Kapitel 49 - Strandtag

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Den ganzen nächsten Tag dachte ich darüber nach, ob ich wirklich eine Beziehung im Borderland eingehen würde. Mein Argument damals war, dass ich nicht mit ansehen könnte wie die Person die ich liebe in einem der Spiele sterben würde. Aber dieses funktioniert nicht wirklich bei Chishiya, denn er ist zu clever um in einem dieser Spiele sterben zu können. 

Und obwohl ich würde solche Dinge nachdenke fällt mir ein, dass ich ihm damals die Frage nicht zurückgestellt habe. Ich habe gedacht, die Antwort schon zu kennen aber jetzt frage ich mich, ob ich einfach nicht richtig zugehört habe. Er meinte, dass es Izumi und Yuudai in den Spielen ablenken könnte. Aber wenn Chishiya und ich in einem Spiel zusammen sind, achten wir irgendwie aufeinander ohne uns in Gefahr zu bringen. Vielleicht sind wir ja eine Ausnahme davon, aber ob er das auch so sieht?

Ich war noch nie jemand, der groß über seine Gefühle redet und ich werde jetzt nicht zu Chishiya gehen und ihm erzählen, dass ich darüber nachdenke, was genau das zwischen uns ist. 

Ich bemerke, wie eine Hand vor meinem Gesicht herumwedelt und erschrocken sehe ich zu demjenigen auf. Als ich die dunklen Augen und die weißblonden Haare erkenne, läuft mein Gesicht leicht rot an und ich lache verlegen.

"Huh, wo warst du denn schon wieder?"

"Du kannst ja raten", versuche ich abzulenken und ziehe herausfordernd meine Augenbrauen hoch. Sein Grinsen wird breiter und er nickt nur leicht, bevor er langsam weiterläuft. Als er sich nochmal umdreht bemerke ich erst, dass er auf mich wartet und ich springe neben ihn.  

"Wohin musst du, noch eine Besprechung im Konferenzraum?"

"Nein, die Besprechung ist gerade beendet worden. Kuina hatte die Idee zum Strand zu gehen, kommst du mit?"

Ich denke für einen Moment nach ehe ich einwillige, denn einen gemütlichen Mittag mit den beiden am Strand möchte ich mir nicht entgehen lassen. 

"Klar, ich muss nur auf meinem Zimmer die Sachen holen", bestätige ich und bleibe stehen, da ich in die andere Richtung muss. Chishiya bleibt auch stehen und dreht sich mit den Händen in der Westentasche zu mir.

"Soll ich Karten mitnehmen?"

"Ja", rufe ich ihm zu, als ich schon auf dem Weg zu meinem Zimmer bin. Ich ziehe mir schnell meinen roten Bikini an und meine lockere, hellbraune Hose an, während ich mir noch ein Handtuch schnappe. Dann laufe ich zu Chishiyas Zimmer und warte davor geduldig, bis er nach wenigen Minuten aus dem Raum kommt und die Tür hinter sich zuzieht. Er streckt nur seine Hand aus und wartet, ohne etwas zu sagen. Im ersten Moment sehe ich ihn verwirrt an, bis er amüsiert auf das Handtuch in meiner Hand sieht und ich es ihm reiche. Er steckt es in seinen schwarzen Rucksack und zusammen laufen wir zum Eingangsbereich. 

Ich laufe einen halben Schritt hinter ihm, damit er mein Lächeln nicht sehen kann. Das mit dem Handtuch war zwar nur eine kleine Geste, aber für Chishiya war es ziemlich süß. In der Lobby treffen wir auf Kuina und Izumi, mit denen wir runter zum Strand laufen. Wir richten unseren Platz ein und breiten die Handtücher aus, bevor Kuina mich begeistert ansieht.

"Wer zuerst bei der Boje ist?"

Ich sehe an ihr vorbei und sehe nach, wie weit die Boje draußen auf dem Meer schwimmt. Ich schüttele nur verneinend den Kopf, während Izumi und Kuina das Wettrennen starten. Ich ziehe gemütlich meine Hose aus und löse meine Haare aus dem Zopf. 

"Findest du es eine gute Idee mit deinen offenen Wunden in das Salzwasser zu gehen?", meint Chishiya und ich nicke nur ab. Im Hotel bin ich nie in den Pool gegangen, kein Chlor dieser Welt könnte alle Bakterien darin abtöten. Deswegen gehe ich ins Meer und schwimme ein wenig raus. Was jedoch niemand mitbekommt ist, dass mein Herz mir fast aus der Brust springt. Ich nehme einen tiefen Atemzug und tauche runter bis an den Grund. Es ist nicht all zu tief, aber ich kann den Temperaturunterschied deutlich spüren. Ich setze mich auf den weichen Sand am Boden in den Schneidersitz und versuche das Brennen meiner Wunden auszublenden. Einzelne Luftblasen steigen nach oben und ich sehe mich entspannt um. Alles hier wirkt friedlich und doch verspüre ich den Drang, sofort wieder aus dem Wasser zu gehen.   

