Z W E I

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Während der Sodastream eine zweite Flasche Wasser besprudelte, wanderte mein Blick durch die kleine Küche. Trotz der edel aussehenden, schwarze Einbauschränke fühlte man sich nicht eingeengt und der ebenfalls glänzend schwarze Tisch mit den weißen Stühlen machte in der Kombination echt etwas her.

So etwas hatte sich Lisa also vorgestellt, als sie meinte, dass sie eine schwarze Küche wollte. Ich konnte es mir bis jetzt überhaupt nicht vorstellen, aber mein verkaterter Kopf musste zugeben, dass das schon echt gut aussah. Vor allem da die Küchenutensilien mit strahlendem Chrom einen starken, aber wirklich passenden Kontrast bildeten und den ganzen Raum in eine gewisse Einheit verwandelten.

Alles war blitzeblank. So sauber, dass sich mein Suffkopf beinahe im Lack der Schränke spiegelte. Nur die vier Bierflaschen, die leer auf der Arbeitsplatte standen, wirkten extrem fehl am Platz und machten das Gesamtbild etwas kaputt.
Die und nun ja... ich.

Ich brauchte dringend eine Dusche. Ich konnte den getrockneten Schweiß an meinem Körper, die zahlreichen Getränke, die im Club aus Versehen über meine Klamotten geschüttet wurden, und den Zigarettenrauch von Partyqualmer Paul riechen. Außerdem stieg mir sogar meine eigene Alkoholfahne in die Nase, was nicht sehr förderlich für meine Kopfschmerzen war.

Also Schritt eins: Die Besitzerin der Wohnung finden.

Schritt zwei: duschen.

Als ich realisierte, dass ich nackt in einer fremden Küche stand, zuckte ich überrascht zurück und starrte mit großen Augen das Ungetüm zwischen meinen Beinen an. Er hing genauso schlaff nach unten, wie ich mich gerade fühlte und sah dabei eher jämmerlich als majestätisch aus. Ich seufzte, schüttelte den Kopf und führte die Glasflasche erneut an meine Lippen, während meine freie Hand selbstverständlich meine Hoden fand und sie genüsslich kraulte.

Nachdem ich nicht in meiner eigenen Wohnung war, konnte ich davon ausgehen, dass ich mit einer meiner Eroberungen nach Hause gegangen war. Das wiederum bedeutete, dass der da unten heute Nacht ganz schön geschuftet hatte. Da konnte ich schon mal kraulen.

Aber jetzt mal ehrlich. Wie konnte ich nicht bemerken, dass ich nackt war?

Mit dem Handrücken wischte ich einen Tropfen von meinem Kinn, der beim gierigen Trinken aus meinem Mundwinkel entwischt war und sah mich dann erneut in der Küche um.

Ich konnte selber kaum glauben, dass mein verkaterteres Ich diese Küche vor nur wenigen Minuten wie ein Innenarchitekt genau unter die Lupe genommen hatte. Eine Einheit? Kontrastreich?
Ich musste darüber fast schon schmunzeln. Vielleicht sollte ich mein Studium doch lieber an den Nagel hängen.

Ok, jetzt aber zusammenreißen.
Und eine Planänderung musste her. Erst eine Hose finden, dann die Besitzerin - vielleicht lief sie mir derweil sowieso schon über den Weg - und dann duschen. Vorzugsweise hier, damit ich nicht so ungemacht auf die Straße treten musste. Wer wusste schon, wie weit ich von zuhause weg war.

„Hey", rief ich probeweise durch den Wanddurchbruch in den Flur und lauschte dann angestrengt. Zwei Minuten später probierte ich es erneut, bekam jedoch wieder keine Antwort.

Vielleicht schlief sie noch? Sie lag zwar nicht im Bett, aber vielleicht war sie in der Nacht aufs Sofa umgezogen?

Als wäre ich hier schon seit Jahren zuhause, führten mich meine Beine zielsicher zurück in den Flur durch eine angelehnte Tür in ein gemütliches, aber leider leeres Wohnzimmer.

Also das Wohnzimmer selber war nicht leer. Ein großes, dunkelgraues Sofa füllte beinahe den gesamten Raum aus, sodass nur noch ein Wohnzimmertisch und ein paar Topfpflanzen Platz hatten. Sogar der Fernseher war direkt an der Wand gegenüber montierten, während ein paar weitere Pflanzen darunter standen und den leeren Platz, an dem eigentlich eine TV-Kommode stehen sollte, ausfüllten.

Nur befand sich hier halt keine Besitzerin. Wenn sie also nicht im Bett, nicht in der Küche und auch nicht im Wohnzimmer war, wo war sie dann?
Ich schluckte nervös. Mir schwante Böses.

Hoffentlich hatte sie sich nicht mitten in der Nacht übergeben müssen und war dann auf dem Badezimmerteppich eingeschlafen. Und wenn, hatte sie hoffentlich vorher noch die Toilettenspülung betätigen können. Wenn ich jetzt einen voll gekotzten Raum betreten musste, würde ich wohl gleich meinen Teil dazu beitragen. Im negativen Sinne versteht sich.

Obwohl ich nicht sonderlich gläubig war, machte ich automatisch ein Kreuzzeichen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, ehe ich mit vorsichtigen Schritten auf die letzte geschlossene Tür zuging, die eindeutig nicht die Wohnungstür war.

Meine Hand berührte bereits die Türklinke, als mir schlagartig wieder einfiel, dass ich ja immer noch nackt war und dass ich das vorher vielleicht noch ändern sollte. Auch, wenn wir Sex miteinander hatten, wollte ich nicht gleich wieder nackt vor ihr herum hüpfen. Zum Schluss hielt sie mich noch für einen Einbrecher und schmiss mich dann gleich aus der Wohnung. Da wollte ich keinesfalls nackt sein.

Mit hastigen Schritten eilte ich zurück ins Schlafzimmer, wo ich meine Klamotten gleich wild am Boden verstreut finden konnte. „Ein Glück", murmelte ich, als ich meine Unterhose aus dem Wirrwarr zog und hineinschlüpfte. Dabei fiel mein Blick auf das unordentliche Bett und den dunkelgrau gestreiften Bettbezug.
Die Dame mochte dunkle Farben anscheinend gerne. Erst die schwarze Küche, dann das graue Wohnzimmer und dann noch der graue Bettbezug. Sympathisch.

Zumindest mit einer Boxershorts bekleidet, atmete ich ein letztes Mal tief ein, bevor ich die Luft anhielt und die Badezimmertür aufriss. Im ersten Moment hatte ich meine Augen zugekniffen, ehe ich sie vorsichtig öffnete und mein Blick direkt auf den hellgrauen Badeteppich fiel.
Leer.

Genauso leer wie das Bett und das Sofa.

War ich wirklich alleine in dieser Wohnung?
Wer ließ denn bitte einen Fremden einfach so alleine in seiner Wohnung zurück?

Ich konnte nur den Kopf schütteln, der sich durch die zwei Liter Wasser, die ich getrunken hatte, langsam nicht mehr so schwer anfühlte.

Ich könnte der jetzt echt die ganze Bude ausräumen. Wie konnte man nur so naiv sein?

Unbewusst begann ich mich erneut in der Wohnung umzusehen und suchte dabei nach einem Indiz, wer hier wohnen könnte. Aber nichts. Außer den stark überwiegenden Schwarz- und Grautönen wies die Wohnung seltsam wenig Charakter auf. Keine Zeitschriften, die etwas verraten könnten, keine ungeöffneten Briefe irgendwo. Verdammt. Es gab noch nicht mal irgendwelche Bilder an den Wänden. Weder hässliche Kunst, noch Fotos mit Freunden oder Familie.

Ich konnte rein gar nichts finden, das darauf hinwies, wer hier wohnte. Nur der üppig gefüllte Kühlschrank und der Biomüll, der offensichtlich erst vor ein oder zwei Tagen ausgeleert wurde, deuteten darauf hin, dass hier überhaupt jemand wohnte und das hier nicht nur eine Ausstellungswohnung war.

Ich kannte keine einzige Frau... ja noch nicht mal einen Mann, der in einer so blanken Wohnung lebte. Selbst meine Wohnung, die zwar auch ein einziges großes Chaos war, was jedoch überwiegend an meinem Mitbewohner Paul lag, hatte mehr persönlichen Charme.
Gleichzeitig fühle ich mir hier aber auch irgendwie wohl. Fast schon heimisch.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Where stories live. Discover now