F Ü N F U N D V I E R Z I G

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Mich zum Klingeln meines Weckers aus dem Bett zu quälen war heute einfacher als sonst. Das lag vor allem daran, dass ich die ganze Nacht wachgelegen hatte und über Hannes und mich nachgedacht hatte.

Pauls Worte schwirrten noch immer in meinem Kopf und während ich Hannes bisher wegen dem Todesfall in seiner Familie in Schutz genommen und seine Handlungen damit gerechtfertigt hatte, sah ich es zum Sonnenaufgang wie Paul.

Hannes Verhalten mir gegenüber war nicht ok. Ja, er trauerte und jeder ging damit unterschiedlich um, mich aber so von sich zu stoßen, zu ignorieren und mir dann auch noch solche Dingen an den Kopf zu werfen, die nicht der Wahrheit entsprachen, das war einfach nicht in Ordnung. Vielleicht hatte Hannes auch das Gefühl, dass ich ihn einengte, aber jede außenstehende Person, die unsere wenigen Aufeinandertreffen in der letzten Zeit mitbekommen hätte, würde auch eher behaupten, dass ich ihm viel Freiraum gelassen hatte.
Dem war ich mir mittlerweile sicher.

Ich war nicht mehr länger wütend auf Hannes und was er gesagt hatte, ich war einfach nur enttäuscht, dass es erst so eskalieren und zum Streit kommen musste, bevor er mir seine Gefühlswelt mitteilte. Er hätte es mir auch vorher ganz normal sagen können. Das hätte ich verstanden.
Zumindest besser als so.

So war ich mir einfach nicht sicher, ob das eine Überreaktion in diesem Moment war oder ob das wirklich seine objektive Meinung war.

Gleichzeitig zeigte mir jeder neue Tag, an dem ich nichts von ihm hörte, dass er seine Worte anscheinend nicht bereute. Was wiederum bedeuten musste, dass es nicht nur eine momentane Überreaktion war.

Obwohl ich hellwach war, ächzte mein Körper unbegeistert als ich mich aus dem Bett hievte und gleich ins Badezimmer verschwand, bevor auch Paul aufstand und es stundenlang blockierte. Ich beeilte mich, um mit allem fertig zu werden und behielt mich auch den restlichen Vormittag selber durchgehend beschäftigt, damit meine Gedanken nicht wieder abschweifen konnten. Ich hatte heute Nacht sowieso schon alles zerdacht, sodass ich mir eigentlich keine weiteren Gedanken mehr machen musste. Im Endeffekt änderte es sowieso nichts.

Wir waren getrennt und Punkt. Das war jetzt nunmal so, auch wenn ich damit nicht einverstanden war. Das war Hannes Wunsch und ich würde mich ihm sicherlich nicht noch weiter aufdrängen, wenn das schon der ausschlaggebende Grund für ihn war.

Ich musste damit jetzt einfach leben.

„Schön dich wieder zu sehen, Bro", rief mir Fabian schon von weiten zu, als ich mit meinem Tablett in die Nähe unseres Tisches kam. Franzi saß schon bei ihm und erzählte gerade etwas, wurde aber von Fabis Geschrei unterbrochen. Man sah ihm deutlich an, dass er noch immer erkältet war, tiefe Augenringe zierten sein Gesicht und seine Nase war vom andauernden Nasenputzen rot. 

„Tim", lächelte auch sie und klopfte gleich neben sich auf den freien Platz, damit ich mich zu ihr setzte. „Du magst bestimmt Erdbeerpudding", redete sie gleich weiter ohne mich zu Wort kommen zu lassen. „Fabian hat mich überredet den zu probieren, aber mir schmeckt er nicht und Fabian mag Erdbeerpudding anscheinend selber nicht." Sie warf dem Freund ihrer besten Freundin einen bösen Blick zu, ehe sie mich engelsgleich anlächelte.

„Jo, ess ich schon", murmelte ich selber kein großer Fan von Erdbeerpudding und griff nach der kleinen Schüssel, bevor ich meinen Hauptgang überhaupt angerührt hatte. Da ich selber keinen Dessertlöffel hatte, nutzte ich einfach Franzis, die tatsächlich ein wenig überrascht wirkte, als ich einfach so nach der Nachspeise auf ihrem Tablett griff.

„Danke", lächelte sie dann und schob ihr nun leer gegessenes Tablett etwas von sich. „Ich habe dir ein paar Sachen mitgeschrieben. Pitzke hat auch ein bisschen was zum Klausurstoff gesagt, das habe ich auch alles mit aufgeschrieben. Das kann ich dir später  alles geben."
„Danke Franzi." Ich quälte mir ein kleines Lächeln ab, das ziemlich sicher kaum glaubwürdig war, aber Franzi gab sich damit zufrieden.

Ich war mir sicher, dass Paul ihnen von meiner Trennung von Hannes erzählt hatte. Darüber war ich auch sehr froh. So musste ich es nicht selber nochmal zig Personen sagen und würde somit auch keine Fragen gestellt bekommen.

„Paul muss heute wegen irgendwas noch mit seinem Prof reden und kommt deswegen nicht zum Mittagessen", ließ Fabian mich wissen, was ich nur mit einem Nicken abtat. Das selbe hatte Paul mir vorhin auch schon per WhatsApp geschrieben und mich gleichzeitig gebeten, ihm noch ein Sandwich von Kiosk zu organisieren, bevor die Besten mit Tomate und Mozzarella ausverkauft waren.

„Kommst du heute mit ins Gym? Fabi zeigt Lisa und mir ein paar Geräte." Franzi sah fragend zu mir auf.

„Die beiden hängen mir andauernd jammernd in den Ohren, dass sie keine optimale Strandfigur haben", seufzte Fabian daraufhin. „Nur so konnte ich sie endlich zum Schweigen bringen."

Das lockte mir dann doch ein kleines Lächeln auf die Lippen. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie Fabian dauerhaft zwischen den beiden kleineren Frauen gestanden hatte und sich ihr Gejammer anhören musste. An seiner Stelle hätte ich auch schnell einen Ausweg gesucht und dieser war sogar noch recht clever.

„Count me in. Wann?" Vielleicht würde mir etwas Training gut tun, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Außerdem musste ich echt mal wieder mehr Zeit mit meinen Freunden verbringen.

„Abends erst. Lisa schreibt nachmittags noch eine Klausur."

„Nachmittags eine Klausur und danach noch ins Gym? Das ist tapfer", schmunzelte ich. Auch Fabi lachte daraufhin, hustete danach aber direkt.

„Sie hat mir versprochen, dass sie kommt." Franzi zuckte mit den Schultern und grinste fast fies. „Sie hat also gar keine Wahl."

„Die Arme ist heute Abend fix und fertig", prognostizierte ich mit einem kleinen Lächeln und brachte Fabian damit zum Aufstöhnen.

„Dann wird das heute ein katastrophaler Abend. Ich kann sie jetzt schon jammern hören." Sein Kopf fiel lustlos in den Nacken, ehe ein weiteres, lang gezogenes Stöhnen von ihm kam. „Hat der gute Burgerladen heute offen? Ich muss ihre Laune mit irgendwas gut stellen."

„Du willst sie mit Essen bestechen?" Franzi klang dabei ziemlich skeptisch.

Fabi zuckte aber lediglich mit den Schultern. „Mit gutem Essen funktioniert das eigentlich immer."

Das brachte einen erstaunten Ausdruck auf die Gesichtszüge des einzigen Mädchens am Tisch, ehe sie fast andächtig nickte. „Fabi, du hast das Freund sein durchgespielt", schmunzelte sie und lehnte sich dann sogar grinsend über den Tisch, um seine Schulter zu tätscheln.

Ich musste Franzi Recht geben. Fabi war wirklich ein toller Freund und kannte seine Lisa mittlerweile so gut, dass er sie nur ansehen musste und wusste, was in ihrem Kopf gerade vorging.

Ich kam gar nicht drumrum, zu spekulieren, ob meine Beziehung mit Hannes auf Dauer auch so innig geworden wäre. Ob wir uns auch stumm verstanden hätten und den jeweils anderen irgendwann besser als uns selbst gekannt hätten.

Nur knapp konnte ich mir ein trauriges Seufzen verkneifen. Warum war ich heute nochmal in die Uni gegangen? Das war pure Qual. Spätestens wenn ich heute Abend Fabian glücklich verliebt mit seiner Freundin erleben musste, würde mein Damm wohl erneut brechen.

„Vielleicht gehe ich heute doch nicht mit", formulierte ich meine Bedenken gleich. „Ich hab die letzten Tage echt viel verpasst und muss einiges aufarbeiten."

Fabi verzog daraufhin das Gesicht, nickte aber verständnisvoll. Franzi dagegen sah mir mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen, ehe sie einfach den Kopf schüttelte.
„Du gehst mit", entschied sie dann und erhob sich im nächsten Moment von ihrem Stuhl, der dabei leise quietschte. „Du kannst mich mit den beiden Turteltauben nicht alleine lassen. Außerdem musst du echt mal wieder raus. Dein Zimmer stinkt bestimmt schon voll. Hast du eigentlich mal gelüftet?"
Sie wartete gar nicht erst ab, bis ich ihre Frage beantwortete oder auch nur irgendwie auf ihre Worte reagierte, sondern schulterte ihre Tasche, nahm ihr Tablett und ließ Fabi und mich einfach zurück.

Fabi sah ihr genauso sprachlos hinterher wie ich, bis er als erster wieder die Sprache fand.
„Ich stimme ihr zu. Etwas Bewegung schadet nicht." Damit stand auch er auf, wartete aber netterweise bis auch ich mich erhoben hatte und wir zusammen unsere Tablette wegbrachten.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Waar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu