Kapitel 65 - Zerbrochene Glasscheibe

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Einen Moment sehe ich traurig zu dem toten Mann auf dem Boden, doch ich spüre die Blicke von Chishiya und Katsu in meinem Rücken, weswegen ich mich zusammennehme und aufstehe. 

"Danke dass du so spät noch etwas gekocht hast", wende ich mich an Katsu und lächele ihn dankend an. Es ist fast Mitternacht und trotzdem hat er dem Mann etwas gekocht. Auch wenn es nicht aufwendig war ist es nicht selbstverständlich. 

"Natürlich", sagt er und legt seine Hand tröstlich auf meinen Oberarm. Ich nicke nur und gehe an ihm vorbei, um den Raum zu verlassen und mich nicht noch einmal zu den toten Mann umzudrehen. Die beiden Männer folgen mir und als Chishiya neben mir läuft bemerke ich, wie er seine emotionslose Miene aufgesetzt hat. Ich schaue zu den Treppen am Ende des Ganges und sehe ihn fragend an. Stumm frage ich ihn, ob wir zusammen auf das Dach gehen und er scheint mich wortlos zu verstehen. Ein kleines Lächeln schleicht sich auf seine Lippen und er nickt nur, weswegen wir die Tür zum Dach ansteuern. Als Katsu die selbe Richtung einschlägt bleibt Chishiya stehen und sieht ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. 

"Musst du nicht noch ein paar Brote schmieren?", sagt er trocken und ich betrachte verwirrt, wie die beiden sich nur anstarren. Katsu ist der erste, der den Blickkontakt unterbricht und nickt mir noch einmal zu, bevor er in den entgegengesetzten Gang läuft. Habe ich irgendetwas nicht mitbekommen?

Chishiya setzt sich wieder in Bewegung und ich kann erkennen, wie er frech grinsen muss. Alleine dieser Anblick lässt mich die Situation von eben vergessen und ich folge ihm auf das Dach. Wir setzten uns wie schon so oft an die Kante mit Blick auf den Poolbereich und schweigen einfach nur. Meine Gedanken gehen zu Meiyo und ich hoffe, dass ich seinen Tod für ihn angenehmer gemacht habe. Ich habe mir schon gedacht, dass er sich auf eine der drei Wahlmöglichkeiten Stein, Papier, Schere fixiert und ich ihn so gewinnen lassen kann. Es ist nicht fair, dass ein Mensch wie er ins Borderland kommt ohne jegliche Chance zu überleben. Ich habe mich schon oft gefragt wo die Grenzen liegen, wer an diesen Ort kommt. 

"Du warst da drin wundervoll", reißt mich Chishiyas Stimme aus den Gedanken und ich sehe zu ihm. Sobald sich unsere Augen treffen schleicht sich ein sanftes Lächeln auf meine Lippen und durch seine Worte beginnen meine Wangen leicht zu glühen. 

"Er hatte seit dem Krankenhaus Angst und war verwirrt. Es fühle sich nicht richtig an ihn so sterben zu lassen", sage ich ehrlich und versuche ein lächeln bei dem traurigen Gedanken beizubehalten. Er holt etwas aus seiner Westentasche hervor und reicht es mir. 

"Hier", sagt er und ich nehme das Foto entgegen. Lächelnd betrachte ich das Foto von mir und meiner Mutter, welches ich beim letzten Mal im Krankenhaus gelassen habe. "Ich hoffe du bist nicht sauer, dass ich es mitgenommen habe"

"Doch", sage ich und setze eine strenge Miene auf. Er sieht mich erstarrt an und ich kann einen Funken traurige Verwunderung in seinen Augen erkennen. "Aber du kannst es wieder gut machen, indem du mir irgendwann einmal ein Bild von dir als Kind zeigst"

Ich lächele breit und auch sein Blick hellt sich ein wenig auf. Er lehnt sich ein wenig zu mir, sodass sich unsere Schultern berühren und schaut sich das Foto mit mir zusammen an. 

"Da gibt es keine große Auswahl", sagt er nur und ich sehe ihn fragend an, "Meine Eltern haben nie wert darauf gelegt Dinge wie Fotos oder Erinnerungen aufzubewahren"

Sein Gesichtsausdruck wird streng und emotionslos, aber ich möchte nicht das sein Lächeln verschwindet. Ich lehne mich ein wenig näher zu ihm und setze ein gespielt nachdenkliches Gesicht auf.

"Ich wette du sahst verdammt süß aus als Kind", sage ich und er nickt nur grinsend. Er zieht seine Augenbrauen ein wenig nach oben und kommt noch ein Stück näher.

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt