F Ü N F Z E H N

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Kaum hatte ich mich von Hannes gelöst, hatte ich die Zahnarztpraxis beinahe fluchtartig verlassen und jetzt kam ich mir richtig dumm vor. Wie war ich auch auf diese Schnapsidee gekommen? Erst flirteten wir und dann ein Kuss auf die Wange? Was? Und vorher hatte ich sogar noch gefragt, ob ich ihn nochmal küssen durfte? Was?

Ich dachte eigentlich, dass ich nur wissen wollte, was geschehen war, um meine Lücken zu stopfen, aber plötzlich hatte ich das Verlangen, es nachempfinden zu können. Ich wollte nicht nur hören, was passiert war, ich wollte es fühlen. Ich wollte genau die Dinge mit ihm tun, die wir in dieser Nacht getan hatten.
Ich wollte unbedingt wissen, ob es sich mit ihm in echt genauso gut anfühlen würde, wie es sich mein Gehirn in meinen Träumen immer ausmalte.

Und zum aller ersten Mal überhaupt ärgerte ich mich über meinen übermäßigen Alkoholkonsum und meinen Blackout. Ich würde alles dafür geben, um mich an die Nacht mit Hannes erinnern zu können.
Der Gedanke ließ mich beinahe schmunzeln. Vor wenigen Tagen war ich noch froh, überhaupt nichts erfahren zu haben und darüber, dass Hannes es mir verschwiegen hatte und jetzt wollte ich es nicht nur wissen, sondern auch fühlen und mich am liebsten komplett daran erinnern können.
Wie schnell sich doch die eigene Meinung ändern konnte.

Der geplante Abend bei Hannes brachte mich auf jeden Fall so aus dem Konzept, dass ich weder in meine Vorlesungen ging, noch sonst irgendetwas produktives auf die Reihe bekam. Stattdessen verbrachte ich fast eine Stunde im Badezimmer, um meine Hoden so glatt wie möglich zu rasieren und mich dann an allen erdenklichen Körperstellen klinisch rein zu waschen.
Ich begriff selber kaum, warum ich mir so einen Kopf um alles machte. Meine standardmäßige Körperhygiene war gut genug, um mit jemandem in die Kiste zu steigen. Warum ich bei Hannes aber so ein Fass aufmachte, obwohl wir eigentlich nur vor hatten zu reden, konnte ich mir nicht erklären.

Nach meiner sehr ausgiebigen Dusche stand ich ewig lang spekulierend im Bad und versuchte irgendwie beim in den Spiegel starren herauszufinden, ob Hannes ein Bart besser gefiel oder doch lieber glatt rasiert.

Ich persönlich mochte meinen Drei-Tage-Bart, aber was sagte Hannes dazu? Abgeneigt dürfte er auf jeden Fall nicht sein, sonst hätte er mich wohl am Wochenende nicht mit in sein Bett genommen... Oder?

Ein frustrierter Laut kam aus meiner Kehle, als ich verärgert nach einem Wattestäbchen griff und meine Ohrmuscheln wie gewohnt säuberte. Genau in dem Moment klopfte es an der Badezimmertür.
„Alter, du bist seit Stunden da drin. Ich muss kacken", ließ Paul mich charmant wie eh und je wissen und klopfte gleich noch einmal gegen die Tür.

„Chill. Ich habs gleich", gab ich entnervt zurück und wuschelte mir mit meinem Handtuch noch ein letztes Mal durch die Haare, ehe ich es zum Trocknen aufhing und nur mit einem großen Handtuch um die Hüften aus dem Bad trat.

„Na endlich", seufzte Paul erleichtert, raste gleich an mir vorbei und drückte die Tür hinter sich zu. Das brachte mich so weit zum Schmunzeln, dass ich für eine Moment nicht mehr an Hannes und das Bevorstehende denken musste.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir jedoch, dass ich mich langsam dennoch fertig machen sollte, weil ich jetzt schon wusste, dass ich vor meinem Schrank verzweifeln würde.

Die wichtige Frage von allen war vor allem, welche Unterhose ich anziehen sollte. Zwar war noch immer nur Reden geplant, aber man konnte nie gut genug vorbereitet sein und wenn ich schon meine Eier rasiert hatte, dann musste auch meine Unterhose was her machen.
Mit dumpfen Kopfschmerzen wühlte ich durch meine Unterhosenschublade und fand keine gut genug, bis ich mich unter Zeitdruck einfach für eine schwarze entschied. Mit schwarz konnte man nie etwas falsch machen. Vor allem nicht bei Hannes, der sowieso nur Schwarz- und Grautöne in seinem Schrank hängen hatte.

Zusammen mit einer schwarzen Jeans und einem lockeren weißen Oberteil, zog ich noch weiße Sneaker über und verließ mit einem Ruf zu Paul ins Bad, dass ich weg war, unsere Wohnung. Ich war zwar noch immer eine Stunde zu früh, aber ich wollte sowieso noch unterwegs eine Flasche Wein oder sowas vom Supermarkt holen. Und da ich jetzt noch nicht einmal wusste, was ich mitbringen sollte und ich schon nicht entscheiden konnte, welche Farbe meine Unterhose haben sollte, wusste ich, dass auch das etwas Zeit in Anspruch nehmen würde.

Dass ich aber im Supermarkt völlig verzweifeln würde, darauf war ich absolut nicht vorbereitet.
Die Spirituosenabteilung war mir viel zu breit gefächert und ich wusste, dass der billig Fusel, den Studenten tranken und den ich wenigstens kannte, eine schlechte Entscheidung für einen Zahnarzt wäre. Hannes war zwangsläufig etwas älter als ich und hatte daher wahrscheinlich einen ganz anderen Anspruch an Alkohol als ich oder generell Studenten.
Bei mir und den meisten Studenten ging es einfach nur um einen billigen Rausch. Hannes dagegen wirkte nicht wie jemand, der sich einfach so die Birne wegschoss und erst recht nicht mit zwei Euro Wein aus einem Tetra Pak.

Planlos schlürfte ich ein weiteres Mal durch die Regale, nur um auch diesmal nichts zu finden, bis mein Blick zufällig auf das Biersortiment fiel. Da fiel mir schlagartig wieder ein, dass Hannes und ich letztes Mal bei ihm Bier getrunken hatten.
Keine Ahnung, warum ich automatisch davon ausgegangen war, dass Hannes eher der Weintrinker war, aber dass mir das wieder eingefallen war, erleichterte ich ungemein. Mit Bier kannte ich mich wenigstens besser aus als mit Wein und konnte daher eher einschätzen, was was gutes war und was nicht.

Ausgestattet mit einem Sixpack des Bieres, das wir bei Hannes zuhause getrunken hatten, und einer Packung teurer Pralinen verließ ich dann fast dreißig Minuten später mit einem guten Gefühl den Supermarkt.
Nur, dass das gute Gefühl nicht allzu lang anhielt. Kaum saß ich im Bus und hatte das Bier und die Pralinen auf meinem Schoß stehen, kamen mir die Pralinen too much vor. Ich hatte gerade das Gefühl, als müsste ich mich bei ihm entschuldigen anstatt, dass wir einen Abend zusammen verbrachten. Plötzlich war ich mir dann auch wegen dem Bier unsicher.
Ein Student, der zu jeder Gelegenheit Alkohol mitbrachte, machte sicherlich auch kein gutes Bild.
Außerdem wollte ich Hannes ja auch nicht suggerieren, dass das ein Kumpelsabend wurde, immerhin wollte ich noch immer spüren, was ich letztes Mal mit ihm gespürt hatte.
Verflixt nochmal!

„Ähm...", krächzte ich eine ältere Dame, die über den Gang hinweg auf der anderen Seite neben mir saß und aus dem Fenster blickte, an. Sie sah überrascht auf, wunderte sich eindeutig, wer sie da gerade so seltsam angesprochen hatte.

„Entschuldigen Sie", fing ich nochmal an und lächelte ihr vorsichtig entgegen. „Ich habe gerade Pralinen gekauft und bin mir jetzt unsicher, ob das nicht zu viel des Guten ist und zum Wegschmeißen waren sie zu teuer. Also wenn Sie sie haben wollen, dann schenke ich sie Ihnen." Zur Verdeutlichung hob ich die Pralinenschachtel in ihr Sichtfeld. 

Die Rentnerin sah überrascht zwischen mir und der Schokolade hin und her, ehe ihr Blick auf dem Sixpack auf meinem Schoß landete und sie ihre dünnen Augenbrauen skeptisch nach oben zog.
„Sie wird sich sicherlich über die Pralinen stärker freuen, als über das Bier, junger Mann." Sie sah mir tadelnd entgegen und schüttelte dann mit einem mütterlichen Lächeln den Kopf. „Sie sind ein hübscher Kerl. Sie haben nichts zu befürchten. Sie wird sich sehr darüber freuen. Glauben Sie mir."

Und obwohl die alte Dame fälschlicherweise von einer Frau redete, glaubte ich ihr sofort.

Hannes würde sich über die Pralinen freuen.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang