Z W E I U N D V I E R Z I G

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Ich zögerte etwas, ehe ich die Tube griff.
Hannes Verhalten passte mir eigentlich überhaupt nicht und am liebsten würde ich es hier gerade abblaßen. Mein Körper bebte zwar vor Erregung, aber das fühlte sich gerade einfach nicht richtig an. Hannes gab mir gerade viel eher das Gefühl, als wäre das hier eine schnelle Nummer für ihn. Fast schon wie ein One Night Stand. Hauptsache Sex und ja keine Zärtlichkeiten.

An sich hätte ich damit auch kein Problem, aber in Anbetracht der letzten Tage, dem Tod seines Bruders, unserer Funkstille und generell sein seltsames Verhalten, fand ich das einfach falsch.

Ich konnte mich nicht dazu bewegen, die Tube zu öffnen.

Hannes dauerte das alles anscheinend zu lange, denn nur einen kurzen Moment später richtete er sich wieder auf und warf mir einen deutlichen Blick über seine Schulter zu. Fordernd und unnachgiebig.

Gleichzeitig konnte man weder Lust noch einen Hauch von Erregung in seinen grauen Augen erkennen. Sie waren einfach nur kühl und so unnahbar, wie ich ihn kennengelernt hatte.
Er sperrte mich wieder aus seiner Gefühlswelt aus und auch wenn ich es irgendwo nachvollziehen konnte, tat es gleichzeitig auch einfach nur weh.

„Mach."

Dieses eine Wort allein war so fordernd und kompromisslos, dass mein Kopf sich automatisch schüttelte.
So wollte ich das nicht. Ganz sicher nicht.

„Warum nicht?", kam es daraufhin verständnislos von ihm. Er setzte sich weiter auf und drehte sich dafür in meine Richtung. In der selben Bewegung zog er die Bettdecke über seinen Schoß und verdeckte damit seinen Intimbereich. Mir entging aber dennoch nicht, dass er keine Erektion mehr hatte.
Warum war er so auf Sex aus, wenn er offensichtlich nicht einfach Lust darauf hatte?
Obwohl ich gerade absolut gegen sämtliche sexuellen Tätigkeiten war, stand mein Penis noch immer wie eine Eins und mein Körper war heiß vor Erregung. Einfach nur, weil Hannes an sich so eine Wirkung auf mich hatte.

„Kuscheln wir uns einfach ins Bett und schauen einen Film", schlug ich vor, ohne auf seine Frage zu antworten und sammelte meine Unterhose aus den unordentlichen Klamottenhaufen am Boden auf, ehe ich sie mir überzog.

„Ich will Sex."
Dabei klang er beinahe so blockig, wie ein kleines Kind, dessen Eltern ihm verboten hatten, Eis zu essen.

„Mäusch-" „Nenn mich nicht so!", unterbrach er mich forsch und stieß mich damit ziemlich auf. Vor nicht einmal zwei Wochen hatte er noch gesagt, dass er diesen Kosenamen liebte und jetzt? Jetzt klang es eher so als würde er ihn unglaublich verabscheuen.
Ich schluckte das schlechte Gefühl, das dadurch aufkam, einfach hinunter und versuchte meine Worte irgendwie umzuformulieren.

„Hann-" „Johannes", unterbrach er mich erneut, erhob sich ohne mich noch einmal anzusehen von seinem Bett und holte sich eine frische Unterhose aus seinem Kleiderschrank, die er sich gleich überzog.

„Was ist denn jetzt dein Problem?", schoss es augenblicklich aus mir heraus. Ich wusste, dass ich mit meiner Wortwahl aufpassen musste und meine Reaktion wahrscheinlich gerade genau das Falsche war, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich versuchte nichts anderes, als für ihn da zu sein und er hatte es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht, mich von sich zu stoßen.
„Vor zwei Wochen hast du noch gesagt, dass du den Kosenamen liebst und du hast dich auch nie beschwert, wenn ich die Hannes genannt habe."

„Nenn mich einfach nicht mehr so", war alles, was er dazu zu sagen hatte und warf seine Bettdecke zurück aufs Bett.

„Wenn du mich nicht ficken willst, dann kannst du eigentlich auch gehen." Er sah mich dabei nicht an, sondern kramte unbekümmert in seiner Sockenschublade. Seine Stimme kühl und unnahbar, wie damals in der Nacht, als ihm am Telefon gesagt wurde, dass sein großer Bruder gestorben war.

Hätte er mich angesehen oder auch nur kurz von seinen Socken aufgesehen, hätte er gesehen, wie sie er mich mit seinen Worten verletzte.

Für mehr als einen Fick konnte er mich nicht brauchen?

„Was?", brachte ich also verständnislos heraus.

„Du hast mich schon verstanden", murmelte Hannes daraufhin und hatte offenbar endlich ein Paar gefunden, weil er die Schublade zu schob und sie sich überzog. Mich sah er dabei auch weiterhin nicht an.

„Ich habe dich gehört, aber verstanden sicherlich nicht", gab ich ehrlich zu und fühlte mich gerade richtig dumm. Allein schon, dass ich nur in Boxershorts hier stand und eigentlich gerade schon ein drittes Mal von meinem Freund aus seiner Wohnung geschmissen wurde.
„Für mehr als Sex kannst du mich nicht brauchen?", stieß ich verärgert aus, obwohl mein Innerstes sich vor Angst und Schmerz immer weiter zusammenzog. Den Gedanken zu haben war das eine, aber es auch noch laut auszusprechen war etwas ganz anderes.

„Tim, bitte geh jetzt einfach."

„Nein!" Spätestens jetzt war ich wirklich wütend. Er konnte nicht so eine Nummer abziehen, mir so etwas an den Kopf werfen und mich dann aus seiner Wohnung schmeißen.
„Du trauerst, das weiß ich. Wirklich. Und ich versuche dir so viel Freiraum wie möglich zu geben und dir nicht auf die Pelle zu rücken oder dich einzuengen. Ich kann gut verstehen, wenn du lieber alleine sein möchtest, aber das rechtfertigt trotzdem nicht, dass du mich so behandelst!"

„Du willst mich nicht einengen? Was machst du dann hier?! Ich habe dich nie gebeten, für mich da zu sein oder mir Essen zu kochen! Du hast das entschieden und du warst einfach da! Ich muss dich immer und immer wieder bitten zu gehen und trotzdem bist du dann wieder da! Du engst mich ein!", brüllte Hannes plötzlich und pfefferte das Oberteil, das er gerade in der Hand hielt, wütend zur Seite. Sein Blick fand endlich meinen. Seine grauen Augen tobten vor Wut und schoßen spitze Eiszapfen in meine Richtung, die, obwohl sie nur imaginär waren, mich mitten ins Herz trafen.

„Und dann will ich einmal etwas. Ich will einfach nur Sex und nicht einmal das tust du für mich! Also geh verdammt nochmal einfach! Lass mich in Ruhe, koch nichts für mich, sei nicht andauernd da, sondern lass mir einfach meinen Frieden!"

Ich stockte. Sämtliche Gefühle, die gerade noch in einer Achterbahn durch meinen Körper gerauscht waren, wurden von seinen Worten sofort niedergemacht. Meine Wut und der Schmerz waren von jetzt auf hier verschwunden und zurück blieb nur gähnende Leere.

Ich konnte kaum aufnehmen, was er sagte. Mein Gehirn konnte das alles kaum verarbeiten und war scheinbar in Standby übergegangen. Ich konnte ihm einfach nur starr entgegen sehen.

„Weißt du was?!", fuhr er direkt fort und störte sich offenbar nicht daran, dass ich nichts dazu sagte. „Lassen wir das einfach sein. Das mit uns funktioniert offensichtlich nicht!"

Daraufhin konnte ich seinem Blick nicht mehr länger standhalten.

„Wenn du gehst, lass meinen Wohnungsschlüssel hier. Den brauchst du nicht mehr. Ich hätte ihn dir nie geben sollen", murmelte er, während er sein Oberteil wieder aufsammelte und es sich überzog, ehe er auch in eine Hose schlüpfte.

Wie in Trance griff auch ich meine Klamotten wieder und während mein Körper gerade noch starr war, konnte ich mich jetzt nicht schnell genug anziehen. Ich hudelte beim Anziehen und stolperte dabei beinahe über meine Hose, als ich noch beim Zuknöpfen schon das Schlafzimmer verließ.
Meine Hände zitterten stark, als ich seinen Wohnungsschlüssel von meinem Schlüsselbund pfriemelte, wobei die anderen Schlüssel verräterisch klimperten.

Es fiel mir furchtbar schwer das Stück Metal einfach abzulegen. Und mit dem Moment, indem sich meine Finger von dem hellen Metal lösten, erfüllte Kälte meinen Körper.
Fast so als hätte ich mein Herz und nicht einen läppischen Schlüssel dort abgelegt.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Where stories live. Discover now