Kapitel 119 - Die böse Saht

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Drei Sekunden, länger braucht es nicht um etwas zum kompletten Gegenteil zu wenden. In der ersten Sekunde erwidere ich Aguni's schon fast krampfhafte Umarmung und bin einfach nur erleichtert, weswegen sich meine Gedanken abschalten und ich nichts hinterfrage. Schon zu lange habe ich zu verdrängen versucht was damals geschehen ist und sobald jemand auch nur das Thema angeschnitten hat bin ich in den Verteidigungsmodus gewechselt und habe abgeblockt. Aber dieses grässliche Grinsen heute Abend zu sehen hat mich wieder an alles erinnert.

In der nächsten Sekunde spüre ich etwas kaltes an meinem Handgelenk und löse mich verwirrt aus der Umarmung. Immer noch in Gedanken sehe ich nach unten und brauche einen Moment um zu begreifen, was der metallene Ring um meinem Arm zu bedeuten hat. Er hat mich an das Auto mit Handschellen gekettet? Das ist jetzt ein schlechter Witz oder?

"Was soll das?", bringe ich hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich merke wie sich mein Unterkiefer anspannt, dennoch bin ich vorsichtig bei Aguni. Wenn ich ihn verärgere tötet er mich einfach. 

"Du bist zu naiv"

"Mach mich los!"

"In dem Moment als du den Mann im Eingangsbereich eine Waffe vorgehalten hast ist er eine Bedrohung für uns alle geworden", sagt er seelenruhig und mustert mich von oben bis unten. Normalerweise würde ich meine Arme vor der Brust verschränken oder mit einem Spruch kontern, aber das kann ich mir in dieser Situation wohl kaum erlauben.

"Also bin ich was, dein Köder?!" 

"Sei froh dass Plan A ist dich am Leben zu lassen. Wenn der Typ hier her kommt um sich zu rächen verschaffe ich so Niragi und Chishiya Zeit ungestört und ohne Komplikationen die Schlüssel zu suchen"

"Ich bin also eine Komplikation? Hat sich nicht so angefühlt als ich dich damals vom Grund des Sees aufgefischt habe", fahre ich ihn an und wechsele in Gedanken in den Spielmodus. Mit einem Zaubertrick die Handschellen aufzubekommen fällt nicht in meinen Talentbereich, also brauche ich die Schlüssel, welche verlockend in seiner breitgeschnittenen Hosentasche verschwunden sind. 

"Vielleicht hättest du mich damals einfach ertrinken lassen sollen", sagt er ein wenig wehleidig, jedenfalls für seine Verhältnisse. Er wendet seinen Blick zur Seite und ich male mir meine Chancen aus, doch er ist zu weit entfernt. Mit seinen antrainierten Militär-Reflexen könnte er meinen Arm mit Leichtigkeit abfangen. Er muss also näher kommen.

"Heul nicht so rum und sei ein Mann. Du bist der Chef des Militärtrupps aber du benimmst dich gerade wie ein Kleinkind", sage ich mit leicht verachtendem Unterton und verdrehe gelangweilt sowie unbeeindruckt die Augen. Nicht zu viel, sodass er mir gleich eine Kugel in den Kopf schießt aber soviel, dass seine Halsader sich leicht anspannt. Er verschränkt die Arme vor der Brust und schnaubt leicht angefressen aus. Noch ein kleines Stück näher...

"Niragi hatte recht, du hättest diesen Kerl einfach erschießen sollen. Aber du bist nach all deiner Zeit hier im Borderland immer noch zu weich. Bei unserem Herzspiel warst du am Ende komplett neben der Spur, und das bei einem Stufe drei Spiel."

Ich bin mir nicht sicher ob er nahe genug ist, aber bald durchschaut er was ich vorhabe und dann ist es zu spät. Ich bezweifele, dass er näher kommen wird. Ich greife so schnell ich kann nach vorne und kann an meinen Fingerspitzen schon den Saum seiner Militärhose ertasten, als er mein Handgelenkt packt und es schmerzhaft verdreht. Ich unterdrücke einen Aufschrei und sacke leicht in die Knie, weshalb er meine Hand in die ursprüngliche Position dreht, aber seine Kraft nicht mindert.

"Glaubtest du wirklich das funktioniert? Ich dachte du wärst cleverer. Es ist effektiver jemanden den Schlüssel heimlich abzunehmen als schnell danach zu greifen. Selbst wenn du drangekommen wärst, hätte ich dich leicht überwältigen können", sagt er emotionslos und ich versuche mich aus seinem Griff zu befreien. 

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt