Power Over Me

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Power Over Me (Titel by Dermot Kennedy) 

Stella anzurufen war immer eine gute Idee, besonders mitten in einer emotionalen Krise.
Rianne und sie hatten es bei ihrem Telefonat gerade bis zu den Highlights von Freitagnacht geschafft, als ihre Freundin sie einlud einen Teil des Sonntags auf der Feuerwehrwache zu verbringen, statt das Gespräch auf Distanz fortzuführen. Sie hatten das schon einige Male gemacht. Manchmal war während einer 24-Stunden-Schicht nicht viel los und es war möglich auch mal eine Kaffeepause machen.
Rianne wusste, dass Stella nicht genug von Klatsch, Tratsch und Drama bekommen konnte und sie Abwechslung auf der Arbeit liebte. Also hoffte Stella natürlich auf weitere Ausführungen zu Riannes Bettgeschichte und brannte darauf Details zu hören. Und Rianne brauchte zudem dringend jemanden, mit dem sie über die neusten Enthüllungen bezüglich Andreas eventuellen Geheimlebens reden konnte.
Nachdem sie mit der ganzen Schicht Lunch gehabt hatten, vortrefflich zubereitet von der neusten Ergänzung im Team, Blake Gallo, zogen sie sich in Kellys Offiziersquartier zurück. Nachdem sich die Idee eines Frauenaufenthaltsraums zu einem kompletten Desaster entwickelt hatte, gab es nur wenige Orte, an denen man hier nicht die ganze Zeit von Männern umgeben war.
"Ich glaub ich hab den Verstand verloren!" beichtete Rianne sobald Stella die Türe geschlossen und sich auf Kellys Bett geworfen hatte. Sie bot Rianne ein Stück aus ihrem privaten Schokoladenvorrat an.
"Warum zur Hölle denkst du das?" Stella klopfte auf die Stelle neben sich und Rianne folgte der Einladung sich neben sie plumpsen zu lassen.
"Es war echt okay für mich keinen Sex zu haben! Ich hatte nicht den Drang mit irgendeinem Fremden nach Hause zu gehen und es einfach zu tun oder so. Kein einziges Mal! Aber jetzt kann ich nur noch daran denken! Scheinbar reicht es einmal wieder angefixt worden zu sein und dann will man immer mehr und mehr!"
"Das überrascht mich nicht, Süße! Du hast über zwei Jahre lang wie eine Nonne gelebt. Ich persönlich glaube ja, dass man das nur eine bestimmte Zeitlang durchhalten kann. Aber... um mehr zu wollen muss es ja ziemlich gut gewesen sein! Also? Hat Jay bei dir übernachtet?"
Sich mehr Schokolade in den Mund stopfend, schlang Stella ihre Arme um Rianne und zog sie an sich. Das war das Schöne hieran! Es war wie eine Übernachtungsparty bei der man all seine kleinen Geheimnisse, die man sonst nur seinem Tagebuch gestehen würde, mitteilen konnte.
"Nein! Als ich aus dem Badezimmer kam und meine kleine geheime Panikattacke überwunden hatte, war er schon wieder angezogen und sagte er müsse am nächsten Morgen wieder früh auf dem Revier sein. Ich wollte einerseits irgendwie, dass er geht, weil ich so durcheinander war und ich allein sein musste, aber ich war auch irgendwie enttäuscht, glaub ich. Ach, es war einfach peinlich. Und dann hab ich was Blödes gesagt und jetzt weiß ich nicht was ich tun soll, und ich hasse es so unsicher zu sein. Das bin einfach nicht ich!"
"Was hast du denn gesagt?"
Als Rianne es ihr daraufhin sagte, schnitt Stella eine Grimasse und pfiff durch die Zähne, als ob sie sich wehgetan hätte:
"Autsch, das war hart! Was würdest du denn jetzt gern machen?"
"Ich will ihn zurück in meinem Bett haben, und zwar pronto. Das hört sich schrecklich notgeil an, aber es ist einfach so. Wahrscheinlich sollte ich mir lieber mal Gedanken über andere Dinge machen," Rianne vergrub ihr Gesicht an Stellas Schulter und stöhnte, während ihr einige Highlights dieser Nacht durch den Kopf rauschten:
Wie Jays Hände ihre nackte Haut elektrisch aufgeladen hatten, was für ein gutes Gefühl er ihr gegeben und wie begehrt sie sich gefühlt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal so völlig im Moment verloren, wann ihr Körper sich das letzte Mal angefühlt hatte, als ob er jeden Moment in Flammen aufgehen würde.
"War's so gut?" Stella drückte sie noch mehr und Rianne spürte die Aufregung ihrer Freundin und das dicke Grinsen, das sie wahrscheinlich aufgesetzt hatte.
"Stella, ich bin nicht okay damit und ich weiß gar nicht wie ich überhaupt so empfinden kann, weil es sich einerseits so anfühlt als würde ich Andrea betrügen... Andererseits sollte ich mich deswegen vielleicht gar nicht schuldig fühlen, da es ja so aussieht, als habe er weit größere Geheimnisse vor mir gehabt..."
Rianne hatte das Gefühl, als ob ihr Kopf seit Freitagnacht nicht mehr aufgehört hatte sich in die eine, oder die andere Richtung zu drehen. Und zwar in schwindelerregendem Tempo.
"Also... es war atemberaubend gut für das erste Mal mit jemanden, den ich kaum kenne. Es war sogar so ein krasser Rausch und ging so schnell, dass wir überhaupt nicht an Verhütung gedacht, darüber geredet oder sonst was haben, gar nicht..."
Es war noch immer ein kleiner Störfaktor in ihrem Hinterkopf. Rianne wusste zwar, dass sie sich, was ungewollte Schwangerschaften anging, gekümmert hatte, weil sie die Pille nahm. Aber sich nicht darum zu scheren, dass man ja auch noch allerlei Geschlechtskrankheit bekommen konnte, war ihrer Meinung nach ziemliches Teenie-Verhalten. Interessanterweise hatte sie festgestellt, dass es so einige Dinge im Bezug auf Jay gab, bei denen sie sich wieder wie 15 fühlte. Mit allen guten und schlechten Seiten.
Sie mochte die damit verbundenen Ängste und Unsicherheiten nicht, aber die Neuheit und Aufregung belebten sie auch unglaublich.
Stella zuckte nur und quietschte vor Vergnügen:
"Was hält dich denn noch auf? Ruf ihn einfach an und frag ihn, ob er sich mit dir treffen will! Oder noch besser: zieht euch noch mal aus und vielleicht redet ihr beim zweiten Mal über Verhütung..."
"Über was redet ihr Mädels hier eigentlich?" Kelly kam auf einmal herein, wobei Stella und Rianne sich eigentlich für den Moment ungestört geglaubt hatten.
Da dies sein Quartier war, konnte man ihm jedoch kaum einen Vorwurf machen.
"Wer muss über Verhütung reden?"
Anstatt ihn zu fragen, ob er sie eine Minute oder zwei alleine lassen könne, platzte Stella heraus:
"Jay und Rianne haben es endlich getan!"
"Warum machst du das immer?" Rianne löste sich aus Stellas Umarmung und sprang vom Bett auf.
"Weil ich mich weigere dich mit Samthandschuhen anzufassen, Schätzchen. Ja, du hast eine Tragödie durchgemacht. Ja, ich weiß, dass du Andrea immer noch sehr liebst, aber Baby da gibt es eine Gelegenheit, die du nicht verpassen solltest. Also geh einfach beim Präsidium vorbei, schau ob er da ist und rede mit ihm!"
"Ja, ich hab das schon verstanden! Aber warum musstest du es Kelly erzählen? Nichts für ungut Severide," sie tätschelte entschuldigend seinen Arm.
"Alles gut," versicherte er ihr, ein amüsiertes Lächeln auf den vollen Lippen.
Er behauptete immer es gäbe nichts Unterhaltsameres, als ihnen zwei Gossip-Girls dabei zuzuhören, wie sie sich Strategien für ihre Alltagsdramen zurechtlegten. Als Mann war er nicht so für die 'ich muss alles und jede mögliche Wendung erst einmal mit meiner besten Freundin besprechen, bevor ich handle' Spielerei. Aber Kelly fand es amüsant ihre mädchenhafte Aufregung dabei mitzuerleben.
"Weil ich ihm sowieso alles erzähle. Zumindest weißt du jetzt, dass er es weiß. Und ich finde es gibt nichts, wofür du dich schämen müsstest. Und er verurteilt dich ganz sicher nicht, stimmt's Schatz?" Natürlich tat Kelly das nicht.
"Meinst du eigentlich, dass Andrea nebenbei in ernsthafte Waffendeals verwickelt gewesen sein könnte?"
"Super Stella, warum befragst du zu diesem Thema nicht auch gleich die ganze Wache?" Rianne rollte mit den Augen, aber wahrscheinlich war der Ansatz ihrer Freundin das Ganze anzugehen der Gesündere. Einfach alles offen aussprechen, ohne Scham.
Natürlich dauerte es nicht lang bis sie auch Matt damit behelligt hatte, der hauptsächlich um Riannes Sicherheit besorgt war. Am Ende tat es aber ganz gut alles mit ihnen zu besprechen und sich ihrer Unterstützung sicher sein zu können, sowie ihre Meinungen mitzubedenken. Niemand konnte sich vorstellen, dass Andrea mehr Dreck am Stecken gehabt hatte, als ein paar gestohlene Mäuse. Es war klar, dass er ein absolutes Spielproblem gehabt hatte, kombiniert mit dem gelegentlichen Gebrauch von Partydrogen. Aber Waffendeals im großen Stil? Mafia? Das war nicht der Mann den sie gekannt hatten.

Our Scars (German Version)Where stories live. Discover now