E I N S

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Mein Kopf brummt fürchterlich, als ich stöhnend die Augen fester zu drückte. Obwohl mir furchtbar heiß war, zog ich die Bettdecke schützend nach oben und vergrub mein Gesicht in der blumig riechenden Decke. Der grelle Lichtkegel, der durch die großen Fenster hereinfiel, erleuchtete geradewegs mich, als würde ich auf einem Präsentierteller liegen.

Wo war nur meine Sonnenbrille, wenn ich sie mal brauchte?

Hatte ich sie gestern nicht dabei? Verdammt, hoffentlich hatte sie mir Paul nicht schon wieder geklaut. Das wäre dann schon das dritte Mal, dass dieser Mistkerl meine Sonnenbrille einsteckte. Oder meinen Partyhut oder meine Hausschlüssel.
Alles natürlich ohne Absicht.

Aber um Paul würde ich mich kümmern, sobald meine Kopfschmerzen nachgelassen hatten.

Ich seufzte angestrengt, drehte mich mit einem Stöhnen auf den Bauch und drückte mein Gesicht in das flauschige Kopfkissen. Zwar wurde dadurch meine Luftzufuhr deutlich vermindern, aber wenigstens blendete mich die Sonne nicht mehr.
Ich wollte gar nicht erst daran denken, meine Augen zu öffnen. Wahrscheinlich würden sie augenblicklich zu Staub zerfallen und gleichzeitig meinen Kopf zum Explodieren bringen.

Neben meinen Kopfschmerzen machte sich auch mein Brand immer bemerkbarer. Meine Kehle war furztrocken und meine Zunge klebte unangenehm an meinem Gaumen. Ich war eindeutig dehydriert und das, obwohl ich gestern mehr als genug Flüssigkeit zu mir genommen hatte.
Allein die zwei Vodkaboote, die Paul und ich unserer Truppe spendiert hatten, waren zusammen gute drei Liter. Also mehr als genug Flüssigkeit. Zwar alkoholische Flüssigkeit, aber immerhin flüssig. Und sie beinhalteten das Wort Boot. Und wo gab es Boote?
Richtig, am Wasser.
Also... Flüssigkeit.

„Nie wieder Alkohol", nuschelte ich ins Kopfkissen und wusste im selben Moment, in dem diese Worte meinen Mund verlassen hatten, dass es mir spätestes nächstes Wochenende wieder genauso beschissen gehen und ich exakt die gleichen Worte mit einem mordsmäßigen Kater murmeln würde.

Einsicht war der erste Schritt zu Besserung, oder nicht? Ein Anfang war also schon mal gemacht.

Ich spürte regelrecht das Blut in meinem Kopf pulsieren und wusste, dass ich nicht darum herum kam, endlich aufzustehen und etwas zu trinken. Andernfalls würde mein alkoholaufgequollenes Gehirn von innen heraus meinen Schädelknochen aufbrechen.
Da war Auge um Auge mit der Sonne dann doch etwas lukrativer. Und mit viel Glück lag vielleicht sogar meine Sonnenbrille am Nachttischkästchen.

Mit einem Kampfschrei, der eher einem angestrengten Stöhnen ähnelte, drehte ich mich wieder auf den Rücken und setzte mich ruckartig auf. Das Bett, auf dem ich saß, begann sich schlagartig wild im Kreis zu drehen, wodurch ich meine Augen nur noch fester zusammendrückte und meine Hände ins Lacken klammerte.
Zumindest blendete mich die Sonne in dieser Position nicht mehr.

Es dauerte lange, sehr lange, ich schlief schon fast wieder im Sitzen ein, bis die Welt nicht mehr Karussell fuhr und ich probeweise ein Auge langsam öffnen konnte. Nur einen Schlitz, um auszutesten, ob meine Augen wirklich sicher vor dem großen Lavaball waren.

Als ich diesen Test als Erfolg verbuchen konnte, öffnete ich mit neuem Elan und größer werdendem Durst beide Augen.

Zu aller erst fiel mein Blick hoffnungsvoll auf das Nachtkästchen, denn obwohl die Sonne mich nicht mehr direkt blendete, war das Tageslicht für meinen pochenden Kopf immer noch zu aufdringlich.
Aber nada. Keine Sonnenbrille.

Ein paar leise Schimpfwörter gepaart mit Pauls Namen kamen über meine Lippen, ehe ich mit dem letzten bisschen Hoffnung einen Blick auf den Nachttisch auf der anderen Bettseite warf. Ich schlief zwar nie auf der rechten Seite, aber vielleicht wollte mein betrunkenes Ich ja mal etwas anderes ausprobieren. Neue Wasser testen und zur Abwechslung mal nicht nur mit Alkohol voll über die Stränge schlagen.

Überrascht musste ich jedoch feststellen, dass mein linkes Nachttischkästchen fehlte.

Es war einfach weg.

Paul hatte doch nicht...? Dieser Pisser. Erst meine Sonnenbrille und meinen Partyhut und dann auch noch mein Nachtkästchen?! Das ging entschieden zu weit!

Ich konnte nur empört den Kopf schütteln, was mich direkt wieder an meine Kopfschmerzen und meinen Durst erinnerte, sodass ich mich langsam aus dem Bett wuchtete. Die Augen weiterhin ein wenig zusammengekniffen, damit es nicht so hell war und mit eisernem Griff am Lacken, damit ich mich zur Not an irgendetwas festhalten konnte, wenn mein Gleichgewichtssinn spontan „Adieu" sagen würde.

„Geschafft", lobte ich mich selbst, als ich endlich in der Senkrechten war und nur minimal schwankte. Jetzt erst einmal Wasser, war mein erster Gedanke als ich mich zielsicher aus dem Schlafzimmer bewegte, den kurzen Flur runter taumelte, durch den Wanddurchbruch marschierte und dann überrascht, aber keineswegs enttäuscht vor einem Sodastream stand.

Grinsend griff ich nach einer der Glasflaschen, füllte sie mit Wasser und stellte sie mich völliger Selbstverständlichkeit in das Gerät, nur um dann zu bemerken, dass ich nicht wirklich wusste, wie das Teil überhaupt funktionierte. Probeweise drückte ich auf den Deckel, der wie von Zauberhand automatisch nach unten fuhr und routinemäßig Gas in das Leitungswasser pumpte, bis das Gerät mit einem Zischen zeigte, dass es fertig war, ehe es sich wieder öffnete und ich die Glasflasche mit frischen Sprudelwasser entnehmen konnte.

Erst als das kühle, sprudelnde Nass meine Kehle hinunter rann und ich es gierig in mich aufnahm, sich die Watte in meinem Kopf dadurch endlich etwas löste und ein oder zwei Synapsen wieder arbeiten konnten, realisierte ich etwas.

Ich besaß gar keinen Sodastream.

Und einen Wanddurchbruch hatte ich auch nicht.

Und ein Flur war in meiner achtzig Quadratmeter WG sowieso weit gefehlt. 

Ein Hannes zum Verlieben ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt