N E U N

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Ich hatte das größte Grinsen überhaupt auf meinen Lippen, als ich wenig später meine Wohnung betrat. Überraschenderweise lebte Hannes gar nicht so weit von mir entfernt. Ich musste nur fünf Minuten bis zur nächsten Bushaltestelle gehen, von der aus die Buslinie direkt an unserer Straße vorbeikam. Mit meinem Glück musste ich auch nur wenige Minuten warten, bis der Bus, der noch dazu fast leer war, kam.

Grund meiner Freude war jedoch nicht die gute Verbindung zu meinem neu gewonnenen Freund, sondern Pauls Fahrrad, das ich am Heimweg in dessen Hinterhof festgekettet gefunden hatte. Ich war mir sicher, dass der Drahtesel bei Hannes gut aufgehoben war. Woher das große Vertrauen in den eigentlich Fremden kam, konnte ich mir zwar nicht erklären, aber ich war mir dennoch sicher, dass ich das Fahrrad unversehrt wieder zurückbekommen würde.
Und das schürte meine Freude darüber, Paul eines reinwürgen zu können.

Eben dieser saß in unserer kleinen Küche, die nicht einmal ansatzweise mit Hannes Designerteil mithalten konnte und schlürfte lautstark an seinem Kaffee. Er wollte mich anscheinend ignorieren, denn er sah nicht auf, als ich die Wohnung berat und meine Schuhe von den Füßen kickte und reagierte auch nicht auf mein "Hallo".

Erst als ich ihm sanft, immerhin wollte ich nur seine Aufmerksamkeit bekommen und ihn nicht ins Delirium schicken, mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf schlug, sah er mit einem genervten Schnauben auf.

Tiefe Augenringe zierten seine porzellanhelle Haut und seine Haare lagen platt auf seinem Kopf. Er trug nur eine Jogginghose und kein Oberteil und war eher vorne übergebeugt auf der Tischplatte abgestürzt, als dass er wirklich saß. Er versuchte mich böse anzusehen, was jedoch auf voller Länge scheiterte, als er zu grinsen anfangen musste, kaum dass sich unsere Blicke trafen.

"Da hat jemand gestern gut gefickt", schmunzelte mein bester Freund und richtete sich ein wenig auf. Eine Hand dabei fest an der Tischkante, die andere an der Kaffeetasse.
Ein angebissenes Sandwich lag vor ihm, von welchem ich wusste, dass es noch von letzter Woche war und die ganze Zeit unberührt im Kühlschrank gelegen hatte.

"Ich habe schmerzhafte Kratzspuren am Rücken, aber kann mich an null erinnern." Seufzend ließ ich mich ihm gegenüber auf einen Stuhl fallen und lehnte mich angestrengt zurück. Ich würde echt gerne wissen, was ich von gestern noch alles vergessen hatte. Und dass Hannes offenbar ein wenig mehr wusste als ich und es mir nicht sagte, ärgerte mich im Nachhinein doch ein wenig. Aber jetzt war es ohnehin zu spät. Wenn, dann hätte ich ihn vorhin schon konfrontieren müssen. Ich hatte meine Chance verspielt.

"Du warst auch sau besoffen", gluckste Paul und deutete auf zahlreiche leere Bierflaschen, die auf unserer Anrichte standen. "Das Vorglühen hier war echt zu viel und die Shots im Club waren sowieso eine schlechte Idee." Er nahm einen langen Schluck von seiner Tasse. "Ich würde ja sagen, nie wieder Alkohol, aber ich weiß, dass das gelogen wäre." Er grinste blöd, strich sich mit der Hand durch die Haare, die direkt wieder platt auf seine Stirn fielen und schüttelte dann den Kopf.
"Wo bist du gestern hin, Alter? Ich habe dich ewig gesucht und als ich heimgekommen bin, war einfach mein Fahrrad weg. Und du übrigens auch." Er warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und schob seinen anscheinend leere Tasse von sich. "Ich hoffe, mein Fahrrad ist wieder mit dir zusammen aufgetaucht und steht im Innenhof, bereit mich Montagmorgen in die Uni zu bringen."

Ich zog spielerisch meine Mundwinkel nach unten und zuckte mit den Schultern.
"Ich glaub, du musst laufen."
Ich versuchte angestrengt mein Pokerface beizubehalten, was in Pauls Gegenwart kaum möglich war. Der Kerl brachte mich nur mit einem einzigen Blick schon zum Lachen.

Der entsetzte Ausdruck, der sich daraufhin auf seinen Zügen ausbreitete, ließ mich auch schon direkt in lautes Gelächter ausbrechen, sodass mein Bauch nach wenigen Augenblicken zu schmerzen begann. Paul dagegen fand das überhaupt nicht lustig und erhob sich mit quietschenden Stuhlbeinen energisch.
"Pisser. Das war sau teuer. Meine Eltern reißen mir den Kopf ab, wenn das Ding weg ist!"

Seine Rage, die deutlich von seinem Kater abgeschwächt wurde, brachte mich nur noch stärker zum Lachen, sodass ich mich kaum noch halten konnte. Leider Gottes wurden davon jedoch auch meine Kopfschmerzen wieder verstärkt, sodass ich doch recht schnell versuchte wieder ruhiger zu werden. Ich griff nach einem Wasserglas, das sich sicherlich Paul vorhin erst aus der Leitung gelassen hatte, und exte den Inhalt, bevor ich meinen besten Freund etwas beschwichtigte. Der Arme sollte ja mit Anfang Zwanzig nicht gleich einem Herzinfarkt erliegen. Und ich wollte auch bei seinen Eltern nicht in Ungnade fallen.
"Dein Drahtesel ist in Sicherheit. Aber zurück bekommst du ihn erst wieder, wenn ich meinen Partyhut wieder bekomme."

Die Forderung war klar und deutlich. Nur anscheinend nicht verständlich genug, denn Paul zog fragend beide Augenbrauen nach oben und zuckte dann mit den Schultern. Ein verwirrt Ausdruck leckte sich auf seine Züge, ehe er energisch den Kopf schüttelte.
"Ich habe deinen dummen Hut nicht mehr. Wie oft soll ich es dir noch sagen?"

"Dann musst du wohl Adieu zu deinem Fahrrad sagen", schmunzelte ich gelassen, erhob mich mit schwingenden Hüften vom Stuhl und stakste an ihm vorbei in mein Zimmer.

"Das ist doch jetzt nicht dein Ernst! Tim!", brüllte Paul direkt, doch ich schlug ihm nur die Tür vor der Nase zu und entledigte mich gleich sämtlichen Klamotten, zog mir eine frische Boxershorts über und fiel in mein Bett. Das Lacken begrüßte mich freudig und schmiegte sich angenehm an meine Haut. Sofort kehrte auch die Müdigkeit wieder zurück, sodass ich mich direkt auf den Bauch rollte und innerhalb weniger Minuten wegnickte.

Hannes Geruch fehlt, war mein letzter Gedanke, bevor ich ganz einschlief und wäre ich nicht so müde, würde ich mich unglaublich darüber wundern.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Where stories live. Discover now