F Ü N F U N D D R E I ß I G

1.3K 166 29
                                    

Das Klingeln eines Telefons ließ mich nur wenige Stunden später wieder wach werden. Recht schnell bemerkte ich aber, dass es nicht mein Handy war, das meinen Schlaf gestört hatte, weshalb mein Gehirn das Geräusch direkt ausblendete und ich wieder wegnickte.

Eine Stunde, oder auch nur einen Moment, später bewegte sich Hannes in meinen Armen und wandte sich schwerfällig aus meinem Griff. Erst wollte ich ihn wieder zu mir ziehen, doch das Klingeln des Telefons, das nicht aufzuhören schien, hielt mich dann doch davon ab.
Es dauerte noch einen weiteren Moment, bis mein verschlafenes Hirn verstand, dass es wohl Hannes Handy war, das da klingelte, und er sich deswegen von mir gelöst hatte.

Hannes murrte unbegeistert, streckte sich zu seinem Nachttisch hinüber und ohne auf den Anrufer zu achten, drückte er auf die Sperrtaste seines Smartphones, wodurch der Anruf stumm gestellt wurde und sich augenblicklich wieder Stille ausbreitete.

Der Zahnarzt ließ sich daraufhin mit einem kraftlosen Seufzen zurück ins Kissen fallen.
„Mir ist kalt", schimpfte er leise, gähnte angestrengt und ließ sich dann widerstandslos von mir zurück in meine Arme ziehen. Er kuschelte sich sofort wieder eng an mich, seufzte zufrieden auf und schmiegte sein Gesicht in meine Halsbeuge, während ich noch darauf achtete, dass er auch wirklich ganz zugedeckt war.
Einen Augenblick später war ich bereits wieder eingeschlafen.

Kurz darauf begann sein Telefon aber wieder zu klingen. Daraufhin kamen mehrere Schimpfwörter über Hannes Lippen, der sich diesmal viel energischer von mir löste und deutlich angepisst sein Handy vom Nachttisch griff.

„Was ist denn?!", schimpfte er in den Hörer, kaum hatte er sein Handy an sein Ohr gedrückt. Ich war mir sicher, dass er nicht einmal darauf geachtet hatte, wer der Anrufer war.

Trotz der Dunkelheit und nur im schwachen Mondlicht, das durch die offenen Vorhänge hereinfiel, konnte ich sehen, wie sich Hannes Gesichtszüge schlagartig änderten. Einen Moment später richtete er sich auf und setzte sich an die Bettkante.

„Wann?", kam es überraschend monoton und schon fast eiskalt über seine Lippen.

Ich konnte die Person am anderen Ende nicht verstehen, konnte nicht einmal heraushören, ob es ein Mann oder eine Frau war, aber Hannes Reaktion ließ nichts Gutes erahnen. Ich hörte lediglich, dass der Anrufer ziemlich viel zu sagen hatte, während Hannes kein weiteres Wort mehr verlor. Eine plötzlich anhaltende Stille am anderen Ende der Leitung deutete darauf hin, dass eine Frage gestellt wurde, die Hannes erst zahlreiche Sekunden später beantwortete.

„Nein, ich bin nicht allein." Auch diesmal klang seine Stimme seltsam kühl. So hatte ich ihn noch nie gehört. Selbst als wir uns kennengelernt hatten und er mir mit seiner harten Art gegenüber gestanden hatte, hatte er nicht so mit mir gesprochen.

Worte der Verabschiedung sparte er sich auch, ehe er den Anruf beendete und seine Hand, die das Handy hielt, stumm in seinen Schoß sinken ließ. Für einige Augenblicke war es still. Ich wartete darauf, dass Hannes etwas sagte, sich irgendwie bewegte oder auch nur irgendein Anzeichen zeigte, aber es geschah nichts.
Das besorgte mich gleich viel mehr, als seine kühle Stimme.

„Hannes?", flüsterte ich in die Dunkelheit hinein und rutschte gleich etwas näher zu ihm. Als er darauf noch immer nicht reagierte, setzte auch ich mich auf und lehnte mich zu ihm nach vorne. Sein fast katatonischer Blick galt dem Fußboden, während seine Gesichtszüge hart und unlesbar waren.
In der Dunkelheit bemerkte ich seine Tränen erst, als sich die erste löste und stumm über seine Wange rann.

Ein erschrockenes „Hannes" kam über meine Lippen, ehe ich den Zahnarzt fest in meine Arme zog. Hannes reagierte erst wieder nicht, bis er sich einen Moment später aus seiner Starre löste und sich stattdessen fest an mich klammerte.

Es folgte ein herzzerreißendes Schluchzen. Er presste sein Gesicht in meine Halsbeuge, krallte sich fast schmerzhaft in meine Seiten und begann hemmungslos zu weinen.
Ich hielt ihn nah bei mir, strich ihm über den Rücken und versuchte ihm mit meiner Anwesenheit vielleicht ein wenig zu beruhigen. Doch auch Minuten später zeigte das keine Wirkung.

„T-tim", schluchzte er herzzerreißend und klammerte sich noch stärker an mich. Auch ich festigte meinen Griff um seinen Körper und drückte ihn dabei eng gegen mich. Ich spürte sein Herz, wie es in rasender Geschwindigkeit gegen seinen Brustkorb klopfte und wie sein Körper bebte.

„Ich bin da, Maus", versicherte ich ihm und ließ dabei eine Hand in seine Haare wandern, um beruhigend hindurch zu kraulen.

Seine Tränen rannten mittlerweile auch meinen nackten Oberkörper hinunter, während die Haut an meiner Schulter schon völlig nass war. Aber das war mir ziemlich egal.
Es brach mir das Herz, Hannes so aufgelöst zu erleben. Ich wollte nicht, dass er weinte und wünschte mir ihm irgendwie helfen zu können.

„M-mein B-bruder", wimmerte er fast unverständlich. Seine Fingernägel bohrten sich in meine Rippen, was mich ein wenig unwohl fühlen ließ, ich aber trotzdem nicht von ihm abließ. Dass er im Zusammenhang mit seinem Bruder so weinte, ließ eine grausame Vermutung aufkeimen, die ich gleich wieder wegschob.
„E-er" Ein weiteres Schluchzen unterbrach seinen Satz.

„A-alexa-ander ist ge-gestor–" Er verschluckte die letzten Silben mit einem kläglichen Wimmern und begann noch heftiger zu weinen.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Where stories live. Discover now