Kapitel 72 - Neues Spiel

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Die meisten müssten zu dieser Zeit im Restaurant sein und nochmal etwas essen, bevor die Spiele losgehen. Der Poolbereich ist wie leergefegt und ich nutze die Chance, um es mir auf einer der Liegen gemütlich zu machen. Da die Musikanlage ausgeschaltet ist und nur das beruhigende plätschern des Poolwassers gegen den Beckenrand zu hören sind, nehme ich mir mein Buch zur Hand und lese ein wenig darin. Die Sonne geht langsam unter und während ich in mein Buch vertieft bin überlege ich mir, ob ich heute mein Shirt oder den Pullover anziehen soll.

Ich lese gerade eine Stelle über die Entstehung der ältesten Pyramiden in Ägypten und über verschiedene wiederkehrende Symbole in den Grabkammern, als eine Hand vor meinem Gesicht winkt. Verwirrt sehe ich auf und kratze mich verlegen am Hinterkopf, da ich nicht bemerkt habe wie sich die anderen zu mir gesetzt haben. Kuina sitzt mit Satoru und Yuudai auf der Liege neben mir und Chishiya am Fußende meiner Liege. Ich setze mich in den Schneidersitz, damit er mehr Platz hat und es sich gemütlicher machen kann.

"Ich sagte doch, dass sie nichts mitbekommt", lacht Kuina und Satoru reicht ihr einen Pudding, wie als hätte sie eine Wette gewonnen. Während ich meinen Kopf schief lege und sie verwirrt ansehe, nimmt sich Chishiya das Buch und sieht sich die Seite an. Er zieht die Augenbrauen hoch und lehnt sich ein wenig zurück, als er die vielen Symbole sieht. In der gleichen Zeit isst Kuina zufrieden ihren Pudding, Satoru richtet seinen eleganten Hut und Yuudai wirft mir eine kleine Wasserflasche zu, die ich dankend annehme.

"Spielt ihr heute alle?", frage ich ihn und nickt noch einmal dankend, bevor ich einen Schluck trinke.

"Ja, eigentlich genauso wie wir sitzen. Ich spiele mit Kuina und Satoru und du zusammen mit Chishiya"

"Und Aguni", fügt Chishiya hinzu, immer noch konzentriert in das Buch.

"Und Izumi?"

"Sie spielt heute nicht", sagt Yuudai und ich kann einen erleichterten Unterton hören. Die Art und Weise wie er mich ansieht zeigt mir ihm ist bewusst, dass ich über die beiden Bescheid weiß. Ich nicke nur und lächele verstehend.

"Was soll das darstellen?", höre ich Chishiya fragen und lehne mich zu ihm vor, um auf das Bild zu sehen, auf welches sein Finger zeigt. Mir fällt auf, dass das eines der Dinge ist die ich an ihm mag. Andere hätten das Buch zugeklappt und nur die Augen verdreht, aber er will es verstehen und versucht es nachzuvollziehen.

"Das Totengericht. Die Seele eines Verstorben kommt ihr in den Saal der beiden Wahrheiten, sozusagen das Gericht. In der Mitte befindet sich die Waage der Gerechtigkeit. Auf der einen Seite wird das Herz gelegt, es stand für den Sitz der Seele und den Verstand. Auf die andere Seite kommt eine Feder. Ist das Herz schwerer, wir die Seele vernichtet. Ist das Herz leichter, kommt man in das Paradies"

"Das Herz als Sitz des Verstandes?", fragt er ungläubig und ich zucke nur mit den Schultern. Mir ist schon klar, weshalb er die Vorstellung für unsinnig hält und das Gesicht verzieht, weshalb ich nur lachend den Kopf schüttele.

"Willst du dich für das Spiel noch umziehen?", fragt mich Kuina und ich setze mich wieder normal hin.

"Doch, aber es ist ja noch ein wenig Zeit", antworte ich und bemerke, dass Kuina schon ihre Jeanshose trägt, die sie immer zu Spielen anhat. Yuudai trägt immer normale Kleidung, da er im Militärtrupp ist und Satoru trägt statt einer Badehose seinen Anzug. Ich bin anscheinend die einzige hier, die noch ihre üblichen Beach-Sachen trägt. Vielleicht fühle ich mich deshalb so unmotiviert heute zu spielen, jedenfalls im Gegensatz zu sonst.

"Naja die Rede des Hutmachers beginnt in ungefähr zehn Minuten", meint Yuudai trocken und meine erste Reaktion ist aufzuspringen, Chishiya das Buch aus der Hand zu nehmen und schnellen Schrittes auf mein Zimmer zu laufen. Das Buch schmeiße ich auf mein Bett und auf den Sessel meine Kleidung. Aus dem Schrank nehme ich meine kurze schwarze Nike-Sporthose, den schwarzen Pullover und meine weißen Cheerleader-Schuhe. In Rekordzeit ziehe ich alles an und versichere mich wie immer, dass mein schwarzer Gummiball in der Hosentasche ist. Das Perlenarmband meiner Großmutter nehme ich wie vor jedem Spiel ab und lege es auf den Nachttisch.

Ich halte einen Moment inne und überlege, ob ich noch irgendetwas vergessen habe. Ich beschließe, dass ich alles nötige bei mir trage und laufe nach unten zu den gespannt zuhörenden Beach-Mitgliedern. Ich stelle mich neben Kuina unter die Empore und lehne mich an die Wand hinter uns. So nervös wie Kuina ihren Strohhalm im Mund dreht, so spiele ich ein wenig mit meinem Gummiball und sehe in die Gesichter der motivierten Spieler. Um von einer Rede vor tödlichen Spielen sich so begeistern zu lassen zeugt davon dass man diese Menschen viel zu leicht manipulieren kann. Es ist fast schon schmerzhaft dabei zuzusehen.

Sowie der Hutmacher sein Schlusswort in die Eingangshalle brüllt, stürmen die Leute nach draußen und manche rennen sich schon fast um. Kuina legt einen Arm um mich und drückt mich zum Abschied an sich, bevor sie mich seitlich auf den Kopf küsst und mir durch die Haare wuschelt.

"Versuch dieses Mal dich nicht zu verletzen oder vergiften zu lassen", sagt sie und läuft langsam zum Ausgang. Ich lächele ihr nur hinterher, bleibe aber noch einen Moment stehen um auf Chishiya zu warten. Als ich die weiße Weste auf der Treppe erkenne, setze auch ich mich in Bewegung und als er mich sieht bleibt er kurz stehen.

"Wie viele sind wir in der Gruppe?", frage ich während wir zusammen weiterlaufen.

"Wir waren zu viert eingeteilt", erklärt er als Aguni neben mir erscheint und wir drei stehen bleiben. Er hält mir das Messer hin, welches Niragi sonst aufbewahrt und ich nehme es ohne zögern entgegen.

"Na los, wir sind vollständig also können wir auch gleich los", sagt er streng und emotionslos bevor er vor uns herläuft. Ich klemme das Messer hinter meinen Rücken und wir folgen ihm zu unserem Auto. Während ich die hintere Autotür aufmache, lehne mich unauffällig zu Chishiya.

"Hast du nicht gesagt wir sind zu viert eingeteilt?", flüstere ich schon fast und er nickt nur mit strengem Blick nach vorne gerichtet.

"Das waren wir. Niragi hat den vierten vorhin erschossen", sagt er trocken und setzt sich auf den Beifahrersitz.

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt