht glauben, dass er sich in Gefahr gebracht hatte, dass er ihr Gespräch, das sie vor weniger als zwei Tagen geführt hatten, scheinbar komplett ignoriert hatte. Natürlich ging er nicht dran. Aber sicherlich würde er am Abend zurück sein, so dass sie ihn anschreien konnte dafür, dass er ihr solche Angst eingejagt hatte. Nicht dass ihre Kollegen allzu überrascht gewesen wären Rianne im Büro zu sehen, bereit die Fallflut des Jahres zu übernehmen. Sie war bekannt dafür ein Arbeitstier zu sein, eine Streberin, die eine Menge ihrer Freizeit und ihr Privatleben dafür opferte, damit Dinge erledigt wurden. Rianne war ihrerseits dankbar, dass sie gebraucht und mit offenen Armen willkommen geheißen wurde. Niemand stellte Fragen, warum sie sich nach der Teilnahme an der Konferenz nicht lieber ein wenig entspannte. Alle waren sogar ziemlich froh, weil es eine Menge zu tun gab, wie eigentlich immer. Und das war genau das, was sie wollte. Jay würde schon wieder auftauchen! Es würde eine simple Erklärung für all das geben, das musste es einfach.

***

Jay hatte Angelas Schuldgefühle einfach nicht mehr ertragen können, hatte sie nicht sterben lassen wollen mit all diesen schrecklichen, hasserfüllten Gedanken an ihren Mann im Kopf. Weil sie einfach nicht wahr waren!

Marcus war nicht der Mann gewesen, den die Öffentlichkeit aus ihm gemacht hatte! Also hatte er sein Gewissen erleichtern müssen, ihr erzählt wie sich alles in Wahrheit zugetragen hatte. Er konnte verstehen, dass sie wütend gewesen war, rasend, angewidert von ihm, er konnte aushalten, dass sie ihn verflucht und beschimpft hatte. Jay glaubte ohnehin, dass er verdiente all das zu hören. Endlich sprach mal jemand laut aus, was die kleine Stimme in seinem Kopf ihm eh schon die ganze Zeit über leise zugeflüstert hatte. Die kleine Stimme, die ihn dazu gebracht hatte Angelas Nachrichten zu beantworten, die kleine Stimme, die ihn letzte Nacht zu ihrem Haus hatte gehen lassen und in dieses elendige Schlamassel geführt hatte. Niemals jedoch hätte Jay gedacht, dass sie auf ihn schießen würde, als er sie beide endlich von ihren Kidnappern befreit und sie fast gerettet hatte. Auch als er Angela angeschaut hatte, ihr schwacher, aber hasserfüllter Blick und eine Pistole auf ihn gerichtet, hatte er nicht geglaubt, dass sie es durchziehen würde. Er hatte nicht einmal versucht sich zu verteidigen oder zu flüchten oder nach Hailey zu rufen, die inzwischen nur eine Treppe entfernt war, voll bewaffnet. Jay war der Überzeugung gewesen, dass er sie davon abhalten, beruhigend auf sie würde einreden können, dass sie zusammen hier herauskommen würden. Sie würden das in Ordnung bringen, wie auch immer. Er hatte nicht mit dem lauten Knall gerechnet, der Druckwelle, die ihn auf einmal traf: Der Schock, der sofortiger Schmerz, sein Körper, der unter ihm zusammenbrach und nicht so reagierte wie er eigentlich sollte, der zu Boden fiel. Das Gefühl von warmem Blut, das aus seiner Brust hervorquoll und sich quer darüber ausbreitete. Vielleicht war das seine Strafe für alles, was er einem unschuldigen Mann angetan hatte. Vielleicht, ja vielleicht hatte Angela recht: Er verdiente es zu sterben! Haileys Stimme, die, sofort nachdem er gefallen war, nach ihm rief, war mittlerweile nur ein weit entfernter Laut. Er verlor schnell das Bewusstsein, als ob er zwischen den Welten hin und her wandern würde. Jay dachte er würde ertrinken, ertrinken in einem Pool gefüllt mit kupferfarbener Flüssigkeit. Die Zeit verlangsamte sich, während in der Ferne alles sehr schnell vorbeizog. So viele Gesicht überall, über ihm, verschwommen, ohne Linien. Sie fassten ihn an, bewegten ihn, bewegten sich neben ihm. Sie waren draußen! Ihm aber schien, er war hinter einer unsichtbaren Wand. Da war nur ein Gesicht, das er sehr klar vor sich sehen konnte, bevor alles dunkel wurde und er fürchtete an seinem eigenen Blut zu ersticken:Während seiner Zeit in dem zugigen, feuchten und dunklen Keller, hatte er sich strikt verboten an sie zu denken, da er dann keinen klaren Kopf hätte behalten können. Sich genug zusammenzureißen um Angela und ihn da herauszubringen und nicht getötet zu werden, war schwer genug gewesen mit den Verletzungen, die er erlitten hatte als ihm letzte Nacht jemand eins über den Kopf gezimmert hatte. Jay hatte fortwährend darum gekämpft die Augen offenzuhalten, trotz der Tatsache, dass stets Blut aus den Wunden in seinem Gesicht und seiner Platzwunde am Kopf hineingetropft und ihm etwas schwindelig gewesen war, so als ob er sich schlafen legen müsste.Aber jetzt sah er sie: Glitzernde blaue Augen, wie die karibische See, dunkle Augenbrauen und volle rosige Lippen. Ein herzliches Lachen spielte auf ihnen, während sie die Hände nach ihm ausstreckte. Er wollte sie auch berühren, war aber zu schwach die Hand zu heben, denn der Schmerz in seiner Brust breitete sich aus. Sie hatte ihn vor so etwas hier gewarnt, sie würde stinksauer sein, dass er nicht gehört hatte. Er hatte ihr noch nicht einmal gesagt, dass er schrecklich verliebt in sie war.

Our Scars (German Version)Where stories live. Discover now