D R E I U N D F Ü N F Z I G

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Obwohl ich mich so auf mein Bett gefreut hatte, konnte ich es kaum genießen. Dass Hannes versucht hatte, mich zu erreichen, ging mir nicht aus dem Kopf.

Ich konnte mir kaum einen Grund vorstellen, warum er angerufen haben könnte.
Vor allem um diese Uhrzeit.

War vielleicht etwas passiert? War er vielleicht sogar verletzt?

Das schlechte Gewissen auf seinen Anruf nicht reagiert zu haben, zerfraß mich schon seit ich aus dem Auto ausgestiegen war. Ich versuchte mir aber einzureden, dass es nichts weiter schlimmes und es vielleicht sogar nur ein Versehen war.

Aber wenn man jemanden aus Versehen anrief, ließ man doch nicht so lange klingeln, oder? Wollte Hannes mich wirklich erreichen?
Hatte Christopher vielleicht Recht und Hannes hatte das alles wirklich nicht ernst gemeint?  Wollte er alles, was nun zwischen uns stand, klären?

Dann sollte er aber wenigsten so viel Mumm haben, direkt mit mir zu sprechen und nicht nur per Telefon.

Ich war schlussendlich irgendwann eingeschlafen, aber sonderlich gut war mein Schlaf nicht. Daher war es auch kein Wunder als ich viel zu früh wach wurde. Erst rollte ich mich von einer Seite zur anderen, bis ich jemanden in der Küche hören konnte. Aufgrund der frühen Uhrzeit wusste ich, dass es nicht Mama sein konnte, die musste immerhin erst ihren Rausch ausschlafen, das hieß, dass nur Dad unten sein konnte.

Wohlwissend, dass mein Vater auch kein Morgenmensch war und nach dem Aufstehen nur wenige Worte verlor, hatte ich kein Problem mich zu ihm in die Küche zu setzen. Ich wollte nicht mehr länger im Bett liegen, aber auf ein Gespräch war ich auch nicht aus, deswegen war ich froh, als er nur in seiner Zeitung blätterte, während ich stillschweigend in meinen Kaffee starrte.

Es war gerade mal halb neun, die Vögel zwitscherten aufgeregt und die Sonne fiel kräftig durch die Fensterfront ins Haus.

Nachdem meine Eltern damals das Elternhaus meines Vaters verkaufen und für eine Weile in einer kleinen Wohnung leben mussten, hatte Dads Firma irgendwann so viel Gewinn abgeschossen, dass sie zwar sein Elternhaus nicht mehr zurückkaufen konnten, weil die neue Familie es nicht mehr hergeben wollte, aber sie zumindest ein neues Haus bauen konnten. Pünktlich zu meinem siebten Geburtstag waren wir dann hier eingezogen und ich konnte ein große Feier in unserem Garten schmeißen, zu der ich damals fast meine ganze Grundschulklasse eingeladen hatte.

„Schlecht geschlafen?", fragte Dad mit brummiger Stimme nach, als ich aufstand um mir eine zweite Tasse Kaffee runter zu lassen. Ich brummte nur zustimmend.
Kaum hatte ich mich dann von der Kaffeemaschine wegbewegt um Milch aus dem Kühlschrank zu holen, stand er auf, um sich auch noch einen zweiten Kaffee zu holen.

„Wenn du wieder hierher ziehst, wirst du sicherlich nicht mehr hier einziehen wollen", fing Dad plötzlich an. „Das ist vielleicht etwas kurzfristig, aber mein Stellvertreter Tom, ich habe dir schonmal von ihm erzählt, ist vor kurzem mit seiner Frau in ihr Haus eingezogen. Seine Eigentumswohnung möchte er vermieten und bisher steht sie noch leer. Eine Altbauwohnung. Drei Zimmer, mit Balkon, Garage und einem zweiten Stellplatz. So viel Platz wirst du alleine sicherlich nicht brauchen, aber das wäre eine Überlegung wert. Tom wird uns sicherlich auch eine faire Miete anbieten."

Ich brummte erst undeutlich. So früh am morgen wollte ich mir über meine Zukunft eigentlich noch keine Gedanken machen. Generell wollte ich das Thema erstmal noch ein wenig vor mir herschieben.

„Ich kann auch erstmal mit ihm reden, damit er sie zumindest nicht direkt an jemand anderes vermietet. Dann kannst du dir noch ein paar Gedanken machen", schlug Dad dann vor, setzte sich wieder an den Tisch und klappte seine Zeitung auf. „Wobei du dir sowieso schnell Gedanken machen solltest. Die meisten Ausbildungen fangen im August, spätestens im September an. Die Bewerbungsfristen sind sowieso abgelaufen, aber ich denke, wenn du dich jetzt gleich bewirbst, hast du noch gute Chancen. Leute werden hier gesucht."

„Ja...", stimmte ich ihm leise zu und setzte mich zögerlich auch wieder an den Tisch.

Ich hätte niemals gedacht, dass das wirklich so schnell gehen würde. Gestern hatte ich erst final den Entschluss gefasst, dass ich nicht mehr weiter für meine Klausuren lernen wollte. Ich war mir sicher, dass ich sie nicht bestehen würde, weil das selbst mit lernen sicherlich knapp geworden wäre, aber die geringe Chance, dass ich irgendwie durchrutschte, bestand trotzdem noch.
Obwohl das eigentlich gar nicht wollte. Der Gedanke, mein Studium abzubrechen, gefiel mir wirklich von Tag zu Tag immer besser. Deswegen nahm ich das Ganze mit meinen Klausuren wahrscheinlich auch so entspannt.

Zu wissen, dass mein Vater das auch so locker aufnahm und anstatt irgendwie wütend zu werden, mich unterstützte einen anderen Weg einzuschlagen, erleichterte es mir noch mehr.

Paul, Fabi, die Mädels und meine anderen, wenn auch eher flüchtigen, Freunde aus der Uni einfach zurück zu lassen, würde mir zwar schwer fallen, aber selbst das würde ich überstehen. Immerhin waren sie nicht aus der Welt und die Zugverbindung hierher war wirklich gut.

Und Hannes?
Er wäre der einzige Grund gewesen, um mich vielleicht weiterhin in mein Studium zu hängen, weil ein Ortswechsel für ihn nicht so einfach wäre. Aber nachdem er das zwischen uns abgeblasen hatte, war das nichts mehr über das ich mir Sorgen machen sollte.
So schmerzhaft es auch war und so viel Hoffnung ich auch durch die Trauerkarte und seinen Anruf hatte, durfte ich mein Leben davon nicht abhängig machen. Ich war mit meinem Studium nicht mehr glücklich und eine Ausbildung hörte sich gerade viel verlockender an, deswegen war das sicherlich der richtige Weg für mich.

Dass ich dafür gleich aus der Stadt ziehen musste, war vielleicht etwas übertrieben, aber meiner Meinung nach auch nicht abwegig.

Auch wenn ich Hannes und sämtliche Hoffnungen damit zurücklassen musste.

Ich musste rational denken. Selbst wenn das zwischen Hannes und mir sich nochmal zum Guten wenden würde, wusste ich nicht, wie lange es halten würde. Was, wenn, Gott bewahre, ein weiterer Schicksalsschlag kam und Hannes mich wieder so von sich stieß? Das erste Mal war schon kaum zu verkraften, aber ein zweites Mal würde ich das nicht mehr überstehen.

Es war vielleicht unfair, so zu denken, aber Hannes hatte mein Vertrauen in ihn gebrochen und so einfach würde er das nicht mehr wieder aufbauen können.

„Ich würde mir die Wohnung gerne ansehen."

Dad nickte, ohne von seiner Zeitung aufzusehen.
„Und wenn du so kurzfristig nichts findest, dann kannst du jederzeit bei mir in der Firma anfangen oder zumindest damit die Zeit bis zum nächsten Jahr überbrücken", bot Dad mir lächelnd an und lugte dabei über den Rand seiner Zeitung hinweg zu mir hinüber. „Ich weiß, dass du das eigentlich nicht willst, aber du sollst zumindest wissen, dass die Option immer offen ist."

„Danke Papa."

Ein Hannes zum Verlieben ✓Donde viven las historias. Descúbrelo ahora