Z W Ö L F

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Ich seufzte angestrengt, strich mir durch die Haare und versuchte irgendwie wieder etwas System in meine wirren Gedanken zu bekommen. Doch das Einzige, das plötzlich noch eine Rolle spielte war, dass ich mit Hannes geschlafen hatte und er es vor mir verheimlich hatte.
Und obwohl ich am Anfang noch froh war, dass er mir diese Kleinigkeit nicht gesagt hatte, ärgerte es mich nun umso mehr. Wenn er einfach gleich zu Beginn ehrlich gewesen wäre, würde ich jetzt nicht in dieser Krise stecken. Unwissend, was Einbildung und was Realität war.

„Ich wusste, dass er mir was verheimlicht", stöhnte ich genervt und donnerte meine flache Hand wütend auf die Arbeitsplatte. „Und ich Idiot hab natürlich nicht nachgebohrt."

Ich ärgerte mich viel mehr über mich selbst, als über ihn. Ich konnte seine Entscheidung sogar gut verstehen.
Er musste zwangsläufig bemerkt haben, dass ich keinerlei Erfahrungen mit Männern hatte, wahrscheinlich hatte mein betrunkenes Ich das auch noch stolz ausgeplaudert, wodurch eins und eins recht einfach zusammenzuzählen waren. Hannes war mein erster Mann und dass ich mich am nächsten Morgen an nichts erinnern konnte, war für Hannes sicherlich auch nicht einfach.
Die Gefahr, dass ich wütend reagierte, wenn er mir sagte, dass wir Sex hatten, war relativ hoch und es war wohl auch ein gewisser Eigenschutz. Wer wollte schon von jemandem beschimpft werden, mit dem man die letzte Nacht noch geschlafen hatte?

„Wovon redest du bitte?" Paul sah mir verständnislos entgegen, während meine Hände nur wieder meine Haare fanden und sich in den Strähnen festkrallten.

„Ich hatte Sex mit einem Kerl, Paul! Davon rede ich!", zischte ich wütend und konnte nicht anders, als meine Hand erneut auf die Arbeitsfläche knallen zu lassen. Diesmal war es viel schmerzhafter als beim ersten Mal, wodurch ich nur noch stärker zu fluchen begann.
Das war doch alles Scheiße.

„Aber weil ich so betrunken war, konnte ich mich an nichts erinnern und obwohl er sehr nüchtern war und sehr wohl wusste, was zwischen uns passiert ist, hat er einfach nichts gesagt! Er hat mir einfach verschwiegen, dass ich Sex mit einem Kerl hatte!", brachte ich wütend heraus und ballte meine Hände zu Fäusten. Jedoch eher deswegen, damit ich kein weiteres Mal auf die Arbeitsplatte schlug.
„Und jetzt kommen lauter lückenhafte Erinnerungen hoch und während ich mir anfangs noch eingeredet habe, dass das einfach nur Humbug ist, spricht mittlerweile alles dagegen!"

Ich versuchte tief einzuatmen und mich etwas zu beruhigen. Paul anzuschreien half mir bei meinem Problem auch nicht weiter und Hannes jetzt alles in die Schuhe zu schieben war auch nicht unbedingt fair.

„Tim!", fuhr Paul energisch dazwischen und brachte mich und meine lauten Gedankengänge abrupt zum Schweigen.
„Er hatte wahrscheinlich vor genau dieser Reaktion Angst." Paul zuckte mit den Schultern. „Oder es ist wirklich nichts passiert und dein Suffkopf erinnert sich falsch." Er zuckte nochmals mit den Schultern, als wäre das eine Kleinigkeit, während ich am liebsten zu weinen beginnen würde.

„Kannst du mich nicht einfach trösten oder so?", zischte ich vorwurfsvoll und spürte fast schon panisch, wie langsam Tränen in meine Augen stiegen.

