F Ü N F U N D S E C H Z I G

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Hannes spannte sich in meinen Armen spürbar an, ehe er sich mit einem lauten Schluchzen auf meine Brust legte und sich wie ein Ertrinkender an mich klammerte.

Erst da dämmerte es mir langsam, dass ich vielleicht doch zu viel Druck ausübte, zu viel in unsere, noch nicht einmal bestehende, Beziehung interpretierte und viel zu sehr davon ausging, dass Hannes tatsächlich wegen mir hier wegziehen würde. Weg aus der Stadt, in der er aufgewachsen war, irgendwo hin in ein kleines Kaff.
Und das nur, weil ich zu blöd für mein Studium war.

Ich schluckte angestrengt, tätschelte Hannes zaghaft den Rücken und suchte fieberhaft nach Worten, um den Bullshit, den ich da gelabert hatte, wieder gerade zu biegen. Vielleicht wäre es Ausrede genug, zu sagen, dass ich extrem verkatert war? Dass ich noch viel zu viel Restalkohol intus hatte?

Ich schluckte erneut. Diesmal war ich mir sicher, dass es nicht an meinem trockenen Hals lag. Diesmal lag es an meiner eigenen Dummheit. Daran, dass ich Hannes erneut von mir gestoßen hatte, weil ich zu viel wollte. Er konnte meine Anwesenheit so schon kaum ertragen, wie kam ich da auf den dummen Gedanken, dass zusammenzuziehen eine gute Idee war?!

Ich wusste, dass Hannes sich für seine Worte entschuldigt hatte und mir mehrmals versichert hatte, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen, aber der Schaden war begangen. Der Samen wurde gestreut und es würde seine Zeit brauchen, bis ich nicht mehr solche Gedanken haben würde.
Auch wenn er es nicht so gemeint hatte, mussten diese Gefühle irgendwo herkommen. Aus dem Nichts heraus, hätte er mir so etwas nicht an den Kopf werfen können.

„Tim", schluchzte meine Maus herzzerreißend und richtete sich wieder ein wenig auf. Seine geschundenen Augen waren trotz der wenigen Tränen gleich wieder aufgedunsen und stark gerötet. Er schniefte und ein leises Hicksen kam aus seinen Hals, ehe er sich einfach nach vorne lehnte und mich stürmisch küsste.

Seine Lippen schmeckten nach Salz und waren feucht von seinen Tränen. Es war ein kurzer, fast schon schlampiger Kuss, den Hannes recht schnell wieder löste und mit einem weiteren Schluchzen seine Stirn gegen meine kippen ließ. Durch den Winkel tropften seine Tränen nun auf mein Gesicht, aber das störte mich gerade nicht.

Er hatte mich geküsst. Hieß das vielleicht, dass meine Idee doch nicht so dumm war?

Hoffnung keimte sofort wieder in mir auf, was mich gleich dazu brachte, mich selber zu ermahnen. Ich wollte mir keine Hoffnungen machen. Nicht, bevor Hannes dazu etwas gesagt hatte. Ein Kuss sagte nichts aus.
Zumindest nicht bei so einem großen Thema.

„I-ich dachte, i-ich habe alles ka-kaputt gemacht", schluchzte meine Maus und nahm mein Gesicht fest zwischen seine Hände, während er seine Stirn weiterhin gegen meine drückte. „I-ich d-dachte, dass ich d-dich komplett verlo-oren habe. U-und dann sa-agst du sowa-as."

„M-meinst d-du das ernst?", wimmerte er und küsste mich sofort wieder, als ich zaghaft nickte. Natürlich meinte ich das ernst. Über so etwas würde ich keine Späße machen. Erst recht nicht, wenn es dabei um uns ging.
Um uns und unsere gemeinsame Zukunft.

„Wenn es für dich ok ist, hier wegzuziehen. Du hast den Ort meiner Eltern gesehen. So besonders ist es dort nicht", murmelte ich mit einem vorsichtigen Lächeln und strich ihm ein paar Strähnen von der Stirn, nachdem er sich ein wenig von mir gelöst hatte, damit wir uns wieder richtig ansehen konnten.

„Du bist da", murmelte Hannes, während ein kleines Lächeln auf seinen rosigen Lippen erschien. Auch seine verheulten Augen schimmerten glücklich und zeigten mir deutlich, dass seine Antwort genauso ernstgemeint war, wie meine ursprüngliche Frage. „Das ist a-alles was zählt."
Dann küsste er mich erneut und ich konnte nicht anders, als meine Arme fest um seinen Körper zu legen, ihn an mich zu drücken und den Kuss gleich zu vertiefen.

„Aus unserer gemeinsamen Wohnung werde ich mich aber nicht schmeißen lassen", schmunzelte ich gegen seine Lippen, als wir den Kuss kurz lösten, um wieder zu Atem zu kommen.

„Ich will dich auch nicht rauswerfen. Nie, Tim. Das wollte ich nie", wisperte Hannes, senkte dabei für einen Augenblick beschämt den Blick und seufzte dann schwer, ehe er seinen Kopf wieder auf meiner Brust ablegte und sich erneut fest an mich drückte.

„Wie groß ist die Wohnung?", fragte er leise nach, während meine Hand wieder sanft über seinen Rücken strich.

„Etwa so groß wie die WG von Paul und mir."

„Hat sie auch drei Zimmer?", fragte Hannes daraufhin zögerlich nach und summte kurz leise als ich bejahte.

„Vielleicht... können wir ja anfangs getrennte Schlafzimmer haben", murmelte er dann und richtete sich wieder etwas auf, um mich ansehen zu können. „Dann hat jeder seinen Rückzugsort. Zumindest solange, bis das Vertrauen wieder ganz da ist." Seine Augen blitzten bei diesem Vorschlag hoffnungsvoll, während ein zartes Lächeln seine Lippen umspielte.

Ich wusste, dass er allein von meinem Vertrauen in ihn redete, das wieder aufgebaut werden musste und dass er so etwas überhaupt in Betracht zog, löste einen Schwall der Erleichterung in mir aus. Ich fand seinen Vorschlag gut. Sogar sehr gut.
Deswegen konnte ich auch nur lächelnd nicken.

„Darf ich trotzdem alle Möbel aussuchen?", fragte er dann hoffnungsvoll und senkte sein Gesicht ein wenig, um seine rot werdenden Wangen zu verstecken. „Diese Wohnung kam schon möbliert und ich wollte schon immer eine eigene Wohnung einrichten", gestand er und blinzelte durch seine Wimpern zu mir hinauf.
Der Anblick brachte mich leise zum Lachen.

„Alles, was du willst, Mäuschen."
Unsere Lippen trafen erneut aufeinander. Diesmal noch sanfter und zärtlicher als die Male zuvor. Sie strichen sanft übereinander, harmonierten perfekt miteinander und schickten zahlreiche Stromschläge durch meinen Körper.

Dieser Kuss war wie ein Versprechen.

Ein Versprechen, dass das zwischen uns noch längst nicht vorbei war.

Und dass es vielleicht jetzt erst richtig losging.

„Ich brauche unbedingt was zu trinken", wisperte ich gleich als sich unsere Lippen langsam lösten. Ich wusste, dass das der absolute Stimmungskiller war, aber mein Hals brachte mich gleich noch um, wenn ich ihm kein Wasser gönnte. Außerdem drohte mein Kopf bald zu platzen.

Hannes begann zu lachen, warf dafür sogar den Kopf in den Nacken und nickte mir dann mit vor Freude blitzenden Augen zu.

Im selben Moment öffnete sich nach einem knappen Klopfen die Schlafzimmertür, in der Christopher erschien. Er hielt eine Hand vor seine Augen und linste vorsichtig zwischen seinen Fingern hindurch. Als er aber bemerkte, dass wir zugedeckt waren, ließ er sie grinsend fallen.

„Frühstück ist fertig, ihr Turteltauben."

Er machte eine auffordernde Handbewegung, ehe er sich einfach umdrehte und wieder in Richtung Küche spazierte. Die Schlafzimmertür ließ er dabei sicherheitshalber offen stehen.

„Er wird mal ein toller Vater", murmelte Hannes mit vor Sarkasmus triefender Stimme und angelte angestrengt neben dem Bett nach einer Boxershorts, die wir letzte Nacht einfach in den Raum geworfen hatten. „Das Reinplatzten und Türen nicht zumachen kann er schonmal", hing er an und zog sich seine Unterhose über, ehe er mir meine reichte.

Ich konnte nur grinsend nicken und ihm einen Kuss auf die Wange hauchen.

„Christopher wird das sicherlich sehr gut machen", lächelte ich, was Hannes direkt mit den Augen rollen ließ. Dem folgte jedoch ein tiefes Seufzen.

„Da hast du leider Recht."

Ein Hannes zum Verlieben ✓Where stories live. Discover now