Z W E I U N D F Ü N F Z I G

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Ich war schon kurz davor, Dad von Hannes zu erzählen, aber ich hatte mich so lange darum gedrückt, bis das Telefon geklingelt und Mum ihr Taxi bestellt hatte.

Das Lächeln auf den Lippen meines Vaters, als Mum lautstark ins Telefon gebrüllt hatte, dass sie ihn liebte, freute mich einerseits unbändig, andererseits zog sich mein eigenes Herz dabei auch zusammen.

Meine Eltern waren seit über dreißig Jahren ein Paar und liebten sich noch wie am ersten Tag trotz unzähliger Höhen und Tiefen. Sei es die Firma, die anfangs über Jahre hinweg nur rote Zahlen geschrieben und meine Eltern fast in den Ruin getrieben hatte, sodass sie damals sogar das Elternhaus meines Vaters verkaufen mussten oder die Nervenkrankheit meiner Mutter, die eine weitere Schwangerschaft verhindert hatte, obwohl sie sich eigentlich immer zwei Kinder gewünscht hatten. Sie hatten immer zusammengehalten und gegenseitig unterstützt und mir von klein auf gezeigt, was wahre Liebe war.

Mit Hannes konnte ich zumindest für eine kurze Zeit selber empfinden, was Liebe war und jetzt wo ich ihn verloren hatte, war mein Verlangen, so glücklich wie mein Eltern sein zu können irgendwie noch schlimmer als zuvor.

„Liebling!", rief meine Mutter laut aus, als sie und ihre Freundinnen am Rücksitz einstiegen und sie sich gleich nach vorne lehnte, um einen feuchten Knutsch auf meine Wange zu drücken.
„Du musst dich dringend rasieren", fügte sie gleich an und strich mit ihrem Handrücken kurz mütterlich über meine pelzige Wange. „Das ist so eine schöne Überraschung, dass du da bist!"

Auch ihre Freundinnen begrüßten mich und Dad überschwänglich und setzten dann ihr Gespräch fort. Ich hatte Recht. Sie waren wie immer gut angeheitert.

„Das passt so gut, dass du da bist, Tim. Du hilfst mir doch sicherlich morgen bei meiner Gartenparty, oder?" 

„Natürlich hilft er dir, Resi", rief Conny gleich aus und grinste breit zu mir nach vorne. „Er hat seiner Mutter noch nie einen Wunsch abgeschlagen, nicht?"

„Das stimmt allerdings", stimmte Susanne ihr zu. „Ich wünschte, meine Söhne wären so wie du, Tim. Da habe ich schon drei und trotzdem ist keiner davon so fürsorglich wie du. Sie könnten ihrer Mutter auch mal was Gutes tun."
Susanne hatte drei Söhne. Die älteren zwei waren eineiige Zwillinge, die damals in meiner Stufe waren. Wir hatten nie viel miteinander zu tun, obwohl unsere Mütter eigentlich beste Freunde waren, weil ich mit den Zwillingen, die ziemliche Rabauken waren, nie etwas anfangen konnte. Sie haben beide nach der zehnten Klasse unser Gymnasium verlassen und während Philip eine Ausbildung gemacht und mittlerweile sogar Frau und Kind hatte, war Daniel weggezogen und ich hatte seitdem nichts mehr von ihm gehört. Mit ihrem kleinen Bruder Manuel hatte ich nie irgendetwas zu tun, was vor allem daran lag, weil er einige Jahre jünger war.

„Tja, nicht jeder kann so einen Prachtjungen haben", gab Mum daraufhin an und tätschelte gleich wieder meine Wange. „Du hilfst mir doch, oder?"

„Klar", antwortete ich schmunzelnd und zog ihre Hand von meiner Wange, als sie nicht aufhörte sie zu tätscheln. Ihre Armreife klimperten dabei und erinnerten mich sofort wieder an meine Kindheit. Sie trug immer zwei goldene Armreife an ihrem linken Arm. Einer hatte den Namen meines Vaters und ihren Jahrestag eingraviert, der andere meinen Namen und meinen Geburtstag. Ich kannte meine Mutter nicht ohne und konnte mich auch an keinen Tag erinnern, an dem sie sie nicht getragen hatte.