Als die Luft ein wenig knapp wird, tauche ich wieder nach oben und sehe, wie Izumi und Kuina zu mir schwimmen. Wir albern noch ein wenig rum, doch bevor meine Haut schrumpelig wird, verlasse ich als erste das Wasser und laufe zu meinem Handtuch. Ich lege mich auf den Rücken und schließe meine Augen, um die Sonne zu genießen. 

"Du warst ziemlich lange da unten", sagt Chishiya neben mir und ich beiße mir unmerklich auf die Unterlippe. Auch wenn ich meine Augen geschlossen habe bemerke ich seinen Blick auf meine Rippen und ich denke nach, was ich sagen könnte, um ihn davon abzulenken. Aber irgendwie finde ich, dass ich auch einen Schritt auf ihn zu machen sollte, also beschließe ich ungekanntes Terrain zu betreten.

"Ich war früher eine richtige Wassernixe, meine Mutter hat mich kaum aus dem Wasser bekommen"

Er sieht mich einen Moment stumm an und ich öffne meine Augen, damit ich seinen Blick erwidern kann. Er hat mir versprochen, dass wir nicht über meine Familie sprechen, außer ich möchte es so. Ein ehrliches Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht und seine vorderen beiden Zähne kommen leicht zum Vorschein. 

"Und wie hat sie dich dann aus dem Wasser gekriegt?"

"Gar nicht. Irgendwann wurde meine Haut so schrumpelig, dass ich Angst hatte sie wird nie wieder normal", sage ich ehrlich und der Mann neben mir verkneift es sich loszulachen. Ich finde es schade, dass er sich in der Öffentlichkeit so zurückhält. Aber deswegen bedeutet es mir umso mehr, dass Chishiya sich nicht verstellt wenn wir alleine sind. 

"Spielen wir Karten?", frage ich und drehe mich auf den Bauch. Er grinst mich noch einen Moment an, dann greift er in den Rucksack und holt ein Kartenset heraus. Er teilt die Karten aus und nach einer Weile gleitet mein Blick zu Izumi, welche sich zu Yuudai an den Bademeisterturm gestellt hat, den der Militärtrupp aus Aussichtsturm benutzt. 

Ich grinse nur und schüttele den Kopf, als ich bemerke wie die beiden heimlich ihre kleinen Finger ineinander verhaken. Chishiya dreht sich um und folgt meinem Blick, was mir die Gelegenheit gibt ihn unbemerkt zu mustern. Die Haare in seinem Nacken schlagen am Ende leichte Locken und sein Ansatz wächst langsam raus. Der Reißverschluss seiner Weste ist weiter geöffnet als sonst, weil selbst ihm in der prallen Sonne warm zu sein scheint. 

Sobald er sich umdreht, sehe ich wieder in meine Karten und versuche mir mein Grinsen zu verkneifen. 

"Was machen die beiden da?", fragt er nur mit verwirrtem Blick. Chishiya weiß, dass es wegen ihrer geheimen Beziehung ist, nur versteht er anscheinend nicht, was genau das mit dem kleinen Finger soll.

"Das ist halt ihr Ding", lache ich leicht und lege eine Karte ab. 

"Was ist so besonders die Finger zu kreuzen?"

"Das ist nicht so leicht erklärt", sage ich, doch ich bemerke dass er eine Antwort abwartet. Ich verdrehe nur die Augen, lege meine Karten verdeckt ab und greife nach seiner rechten Hand. 

"Okay das", sage ich und harke unsere kleinen Finger ineinander, "Das ist Finger kreuzen, wie du eben sagtest"

Er nickt nur und an seinem konzentrierten Blick erkenne ich, dass er mir nichts vormacht. Er versteht es anscheinend wirklich nicht. Ich nehme wieder seine Hand und lege sie auf den Sand zwischen uns. Ich lege meine Hand neben seine und mache die Bewegung von Izumi und Yuudai nach. 

"Die beiden machen aber das hier. Sie denken das niemand es mitbekommt. Es ist wie als wäre die Spannung zwischen ihnen aufgeladen und sie können die Finger nicht voneinander lassen"

"Sie denken wirklich, dass das niemand mitbekommt?", fragt er ungläubig doch zieht seine Hand nicht weg. Ich habe das Gefühl, dass meine Wangen ein wenig glühen und versuche mich wieder zusammenzureißen. 

"Außer uns bekommt das wahrscheinlich auch niemand mit", verteidige ich die beiden. Chishiya sieht einen Moment zu unseren Händen herunter und ich werde unsicher, also greife ich wieder nach meinen Karten und lege die Vorletzte ab.

"Uno."


Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt