F Ü N F

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Der Inhalt der Schrankes glich so ziemlich dem Inhalt dieser Wohnung. Stilsicher und hauptsächlich grau, schwarz und weiß. Ein dunkelblaues Hemd war das farbenfrohste, dass ich auf Anhieb gesehen hatte und was mich am aller meisten überraschte, war die Tatsache, dass es ausschließlich Männerklamotten waren.
Klar, Frauen konnten genauso Klamotten aus der Männerabteilung tragen, aber da verwirrte sich dennoch das ein oder andere Kleid oder Croptop in ihren Kleiderschrank. Hier war das alles weit gefehlt.
Sehr weit.

Wenn, dann musste es sich schon um eine sehr interessante Frau handeln, die lediglich Boxershorts, die eindeutig für Männer und den männlichen Vorbau gemacht wurden, besaß.

Die Erkenntnis, dass dieser Kleiderschrank der eines Mannes war, wahrscheinlich sogar der des Mannes, der mich vorhin nackt gesehen hatte, traf mich mehr als unvorbereitet.

Wo war die Frau in dieser Sache?

Ich schluckte angestrengt.

Vielleicht war sie ja nur eine Freundin von ihm, die die Nacht hier verbringen durfte oder seine Wohnung als Liebeshöhle missbrauchte, und die sich bereits wieder aus dem Staub gemacht hatte?
Dann tat mir der Kerl aber ehrlich leid, wenn er jetzt mit ihrem verwirrten Überbleibsel zurückgeblieben war und sich darum kümmern durfte.

Sobald meine Klamotten fertig waren, würde ich mich gleich aus dem Staub machen, um ihm nicht noch mehr Arbeit zu bereiten.
Verdammt. Er hatte ja sogar Frühstück mitgebracht. 

Mit einer Sporthose, die etwas knapp saß und wahrscheinlich auch noch als Boxershorts durchgegangen wäre, und einem T-Shirt, das auch figurbetonter war, als es eigentlich sein sollte, trat ich zögerlich aus dem Schlafzimmer und folgte dem Geklimper von Geschirr in die Küche.

„Deinen Geldbeutel und deinen Schlüssel habe ich dahin gelegt. Die Taschentücher in deinen Hosentaschen habe ich weggeworfen" waren die ersten Worte von dem Typen, als ich durch den Wanddurchbruch in die Küche trat. Mein Blick fiel auf einen kleinen Ecktisch, der als Ablage für Zeitungen diente, und fand wie gesagt meinen Geldbeutel und Schlüssel.

„Rührei?" Er sah mir über seine Schulter hinweg entgegen und sah mich wieder so auffordernd wie vorhin an.

„Ja, das wär ganz nice."

Im selben Moment erschien ein charmantes Lächeln auf seinen Lippen, ehe er sich mir ganz zu drehte und sich gegen die Küchenplatte lehnte.
„Du wiederholst dich", schmunzelte er und lächelte dabei noch breiter. „Von wegen du bist ein standfester Trinker, dem es am nächsten Morgen gut geht." Seine Augen schimmerten amüsiert, wodurch sein vorhin recht hartes Gesicht nun sanft und fröhlich wirkte.
Wenn er mir vorhin direkt so gegenüber gestanden wäre, wäre ich vielleicht nicht ganz so neben der Spur gewesen.
Wobei das die Tatsache, dass er ein Mann war dennoch nicht verändert hätte.

Warte? Ich hatte gestern Abend schon mit ihm gesprochen?

„Wir haben uns gestern schon gesehen?", fragte ich dümmlich nach und schüttelte irritiert den Kopf. Seit langem hatte ich keinen derartigen Blackout mehr. Ich wusste kaum noch etwas vom vergangenen Abend. Das Letzte, das ich noch klar in Erinnerung rufen konnte, war als Paul und ich lallend den Club verlassen hatten und eigentlich zu seinen Studienkollegen in einen anderen Club starten wollten. Ich konnte mich auch noch wage daran erinnern, dass wir in diesem Club auch angekommen waren, aber wir seine Freunde nicht finden konnten.
Was danach passiert war, bereitete mir nur Kopfschmerzen, weshalb ich nicht mehr weiter versuchte mich zu erinnern.

Der Kerl vor mir kam mir auf jeden Fall kein Bisschen bekannt vor.

Meine Frage war jedoch irgendwie falsch, denn sein Lächeln starb augenblicklich und auch der amüsierte Ausdruck aus seinen Augen verschwand, sodass er mir wieder genauso ernst wie vorhin im Gang entgegen sah.
Hatte ich ein wichtiges Detail vergessen? Irgendetwas an das ich mich erinnern sollte?

Oh nein. Hoffentlich hatte ich nicht irgendeinen Scheiß angestellt und den Kerl irgendwie mit reingezogen.

„Shit. Habe ich etwas wichtiges vergessen?" Seine plötzliche Stimmungsänderung musste ja etwas heißen. Doch mein Gegenüber schüttelte nur den Kopf.

„Nein, nein. Alles gut. Ich dachte nur nicht, dass du so betrunken warst, dass du dich an gar nichts mehr erinnern kannst."
Ich konnte nicht genau benennen, woran es lag, vielleicht war es auch nur eine verkaterte Einbildung, aber irgendwie klang der Typ enttäuscht. Fast schon traurig.
Auf jeden Fall kein Bisschen glaubwürdig.
Ich hatte meinen Mund schon geöffnet, um nachzufragen und mehr aus ihm herauszupressen, aber warum auch immer ging ich dem Drang nicht nach und klappte ihn stattdessen einfach wieder zu.

„Also Rührei?" Mit einer ruckartigen Bewegung drehte er sich wieder von mir weg und begann an seinem Herd herumzuhantieren. Ich war vielleicht verkatert, aber selbst in diesem Zustand begriff ich, dass es ihm unangenehm war, vor mir zu stehen und sich deshalb sinnloser Weise mit dem Ofen beschäftigte. 

„Ja, klingt gut", antwortete ich schlussendlich und beschloss ihn einfach machen zu lassen. War ja seine Sache und wer war ich schon, dass ich einfach davon ausgehen konnte, dass das alles mit mir zu tun hatte.

„Kannst du meiner Erinnerung vielleicht auf den Sprung helfen? Ich kann mit nach dem Colors an nichts mehr erinnern." Ich ließ mich auf einen der weißen Stühle an den bereits gedeckten Tisch fallen und griff selbstverständlich nach der dampfenden Kaffeetasse, die dort schon stand.

„Colors?", fragte er nach, anstatt meine eigentliche Frage zu beantworten und rührte aufgeregt in seiner Pfanne.

„Ja?" War die Frage ernst gemeint? Wer kannte denn das Colors nicht? „Den Club", versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen. Vielleicht war er ja genauso verkatert wie ich und konnte es nur besser verbergen?
Es würde zumindest erklären, warum er den größten Club in unserem Kleinstadtkaff nicht kannte beziehungsweise nicht auf Anhieb erkannte.

Er nickte nur, zögerte dabei aber so sehr, dass ich mir sicher war, dass er noch immer nicht wusste, wovon ich redete.

„Ich weiß nur, dass du mich auf dem Heimweg angesprochen hast. Mein Auto ist liegen geblieben und ich bin zu Fuß nach Hause. Du bist eine zeitlang auf dem Gehweg auf der anderen Straßenseite gegangen, bis du irgendwann die Seite gewechselt hast und zu mir gekommen bist." Er zuckte mit den Schultern und beschäftigte sich weiterhin mit seinem Herd.

„Wir haben uns ein wenig unterhalten und ich habe dir erzählt, dass mein Auto liegen geblieben ist und ich deswegen nach Hause laufe und dass ich nicht weiß, wie ich heute in die Arbeit kommen soll. Daraufhin hast du mir dein Fahrrad angeboten." Er drehte sich mit der Pfanne und dem offenbar fertigen Rührei zu mir um und verteilte dann zwei bleichgroße Portionen auf den zwei Tellern, stellte die Pfanne zurück auf den Herd und setzte sich zu mir.

„Ich habe dir mein Fahrrad angeboten?" Ich verzog überrascht das Gesicht und konnte nur lachen, als er nickte.

„Sorry, aber ich besitze kein Fahrrad. Das wurde mir noch in der gleichen Woche geklaut, in der ich hierher gezogen bin."

„Nun ja", kam es mit neutralem Gesichtsausdruck von ihm, „dann habe ich keine Ahnung, mit wessen Fahrrad ich heute in die Arbeit gefahren bin."

Ich prustete augenblicklich laut los. Mein Lachen hallte laut durch die Küche und nach nur wenigen Minuten begann mein Bauch zu schmerzen und selbst mein Kopf begann wieder zu meckern. Doch ich konnte mich kaum mehr einkriegen.
Ich hatte nicht allen ernstes gestern Nacht ein Fahrrad geklaut und es dem armen Kerl dann angedreht.

Mein Gegenüber schmunzelte nur selig, während der amüsierte Ausdruck wieder in seine Augen zurückkehrte.
„So fremd kann dir das Fahrrad auf jeden Fall nicht gewesen sein, denn du konntest mir sogar die Kombination für das Fahrradschloss geben." Diesmal begann auch er wieder breiter zu Lächeln und nippte dann an seiner Kaffeetasse, versteckte damit sein Lächeln vor mir.

„Oh." Das kam jetzt noch überraschender. „Ok."

Ein Hannes zum Verlieben ✓حيث تعيش القصص. اكتشف الآن