Das überraschte offenbar auch Paul, der erst die Augen weit aufriss, und mich im nächsten Moment in seine Arme zog. Mein Kopf kippte sofort gegen seine Schulter, während ich mich fest gegen seinen Körper drückte und ihn wahrscheinlich fast erdrückte. Ihn schien es jedoch nicht zu stören. Eine seine Hände fand an meinen Hinterkopf und begann sanft hindurch zu kraulen, was schlussendlich den Damm brechen ließ und ich hemmungslos an seine Schulter heulte.

Ich konnte nicht sagen, woher diese Tränen plötzlich kamen oder warum mich das ganze Thema mit Hannes so fertig machte. Schlussendlich war es nur Sex, an den ich mich kaum erinnern konnte, und trotzdem hing ich jetzt schluchzend an meinem besten Freund.
Es tat furchtbar gut alles einfach mal rauszulassen.

„Hast du dir auf ihn vorhin einen runtergeholt?" Paul versuchte mitfühlend zu klingen und hatte seine Stimme extra gesenkt, aber die Frage war dennoch so unvorhergesehen und unpassend, dass ich nur lachen konnte. Auch Paul lachte leise, wodurch sein Brustkorb etwas vibrierte, was mich tatsächlich ein wenig beruhigte. Erst dann nickte ich langsam.

„An was kannst du dich erinnern? Direkt an den Sex?" Diesmal schüttelte ich den Kopf und löste mich langsam aus der Umarmung. Meine Hände fanden gleich an meine Wangen, wo ich die Tränen wegwischte und versuchte nachkommende etwas zu stoppen.

„Ich... erinnere mich tatsächlich nur an ein einziges Bild, eine Szene..." Ein weiteres ekelhaftes Schluchzen blubberte aus meiner Kehle. „Dass wir wirklich... miteinander geschlafen haben... habe ich nur aus den Hinweisen geschlossen." Ich seufzte schwer und ließ mich kraftlos auf einen Stuhl fallen. Frische Tränen bahnten sich direkt wieder ihren Weg über meine Wangen, doch diesmal ließ ich sie einfach laufen.

„Welche Hinweise?", fragte Paul hörbar neugierig nach und öffnete unterdessen die Bäckertüte und reichte mir eine Butterbreze.

„Die Kratzspuren auf meinem Rücken", nuschelte ich mit vollem Mund, ehe ich schluckte. „Seine seltsame Reaktion, als ich ihn gefragt habe, warum ich nackt in seinem Bett gelegen bin. Seine zahlreichen Knutschflecken und wie enttäuscht er war, weil ich mich an  nichts erinnern konnte." Ich biss erneut von meiner Breze ab. „Und zu guter Letzt das benutzte Kondom in seinem Mülleimer", nuschelte ich wieder mit vollem Mund.

Paul sah mir spekulierend entgegen, lehnte sich dabei etwas zurück und zog die Stirn kraus, ehe er langsam nickte.
„Dir ist schon klar, dass das alles auch einfach nur Zufall sein kann und er nichts gesagt hat, weil es nichts zu sagen gibt?"

„Nein", kam es direkt energisch von mir.

„Was macht dich da so sicher? Deine Erinnerungsfetzen?" Er zog seine Stirn erneut kraus und sah keinesfalls überzeugt davon aus.
Klang das alles für ihn wirklich nicht so aussagekräftig wie für mich? Verrannte ich mich da gerade in etwas? Hatte ich vielleicht wirklich keinen Sex mit Hannes?

Ich hatte direkt wieder das Bild von Hannes unter mir vor Augen. Dieser erregte Ausdruck auf seinem Gesicht, der Fakt, dass er nackt war und dieses Tattoo. Das konnte doch nicht alles von meinem Gehirn zusammengereimt worden sein. Das wäre mega schräg. Noch schräger, als wenn wir wirklich miteinander geschlafen hätten.

Ich konnte auf Pauls Frage hin nur nicken. Ich war mir sicher, doch Paul ließ mich daran zweifeln. Was, wenn ich wirklich falsch lag und Dinge sah, die gar nicht da waren?

„Gehts wieder, Kumpel?", fragte mein bester Freund dann, als er sich erhob und mir kraftspendend die Hand auf die Schulter legte. Ich konnte auch diesmal nur nicken.

Ein Hannes zum Verlieben ✓Where stories live. Discover now