S E C H S

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„Ja, gut. Und dann? Wie bin ich nackt in deinem Bett gelandet?" Mein halbes Rührei war bereits in meinem Mund verschwunden, während ich mir gerade eine der noch warmen Semmeln vom Bäcker aufschnitt und mit Butter bestrich.

Mein Gegenüber begann Augenblick zu husten und stellte mit langsam rot werdendem Kopf seine Kaffeetasse energisch beiseite, ehe er versuchte sich selbst etwas zu beruhigen. Es dauerte einen Moment, bis sein Husten wieder nachgelassen hatte und er sich ein Glas mit Leitungswasser holte und nachspülte. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie sehr heißer Kaffee in der Luftröhre brennen musste.

„Ich habe dir gesagt, dass ich gleich morgens weg muss und du meintest nur, dass du eh deinen Rausch ausschlafen musst und noch schläfst, wenn ich wieder zurückkomme. Warum... du nackt warst..., kann ich dir nicht beantworten." Seine Stimme klang durch sein Husten nun etwas rauer, was mich aus welchem Grund auch immer an irgendetwas erinnerte. Irgendetwas, das es sogar schaffte, dass sich die feinen Härchen auf meinen Armen aufstellten.
Ich konnte nur nicht benennen, was es war. Geschweige denn, was mein Gegenüber damit zu tun hatte.

Ich nickte zögerlich und biss herzhaft in meine Semmel. Meine Gehirnwindungen ratterten, versuchten die neuen Informationen zu verarbeiten und vielleicht doch noch eine passende Erinnerung dazu zu finden, aber nada. Da war nichts.

„Ja... so lange bin ich auch noch nicht wach..." Er nickte. „Ich war so frei und war duschen." Wieder nickte er.

Dann kam wieder Stille auf, in der wir beide etwas unangenehm vor uns hin kauten. Die seltsame Anspannung zwischen uns, ließ mich immer stärker vermuten, dass ich vielleicht doch etwas Ausschlaggebendes vergessen hatte und mein Gegenüber es nicht für nötig hielt, mich zu updaten.
Vielleicht hatte ich irgendeine Peinlichkeit angestellt und er wollte mich schützen, in dem er es mir nicht erzählte? In dem Fall war ich dann sogar froh, dass er es mir verheimlichte.

Nur eine Sache ging nicht so ganz auf.

„Wo kommt dann das benutzte Kondom her?"

Diesmal verschluckte er sich nur beinahe und hüstelte angespannt, während seine Wangen schlagartig dunkelrot wurden. Seine Finger klammerte sich angestrengt um seine Gabel und die anderen fassten fest um den Henkel der Tasse.

Im ersten Moment erschien es beinahe so, als würde er nach einer Ausrede suchen, während sein ganzer Kopf schon die Farbe einer Tomate angenommen hatte. Als er dann jedoch zu stammeln begann, war ich mir sicher, dass es ihm einfach nur unangenehm war.
„D-das war schon vor dir da."

„So so", grinste ich und konnte nicht verhindern, anzüglich mit den Augenbrauen zu wackeln. Er nickte nur wieder und schob sich dann eine volle Gabel Rührei in den Mund.

Unweigerlich begann ich dann jedoch darüber zu spekulieren, was für eine Typ Frau wohl seinen Geschmack traf. Er wirkte eher ruhig, stand er also auf ebenfalls ruhige Girls oder doch eher auf wilde und laute?
Irgendwie konnte ich ihn dahingehend nicht einschätzen.

„Und wo kommen die Kratzspuren auf meinem Rücken her? Die haben beim Duschen gebrannt wie Hölle." Das war echt eine gute Frage. Dafür musste ich mich schon selbst loben. Doch sein Gesichtsausdruck sagte mir gleich, dass ich dazu von ihm keine Antwort erwarten konnte.

„Wo kommt dein Fahrrad her?", stellte er schlussendlich eine Gegenfrage und zeigte mir damit deutlich, dass er genauso wenig Ahnung hatte wie ich.

„Das ist echt eine gute Frage", murmelte ich und leerte mit einem letzten Schluck meine Kaffeetasse. Wenn ich jetzt dann zuhause war, würde ich mich gleich wieder in mein Bett werfen und den restlichen Tag nichts mehr machen. Für heute hatte ich meinen Puls schon in die Höhe getrieben, da musste der Rest gemütlich werden.

Vorher musste ich mich jedoch noch um dieses Fahrrad kümmern. Immerhin konnte ich es nicht einfach mit nach Hause nehmen und hier lassen ging noch weniger. Wobei das eindeutig die lukrativere Möglichkeit wäre. Sein Auto war doch ohnehin kaputt. So hatte er dann zumindest eine Fahrgelegenheit und ich ein Problem weniger. Win win also.

„Wer arbeitet denn bitte Samstagvormittag?" Die Frage war viel zu schnell über meine Lippen gekommen und sollte eigentlich reine Spekulation bleiben. Das wollte ich nicht laut aussprechen. Dass mein Gegenüber aber zu lächeln begann, war zumindest schonmal ein gutes Zeichen. Ich hatte ihn mit meiner Neugier nicht verärgert.

„Das war nur eine Ausnahme. Ein lästiger Privatpatient, der denkt, dass sich die Welt nur um ihn dreht." Er schüttelte schmunzelnd den Kopf und schnitt dann in aller Ruhe eine weitere Semmel auf, während ich ihm nur sprachlos entgegen starren konnte.
Privatpatient? Patient wie in Patient eines Arztes? Er war ein Arzt?!
Der war doch vielleicht mal ein Jahr älter als ich.

Oder war Patient eine Umschreibung für irgendetwas? War er vielleicht ein Lieferant, der seine Kunden Patienten nannte? Ne... das wäre schon irgendwie seltsam.

„Patient?"

Er nickte, kaute ruhig fertig und antwortete erst, als er geschluckt hatte.
„Ich bin Zahnarzt."

„Deswegen hast du so viele Zahnbürsten", rief ich erstaunt und gleichzeitig erfreut, dass ich das Geheimnis gelüftet hatte, aus. Das erklärte echt so einiges. Kein normaler Mensch hatte kilometerweise Zahnseide zuhause.
Nun ja... niemand, der kein Zahnarzt war.

Als er auf meinen Ausruf hin zu lachen begann und das tiefe, kehlige Geräusch durch die Küche hallte, stellten sich erneut die Härchen auf meinen Armen auf. Ich realisierte kaum, wie auch ich zu lachen begann, als wäre sein Lachen ansteckend. Der heitere Gesichtsausdruck und seine nun strahlenden Augen, ließen mich auch weiterhin lächeln, als sein Lachen schon längst wieder verebbt war.

„Ja, deswegen habe ich so viele Zahnbürste da", stimmte er mir zu und trank weiterhin lächelnd von seinem Kaffee. „Ich hoffe, du hast dir deine Zähne heute schon geputzt. Gestern Nacht konnte ich dich einfach nicht mehr dazu bewegen."

Diese Offenbarung lockte mir gleich einen Rotschimmer auf die Wangen und diesmal war es an mir leise zu hüsteln, bevor ich antwortete.
„Ich habe sie geputzt. Und normalerweise achte ich sehr auf meine Mundhygiene. Gestern war ich nur echt sehr breit." Ich wollte mir mit meinem neuen Zahnarztfreund nicht gleich Ärger einhandeln.

Er grinste mir jedoch weiterhin entgegen.
„Ich weiß. Du hast sie mir gestern gezeigt."

„Was habe ich dir gestern gezeigt?", fragte ich irritiert nach und zog die Augenbrauen nach oben. Doch nicht etwa meine Zähne? Gott, wie peinlich.

„Deine Zähne", antwortete er genau das, was ich befürchtet hatte. „Und du hast mir erzählt, dass du erst vor zwei Monaten die letzte Zahnreinigung hattest und wie frech du es findest, dass du dir mittlerweile beim Zahnarzt nichts mehr aussuchen darfst." Er wirkte beinahe stolz, was auch mich zufrieden stellte und grinsen ließ, während der amüsierte Ausdruck und das schelmische Grinsen immer präsenter wurden.

„Oh Gott, nein", lachte ich tatsächlich beschämt und strich mir durch die fast trockenen Haare. „Aber mein betrunkenes Ich hatte damit schon Recht. Das ist echt ein bisschen unfair. Nur, weil ich jetzt erwachsen bin, heißt das noch lange nicht, dass ich gerne zum Zahnarzt gehe." Erst da realisierte ich, was ich gesagt hatte und versuchte natürlich gleich wieder zurückzurudern. Sicherlich mochte es niemand, wenn man seinen Beruf schlecht machte. Erst recht nicht, wenn man jahrelang dafür studiert hatte.
„Aber du bist ganz sicher ein toller Zahnarzt. Zu dir gehen die Leute gerne."

Ein Hannes zum Verlieben ✓Onde histórias criam vida. Descubra agora