Auf meine Antwort hin kicherten ihre Freundinnen, ehe sie wieder in eine wilde Planung verfielen. Dad warf mir nur einen Blick zu, was uns beide zum Lachen brachte.

Wir verfielen in Schweigen, während die Frauen am Rücksitz sich weiterhin heiter unterhielten und wir eine nach der anderen zuhause absetzen, bis nur noch Mum übrig blieb und Dad den Heimweg einschlug.

„Ich freue mich, dass du da bist, Tim", lächelte Mum und lehnte sich zwischen den vorderen Sitzen zu uns, damit wir uns besser unterhalten konnten. „Möchtest du morgen zum Frühstück Eier mit Speck oder lieber Pfannkuchen?"

„Pfannkuchen", antwortete Dad wie aus der Pistole geschossen, was ihm gleich einen bösen Blick von Mum einbrachte.

„Dich habe ich nicht gefragt. Tim, Liebling. Was möchtest du frühstücken?"

„Pfannkuchen hören sich gut an", stimmte ich meinem Vater zu. Rühreier konnte ich zuhause auch problemlos alleine machen, aber Pfannkuchen, gerade so wie Mum sie machte, waren mir eine Nummer zu groß.

„Wie lange bleibst du? Wir wollen Sonntag in diesen leckeren Biergarten fahren. Vielleicht kommst du mit. Als Kind hast du so gerne auf dem Spielplatz dort gespielt, aber dafür bis du mittlerweile zu groß." Mum seufzte sentimental auf und lehnte sich wieder zurück. „Ich weiß noch, als du so klein warst." Sie öffnete ihre Hände ein wenig, um meine Größe zu veranschaulichen und seufzte erneut auf.

„So Sonntagabend wäre ich wieder zurückgefahren", beantwortete ich ihre Frage, bevor sie vor lauter Sentimentalität noch zu weinen anfangen würde.

„Das ist ja super!", rief sie daraufhin gleich fröhlich und auch mein Vater begann zu lächeln.
So einfach konnte ich meinen Eltern eine Freude machen.

Dann wurde es verdächtig still am Rücksitz und ich war mir sicher, dass Mum bald einschlafen würde. Nur die leise Musik aus dem Radio erfüllte das Auto, während wir in der Dunkelheit nach Hause fuhren. Auch meine Augendeckel wurden langsam schwer und ich freute mich schon auf mein Bett. So bequem mein Bett in der WG auch war, nichts übertraf mein Bett in meinem Kinderzimmer.

Mein Handy, das plötzlich in meiner Hosentasche laut zu vibrieren begann, ließ nicht nur mich zusammenzucken, sondern riss meine Mutter auch wieder aus ihrem Halbschlaf.

Ich beeilte mich den Kasten aus meiner Hosentasche zu bekommen, damit ich es zumindest auf stumm stellen konnte. Als ich dabei aber bemerkte, dass der Anrufer Hannes war, stockte ich sofort.

Hannes stand mit weißen Buchstaben auf dem schwarzen Hintergrund und das Kontaktbild, das ich bei ihm eingestellt hatte, leuchtete mich hell entgegen.

„Ui, das ist aber ein Hübscher", strahlte meine Mutter, die mir über die Schulter aufs Handy lugte. „Ist Hannes einer deiner Mitstudenten?"

Ich brauchte einen weiteren Moment, um alles begreifen zu können, während meine Augen fest auf Hannes Bild fixiert waren. Er strahlte darauf richtig und in seinen Augen war das zu sehen, was ich bisher immer als Zuneigung abgestempelt hatte, womit ich mich aber eindeutig getäuscht hatte.

Mit einem kurzen Druck auf den Sperrknopf hörte das Vibrieren auf, aber der Bildschirm zeigte mir, dass der Anruf deswegen nicht weggedrückt wurde. Ohne weiter darauf zu achten, schob ich mein Handy einfach wieder zurück in meine Hosentasche.

„Nein, er studiert nicht mit mir", beantwortete ich Mums Frage knapp und zwang mich dann dazu stur aus der Frontscheibe zu starren, um seinen Anruf nicht doch noch anzunehmen. Mum störte sich in ihrem angeheiterten Zustand nicht weiter über meine etwas kühle Stimmlage, aber der Seitenblick meines Vaters war mir nicht entgangen.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Where stories live. Discover now