D R E I U N D V I E R Z I G

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So schwer es mir auch fiel, den Schlüssel abzulegen, so einfach fiel es mir, die Wohnungstür hinter mir ins Schloss zu ziehen. Ich hatte es plötzlich so eilig, dass ich am liebsten einfach direkt nach Hause gesprintet wäre.

Tränen brannten in meinen Augen und nur mit viel Selbstbeherrschung konnte ich irgendwie verhindern, dass sie überquollen. Ich wollte nicht weinen und ärgerte mich umgemein darüber, als ich nur einen knappen Augenblick später aufschluchzte.
Ich dachte nicht einmal daran, das Licht im Treppenhaus einzuschalten.

Das alte Holz der Stufen knarzte laut unter meinem Gewicht und übertönte damit zum Glück das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren. Auch das Quietschen der Haustür nahm ich dankbar an, als ich hinauseilte.

Dabei achtete ich fataler Weise nicht auf mein Umfeld und stolperte direkt in eine andere Person, die unmittelbar vor der Tür gestanden hatte.

Ein „Huch" drang an meine Ohren und nur mit viel Glück konnte ich gerade noch den Arm des Mannes ergreifen, bevor er rücklings zu Boden ging. Er konnte sich auch noch irgendwie an mir festhalten und damit recht schnell wieder das Gleichgewicht finden.

„Hans? Was machst du denn für Sachen?", rief eine ältere Dame, die gerade vollgepackt den Kofferraum ihres Autos zuschlug und zu uns eilte.

„Das tut mir furchtbar leid", ging ich gleich dazwischen, bevor Hans irgendetwas antworten konnte. Doch der ältere Mann winkte einfach nur mit einem kleinen Lächeln ab.
„Ich hätte nicht einfach direkt vor der Tür stehen sollen."

„Es ist alles gut, mein Liebling. Es ist nichts passiert." Er warf der Dame ein sanftes Lächeln zu, das sie gleich erleichtert erwiderte, ehe sie die letzten Meter zu uns überwand und ihrem Mann eine Tüte in die Hand drückte.

„Einen tollen Ehemann habe ich da", schmunzelte sie und lächelte amüsiert zu mir hinauf. „Lässt seine Frau alles tragen und sieht dann, obwohl er die Arme frei hat, trotzdem nichts."

Im Normalfall würde ich mich auf so ein kurzes, amüsierten Gespräch einlassen und etwas scherzen, aber gerade stand mir der Kopf einfach ganz wo anders. Das merkte auch die Frau recht schnell. Ihr Lächeln wechselte von amüsiert zu einem mitfühlend, mütterlichen.
Sie öffnete sogar schon den Mund, um etwas zu sagen, doch ihr Mann ging zum Glück dazwischen. Ich wäre wahrscheinlich direkt in Tränen ausgebrochen, wenn sie mich darauf angesprochen hätte.

„Johanna, komm. Der junge Mann hat es offensichtlich eilig. Es ist ja auch schon spät", tadelte ihr Ehemann und lachte kehlig, als sie deutlich mit den Augen rollte.

„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend", presste ich schnell heraus, bevor sie noch ein weiteres Gespräch initiierten und wandte mich dann direkt ab. Sie riefen mir Worte der Verabschiedung hinterher, aber denen konnte ich kaum Gehör schenken.

Stattdessen entschied ich mich gegen eine Busfahrt und hetzte in der Dunkelheit nach Hause. Dass es wirklich mitten in der Nacht war und dazu noch weit nach Mitternacht, machte die kurze Begegnung mit dem älteren Ehepaar noch seltsamer und ich hoffte ehrlich, dass ich sie kein zweites Mal mehr treffen würde.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich dann endlich zuhause an. Ich war verschwitzt, obwohl ich nicht gerannt war und trotz der sommerlichen Temperaturen, die eigentlich auch die Nächte angenehm warm machten, fror ich. Mein Schlüsselbund fühlte sich beim Aufsperren seltsam leicht an, was mich nur noch deutlicher daran erinnerte, was gerade geschehen war.

Ich atmete erleichtert auf, als ich unsere Wohnungstür aufstieß und in die vertraute Umgebung eintreten konnte. Zum ersten Mal seit ich Hannes Wohnung verlassen hatte, fühlte ich mich zumindest für einen kurzen Moment etwas besser.

Dieser Moment wurde aber direkt von Paul kaputt gemacht, der lachend aus seinem Zimmer stolperte, dabei natürlich mal wieder nackt war, und von einem ebenfalls lachenden, nackten Sebastian verfolgt wurde.

Ich drückte mir selbst die Daumen, dass sie mich im dunklen Wohnzimmer nicht sahen und einfach im Bad verschwanden, was sich auch anscheinend vorhatten, doch ich hatte mein Glück mit dem älteren Mann wohl komplett aufgebraucht, denn während Paul schon längst im Badezimmer verschwunden war, war es Sebastian, der plötzlich innehielt. Nur einen Augenblick später fiel sein Blick auf mich. Seine Hände verdeckten sofort seinen Intimbereich, ehe er einen weiteren Schritt in meine Richtung machte.
Offenbar war ich in der Dunkelheit doch besser verdeckt als gedacht. Bis auf das schwache Licht, das aus Pauls Zimmer kam, war es auch stock dunkel in unserer Wohnung. Paul hatte nicht einmal das Licht im Bad aufgedreht.

„Jetzt komm", hörte ich Paul aus dem Badezimmer pfeifen. 

„Da ist jemand", antwortete Sebastian daraufhin nur und machte einen weiteren Schritt in meine Richtung. „Hallo? Tim?", rief Sebi dann probeweise in den Raum und ich wunderte mich, warum er nicht einfach das Licht einschaltete, wenn er sich schon nicht sicher war, ob überhaupt jemand da war. Gleichzeitig war ich darüber aber auch froh.

„Tim?", wiederholte Paul und trat daraufhin ebenfalls wieder aus dem Bad. Gott sei Dank hatte er sich dafür extra ein Handtuch um die Hüfte gebunden. Zu hören wie Paul nach mir rief, löste plötzlich einen Damm und die ersten Tränen begannen langsam über meine Wangen zu rollen. Ich hätte sie nie und nimmer aufhalten können.

Als im nächsten Moment dann die große Deckenlampe eingeschaltet wurde und meine Person richtig offenbarte, japste Paul hörbar auf und eilte ohne zu zögern zu mir. Ohne irgendwelche Worte auszutauschen, zog er mich gleich fest in seine Arme und drückte mich gegen seine etwas größere Statur. Er war verschwitzt und stank nach Sex, aber das war mir gerade herzlich egal. Ich wickelte meine Arme trotzdem um seinen nackten Oberkörper, presste mich an meinen besten Freund und schluchzte dabei auf.

Ich konnte Sebastian im Hintergrund hantieren hören, kümmerte mich aber nicht um ihn, sondern versuchte mich einfach selber irgendwie zu beruhigen, obwohl ich noch immer kaum verstehen konnte, was eigentlich passiert war.

Ich wusste nur, dass Hannes unsere Beziehung beendet hatte. Dass ich ihn einengte, keinen Freiraum ließ und einfach alles in allem meine Rolle als festen Freund anscheinend richtig verkackt hatte.

„Hier", drang die sanfte Stimme von Sebastian an unsere Ohren, woraufhin wir uns langsam lösten. Er hielt drei dampfende Tasse heiße Schokolade in den Händen und lächelte uns entgegen. „Ich denke, dass passt gerade ganz gut."

Paul wollte schon etwas sagen und an seinem Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass es nichts nettes gewesen wäre, aber ich griff gleich einer der Tassen und bedankte mich bei ihm. Ich bemerkte erst, dass er sich eine Hose übergezogen hatte, als er ein Taschentuch herauszog und es mir reichte.

Paul griff dann auch nach einer Tasse und zu dritt ließen wir uns am Sofa nieder. Keiner sagte etwas. Stattdessen saßen wir dort und schlürften in aller Ruhe unsere Schokolade. Es war zwar Hochsommer, aber heiße Schokolade war trotzdem immer ok.

„Was ist denn passiert?", fragte Paul irgendwann leise und nippte direkt wieder an seiner Tasse, als würde er sich dahinter verstecken wollen.

Ich atmete tief durch, nahm selber nochmal einen Schluck und rutschte dann tiefer in die Polster. Die Frage wäre sowieso früher oder später gekommen, aber ich war trotzdem nicht bereit darauf zu antworten.
Also schüttelte ich einfach nur den Kopf.

Ich musste es erst für mich selbst verarbeiten, bevor ich es laut aussprechen konnte.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Where stories live. Discover now