Kapitel 34 - Ein letztes Gespräch

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Es ist schon später Nachmittag und ich bin zusammen mit Norikita in meinem Zimmer. Ich sitze auf meinem Bett und beobachte, wie sie meine Schallplatten durchgeht. Sie spielt heute Abend, weshalb ich beschlossen habe mir Zeit für sie zu nehmen. Es wird ihr bestimmt gut tun und sie vielleicht ein wenig runterkommen lassen. Sie braucht alle ihre Nerven in den Spielen.

"Was gab es heute in der Kantine?", frage ich sie, um sie ein wenig abzulenken.

"Ein Reisgericht mit Paprika und Hühnchen. Du solltest dir später unbedingt einen Teller holen, dieser Koch ist echt gut!"

"Wird gemacht", lache ich zustimmend, doch ich bemerke wie ihre Hand leicht zittert. Sie ist aufgeregt, dass kann man schon an ihren Augen sehen. Sie muss sich beruhigen, bis sie losgeht.

"Ich habe heute früh mit Niragi gesprochen. Bei der nächsten Versorgungstour bringt er dir eine bestimmte Schallplatte mit, ich habe ihn darum gebeten", lacht sie und legt eine der Platten auf. Sie setzt sich zu mir auf das Bett und setzt ein ehrliches Lächeln auf. Ich nicke ihr dankend zu und frage mich, an welches Lied sie gedacht hat.

"Sayuuri?"

"Mhm?"

"Bist du glücklich hier?"

"Was meinst du Norikita?"

"Naja, du scheinst hier ausgeglichener. Ich meine nicht im Beach, sondern hier im Borderland"

"Ich weiß nicht", sage ich ehrlich und denke nach. Wie kann man hier glücklicher sein, ich meine die Spiele und die vielen Toten. Aber seit ich hier bin, scheine ich anders zu handeln und zu denken, dass habe ich auch gemerkt. Man muss nicht zwanghaft an die Zukunft denken, man lebt im hier und jetzt, um zu überleben.

"Du kannst mir nichts vormachen, wir kennen uns drei Jahre. Hier hast du nicht den Druck der Uni, deine Familie ist nicht da..."

"Ich liebe meine Familie!"

"Ich weiß Sayuuri. Aber du kannst nicht leugnen, dass du dein Leben nach ihnen ausgerichtet hast. Hier kannst du das sein, was oder wer du möchtest"

"Vielleicht"

Eine kurze, unangenehme Stille entsteht zwischen uns und ich beginne, mit meinem schwarzen Gummiball zu spielen.

"Also, was ist das mit Chishiya?"

Verwirrt sehe ich sie an und lege meinen Kopf leicht schief, da ich nicht genau weiß was sie meint. Sie verdreht nur die Augen und lacht kurz.

"Bitte Sayuuri. Ich weiß, ich bin nicht so schlau wie du aber bei so etwas habe ich ein Gespür. Du siehst ihn so an, wie du früher auch Light angesehen hast"

"Das stimmt doch gar nicht", protestiere ich. Sehe ich ihn wirklich so an? Nein unmöglich, das hätte ich bemerkt.

"Dann macht es dir nichts aus, wenn ich ihn süß finde?"

Ich schaue plötzlich auf und sehe sie fragend an. Ich meine die beiden haben nie ein Wort miteinander geredet, wie kann sie ihn dann süß finden? Oder haben die beiden vielleicht miteinander geredet und ich weiß nur nichts davon. Sie fängt an, lauthals zu lachen und greift nach meinem Arm, doch ich sehe sie nur durchdringend an.

"Sayuuri, das war ein Witz. Aber ich kenne dich, ohne das hättest du nie so reagiert"

Das war ein Trick und ich bin nicht dahinter gekommen. Aber noch viel wichtiger, wieso fühle ich mich plötzlich so erleichtert? Dieses mal sieht sie mich wissend an, was mich noch mehr durcheinander bringt. Wusste sie etwas, was ich nicht bemerkt habe?

"Du bist anscheinend eine verdammt gute Spielerin", lacht sie bevor ihr Gesicht einen nostalgischen Ausdruck annimmt, "Aber für mich bleibst du die kleine, liebevolle Cheerleaderin welche mir durch meine Highschool-Abschlussprüfungen geholfen hat"

"Und du bleibst immer die Freundin, die mich immer getröstet hat und mich davon abhielt, an mir selbst zu zweifeln", lache ich und halte meine Tränen zurück.

"Sayuuri, ich will wieder zurück", sagt sie mit leiser, brüchiger Stimme und flehenden Blick. Tränen fließen über ihre Wangen und ich lehne mich vor, um sie in den Arm zu nehmen. Für sie war das Leben perfekt, das Borderland ist kein Ort für sie. Mein Blick gleitet auf die Uhr und ich erkenne, dass es Zeit für sie wird. Ich drücke sie für einen Moment näher an mich, bevor ich mich von ihr löse und die Tränen in ihrem Gesicht wegwische.

"Hab dich lieb, Kleines", sagt sie und ich versuche mich zusammen zu reißen.

"Ich dich auch"

Wir stehen auf und ich begleite sie mit nach unten. Der Hutmacher erzählt das Übliche, doch ich höre nicht zu und halte nur ihre Hand. Als die Rede vorbei ist, begleite ich sie noch nach draußen und sehe zu, wie Niragi ihr die Autotür aufhält und sie einsteigt.

Ich setzte mich einfach auf die Treppe vor das Hotel und warte. Ich spiele mit den Armband meiner Großmutter, während sich die Dunkelheit ausbreitet und nur noch der Mond am Himmel zu erkennen ist. Nach und nach kommen die Spieler zurück und ich werde immer ungeduldiger. Ich weiß nicht, wie lange ich hier auf dem kalten Steintreppen sitze, doch irgendwann fährt ein Wagen vor, mit Niragi am Steuer.

Er steigt aus und schultert sein Gewehr, doch als er mich sieht bleibt er stehen und sein selbstbewusstes Lächeln flacht ab. Er schüttelt nur den Kopf und ich weiß sofort, was es zu bedeuten hat. Schließlich warte ich doch gerade deshalb auf diesen Stufen. Norikita ist im Spiel gestorben.

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt