F Ü N F U N D Z W A N Z I G

1.7K 166 12
                                    

Hannes Wecker war das erste, das ich an diesem Morgen hörte.

Das nächste war der Wohnungsbesitzer, der sich fester in meine Arme kuschelte, und hilflos aufseufzte.

An die Morgende mit Hannes konnte ich mich wirklich gewöhnen. Vor allem, wenn wir am Abend zuvor das getan hatten, was wir gestern getan hatten.
Sogar seinen Wecker würde ich dafür ertragen können.

„Tim", jammerte er, drückte auf die Snoozetaste und drehte sich wieder zu mir um. Sein Gesicht schmiegte er dabei fest in meine Halsbeuge und seine Arme schlangen sich um meinen Brustkorb. Abermals stellte ich fest, dass sein Körper so perfekt an meinen passte, als wären wir füreinander gemacht worden. „Können wir nicht einfach liegen bleiben?"

„Von mir aus schon", schmunzelte ich mehr als begeistert von seiner Frage und genoss es ihn in meinen Armen zu haben. Wir waren noch immer nackt. Gestern Nacht hatten wir uns nur notdürftig gesäubert, bevor wir uns ohne Klamotten aneinander gekuschelt hatten und recht schnell vollends befriedigt einschlafen waren.

Meine Hand fand seine Haare und kraulte hindurch, während meine Augen wieder zufielen. Ich inhalierte seinen Duft und konnte nur zufrieden lächeln. Er roch nach Hannes und Sex. Und ich wusste jetzt schon, dass das für immer meine liebste Duftmischung bleiben würde.

Ich genoss es in vollen Zügen, diesen lieblichen Mann in meinen Armen halten zu können.
Bis einige Augenblicke später sein Wecker wieder klingelte.

Hannes und ich stöhnten zeitgleich genervt auf. Der Zahnarzt rollte mit den Augen, schaltete seinen Wecker aus und griff nach seiner Brille, die auf dem Nachtisch lag, ehe er sich aufsetzte und erneut tief seufzte.

„Arme Ritter?", fragte ich und konnte nicht anders als meine Hand auf seinen nackten Rücken zu legen und sanft darüber zu kraulen. Hannes seufzte zufrieden auf und lehnte sich weiter gegen mich und nickte dann.

„Das hört sich super an." Er lehnte sich lächelnd zu mir und küsste mich sanft. „Danke", kam es von ihm, bevor er mir fast liebevoll durch die Haare strich und sich dann schwerfällig aus dem Bett kugelte.

Von da an lief fast jeder zweite Morgen so ab. Länger als eine Nacht getrennt voneinander hielten wir beide irgendwie nicht aus. Wir genossen die Zeit zusammen und gemeinsam wach zu werden, gefiel uns beiden eindeutig zu sehr, als dass wir darauf verzichten wollten. Außerdem konnten wir kaum die Finger voneinander lassen und mittlerweile gab es keinen Raum, außer der Küche, das war Hannes zu unhygienisch, in dem wir noch keinen Sex hatten. Und der Sex war wirklich phänomenal.
Hannes war phänomenal. Er überraschte mich jedes Mal aufs Neue. Waren es gewagte, aber verdammt heiße Sexstellungen oder Männerspitzenunterwäsche, die mich beim Anblick seines perfekten Hinterns eingepackt in schwarze Spitze, fast in meine Unterhose kommen ließen. Hannes haute mich jedes Mal vom Hocker.
Mittlerweile hatte ich auch sein Tattoo mehrmals genauestens unter die Lupe genommen. Wie in meiner Erinnerung, war es ein kleines, sehr filigran gestochenes Segelboot, das von der Gischt aufgeschaukelt wurde. Hannes erzählte mir, dass er Segelboote mit seiner Kindheit verband, weil sie ihre Familienurlaube immer auf einem Segelboot verbracht hatten. Er und sein Bruder hatten sich vor einigen Jahren dazu entschieden dieses Motiv auf ihrer Haut zu verewigen, um damit nicht nur an vergangene Jahre zu erinnern, sondern auch um ihre Bruderbindung zu verdeutlichen.
Momentan plante Hannes kein weiteres Tattoo, obwohl er mir im Vertrauen zugeflüstert hatte, dass es ihn schon nochmal unter den Fingernägeln brennen würde.

Während Hannes sich dann morgens für die Arbeit fertig machte, versuchte ich ihm jedes Mal ein anderes nahrhaftes Frühstück zu machen, ehe wir uns dann schwerfällig mit zahlreichen Küssen voneinander trennen mussten.

Obwohl Hannes anfangs wirklich eine große Ablenkung war, konnte ich mich jetzt sogar umso besser auf die Uni konzentrieren. Ich wusste, dass der Tag schneller verging, wenn ich die ganze Zeit über beschäftigt war und damit konnte ich Hannes schneller wiedersehen. Dadurch nutzte ich wirklich jede freie Minute zum Lernen.
Das bemerkten sogar einige meiner Professoren.
Einer davon hatte mich deswegen mitten in der Vorlesung vor versammelter Mannschaft gelobt.

Ich hatte nie ein Problem damit, im Mittelpunkt zu stehen, aber in dem Moment war es mir dann doch ein wenig unangenehm. Mal davon abgesehen, dass meine Leistungen nicht meinen kompletten Kurs etwas angingen, war das der Stups, den meine Freunde gebraucht hatten, um mich auf meinen neuen Eifer anzusprechen.

„Tim, du machst mir Angst", schnaufte Paul und schmiss sich seinen Rucksack auf den Rücken. „Du warst schon ewig nicht mehr mit uns feiern, schläfst andauernd irgendwo anders und das schlimmste von allem, du lernst. Das hast du noch nie gemacht." Mein bester Freund schüttelte empört den Kopf und sah mir entgegen, als wäre es das abwegigste überhaupt, dass ich mich auf mein Studium konzentrierte.

Ich musste unweigerlich an unser Gespräch in unserer Küche denken, als Paul mich ebenfalls darauf angesprochen hatte und ich ihm erzählt hatte, dass ich mit Hannes geschlafen hatte. Seitdem kam das Thema nicht mehr auf. Weder der Sex mit dem namenlosen Kerl, weil ich Paul nicht direkt von Hannes erzählen wollte, noch meine besseren Leistungen in der Uni.

Dass Paul das immer noch Spanisch vorkam, ärgerte mich irgendwie ein wenig.
Okay, ja. Ich hatte mich sonst nie sonderlich für mein Studium interessiert. Aber besser spät als nie, oder?

„Und am Wochenende zum Brunch warst du schon wieder nicht dabei", fügte Lisa hinzu und zog ihre perfekt gezupfte Augenbraue skeptisch nach oben. „Zum zweiten Mal in Folge."
Ihr Freund Fabian sagte nichts dazu, sah mir aber auch neugierig entgegen.

„Und du hast seit einer Woche nicht mehr auf meine Nachrichten geantwortet", kam es dann auch noch von Franziska, die ihre Arme fast schon verärgert in ihre Seiten gestemmt hatte.

„Stimmt, meine Nachricht von vorgestern hast du noch nichtmal gelesen", gab schließlich auch Fabi seinen Senf dazu. Im Gegensatz zu den Mädels klang er aber keinesfalls verärgert oder in Pauls Fall besorgt, sondern äußerte lediglich einen Fakt.

Ich seufzte angestrengt, überlegte für einen Moment, ob ich nicht einfach von Hannes erzählen sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder.
Erstens wollte ich ihn erst noch eine Zeit lang alleine genießen und zweitens wusste ich nicht einmal, wie ich ihn vorstellen sollte. Ein One Night Stand war er schon lange nicht mehr und nur Freude waren wir sowieso nie.
Konnte ich mich so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass er mein fester Freund war? Konnte man behaupten, dass wir so etwas wie ein Paar waren?
Ich persönlich konnte mir auf jeden Fall eine Beziehung mit ihm vorstellen. Vor allem, weil mir der Gedanke, dass er womöglich noch andere Männer traf, überhaupt nicht gefiel und ich es liebte mit ihm Zeit zu verbringen.

„Die Prüfungen sind nicht mehr so weit weg und zur Abwechslung möchte ich mal alle bestehen", antwortete ich also ausweichend und zuckte mit den Schultern. Ganz gelogen war das immerhin auch nicht. Dieses Semester waren allein zwei Prüfungen dabei, die ich dieses Mal dringend bestehen musste, weil es mein letzter Versuch war. Das wussten meine Freunde auch, weshalb sie in diesem Punkt nur zustimmend nicken konnten.

„Und wo bist du nachts?", fragte Franziska und legte den Kopf fragend schief. Paul tat es ihr gleich und sah mir ebenso neugierig entgegen. War ja klar, dass mein Mitbewohner gleich allen erzählte, dass ich weniger Zeit in unserer Wohnung verbrachte, als wäre das irgendwie eine große Sache. Paul verbrachte immerhin auch die meiste Zeit bei irgendwelchen seiner Betthäschen.
Ich konnte nur wieder seufzen.

„Nicht zuhause", antwortete ich dann nur und drehte mich von ihnen weg. Darauf hatte ich einfach keine bessere Antwort.

„Als ob du mir damit davon kommst", zischte Paul und griff nach meinem Oberarm, um mich am Weggehen zu hindern. Hingegen meinen Erwartungen hatte er jedoch ein Schmunzeln auf den Lippen und nicht mehr die Mischung aus Sorge und Ärger im Gesicht. „Wir bestellen heute Asiatisch und wehe du bist nicht zuhause." Er hob drohend den Fingern seiner freien Hand und wackelte damit in meine Richtung, bis ich nickte.

Heute wäre ich zwar ohnehin zuhause gewesen, aber Paul würde sich besser fühlen, wenn ich nur für ihn meine Pläne ändern würde. Deswegen versicherte ich ihm, dass ich mich bemühen würde, da zu sein und winkte dann Fabian zu mir, der mich gleich fragte, ob wir vorher noch ins Gym gehen wollten.
Da das auch meine Frage gewesen wäre, nickte ich nur grinsend und machte mich dann auf den Weg in die Bibliothek, um meine freie Zeit noch nutzen zu können.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Donde viven las historias. Descúbrelo ahora