Kapitel 101 - Tayuya

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Chishiyas Sicht

Nachdem Sayuuri mein Zimmer verlässt lasse ich mich wieder nach hinten auf das Kissen fallen und falte meine Hände vor der Stirn. Ich kann nicht anders als leise zu lachen und sehe wieder zur Tür, in der sie gerade verschwunden ist. Zugegeben war ich gestern ein wenig nervös, aber sobald ich Sayuuri auf meiner Couch sitzen und lesen sah war alles wie verflogen. Seltsam, ich bin normalerweise nie nervös. Ich hasse dieses Gefühl: Schwitzige Hände, unruhiges Gefühl in den Händen und ein erhöhter Herzschlag. Menschen sind sehr oft ohne Grund nervös, weshalb ich mich meistens darüber lustig gemacht habe. Ich frage mich, ob sich Sayuuri gestern auch so gefühlt hat. Ich lache über meinen Gedanken und sehe einfach nur an die Decke. Seit wann kümmert es mich, was andere Leute fühlen? 

Alleine an diesem Tag hat sie mich mehrmals überrascht, was schon lange niemand mehr geschafft hat. Das erste Mal war gestern Abend. Sie war so verunsichert als ich den Saum ihres Kleides hochgeschoben habe, ich kann mir immer noch nicht richtig erklären woher das plötzlich kommt. Sonst hatte sie nie Probleme mit ihren Verletzungen, vielleicht mit ihrer Narbe am Rücken, aber sie hat mir nie genau erzählt was damals bei dem Pik 10 Spiel genau geschehen ist. Das erste Mal seit langem hat sie es in unserem letzten Spiel wieder erwähnt. Als sie die Männer abgelenkt hat und ich mich aus der Zelle befreit habe hat sie dem Schreckensdoktor um ihn zu provozieren erzählt, dass der letzte Mann der sie gefoltert hat sich mehr Mühe gegeben hat. Das zweite Mal war, als sie gesagt hat dass sie keine Angst vor mir hat wegen dem, was ich dem Schreckensdoktor angetan habe. Nach ihrem Blick auf den Blutspritzer an meiner Wange dachte ich sie würde mich hassen. 

Aber das gestern war neu für mich, sie hat sich geziert und war unsicher dabei hat sie keinen Grund dazu. Ich finde sie wunderschön, mit oder ohne Narben. Mein Blick geht zu der Uhr auf meinem Nachttisch und ich atme tief durch, bevor ich aufstehe und ins Bad laufe. Ich habe vielleicht noch eine gute halbe Stunde, bis ich losmuss. Ich springe schnell unter die Dusche und sammele dann meine Weste bei der Couch auf, um sie anzuziehen. Gerade als ich den Reißverschluss hochgezogen habe, klopft es an meiner Tür und keine Sekunde später platzt Niragi in mein Zimmer. Ich brauche gar nicht mein übliches Gesicht aufzusetzen, bei ihm ziehen sich meine Augenbrauen automatisch hoch und ich kann nicht anders als abfällig zu Grinsen. 

"Los, die Besprechung fängt gleich an", sagt er genervt und ich nicke nur leicht, bevor ich an ihm vorbeilaufe und ihn dort stehenlasse. Gelangweilt setze ich mich im Konferenzraum in meinen Sitz und warte schweigend mit den anderen auf Mira und den Hutmacher. Als sie nach ungefähr sieben Minuten zu uns kommen zweigen meine Gedanken ab und ich reagiere nur, wenn mich etwas annähernd interessiert. Nein, meine Gedanken hängen an genau zwei Dingen: Meinem Plan und Sayuuri. 

"Wir sollten uns einen Überblick verschaffen und eine Strichliste führen, wie viele Mitglieder der anderen Gruppe wir nach den Spielen umbringen. Damit erhalten wir einen Überblick, wie viele sie in kurzer Zeit rekrutiert haben", sagt Aguni und zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Bei den neuen Mitgliedern schalte ich meistens ab, aber wenn es um die Männer von der Industrieanlage geht, werde ich hell wach.      

"Bei wie vielen Spielorten sind sie präsent?", fragt Ann mit einem Schwung Besorgnis in der Stimme. Als wir bei dem Versteck waren habe ich schon bemerkt, dass sie da Ganze nicht nur abartig findet, sondern auch Angst davor hat.

Sie reden noch eine ganze Weile und als die Besprechung zu Ende ist laufe mich mit den Händen in den Taschen aus dem Konferenzsaal. Gerade als ich um die Ecke biege reißt mich eine bekannte Stimme aus meinen Gedanken und ich drehe mich lächelnd um.

"Also, was machen wir", fragt mich Tayuya aufgeregt und ich setze wider mein Grinsen auf.

"Was du willst", antworte ich schlicht und folge ihr. Wir setzen uns direkt in die Eingangshalle vor aller Augen. Sie möchte offensichtlich, dass uns jeder zusammen bemerkt. Ich bin nur froh, dass Sayuuri wahrscheinlich wieder schlafen gegangen ist. Kuina hat mir erzählt, dass die beiden schon über den Weg gelaufen sind aber nichts wichtiges gefallen ist.

 Sie redet ununterbrochen über ihre Themen, aber ich kann nicht anders als an Sayuuri zu denken. Tayuya redet von Themen, die mich noch nie interessiert haben aber ich versuche aufmerksam zu wirken. Tayuya hat zwar eine schöne Figur, aber für mich wird sie niemals an Sayuuri herankommen. Zudem beschränk sich ihn Intellekt auf vielleicht 80 iQ, weshalb ich fast jedes ihrer Worte ausblende. Wäre sie nur ein Viertel so interessant wie Sayuuri würde es mir leichter fallen Zeit mit ihr zu verbringen, aber Tayuya ist einfach langweilig. Keinen Tag ohne den Beach hätte sie ein Spiel überlebt, was sie noch uninteressanter macht. 

Sie hat bemerkt, dass ich viel Zeit mit Sayuuri verbringe und ich habe ihr gesagt, dass Sayuuri langweilig ist und sich an mich gehängt hat. Die größte Lüge meines Lebens. 

"Chishiya?", fragt sie und ich sehe gespielt aufmerksam zu ihr, "Können wir zu dir aufs Zimmer? Ich habe da etwas für dich"

Der Schlüssel. Ich nicke nur stumm und folge ihr die Flure entlang zu meinem Zimmer. Sie hat mir von dem Überwachungsraum erzählt wo sich die Aufzeichnungen von allen Kameras befinden. Wenn ich Zugang dazu habe, habe ich eine höhere Chance an die Karten des Hutmachers zu gelangen und mit Sayuuri und Kuina zu verschwinden. 

Kurz vor meinem Zimmer dreht sich Tayuya ruckartig um und sucht direkten Blickkontakt. 

"Du bist so heiß", sagt sie plötzlich und drückt ihre Lippen auf meine. Ich erstarre für einen Moment, aber wenn es sie dazu bringt mir die Schlüssel für den Überwachungsraum überreichen muss ich wohl mitspielen. Ich erwidere den Kuss nicht direkt, aber sie scheint sowieso die Führung übernehmen zu wollen. Komisch, es ist ein komplett anderes Gefühl als wenn ich Sayuuri küsse. Ich finde es schon fast abstoßend, aber mein Plan scheint sich zu erfüllen. Sie löst sich von mir und schüttelt mit dem Schlüssel vor meiner Nase herum.

"Gehen wir in dein Zimmer?"

Irgendwie muss ich das verhindern. Ich nehme sanft den Schlüssel entgegen, aber sie lässt nicht locker und küsst mich noch leidenschaftlicher. Wenn ich sie jetzt von mir stoße verrät sie dem Hutmacher, dass es einen Überwachungsraum gibt und mein Vorteil ist dahin. Also erwidere ich ihren Kuss und drücke sie näher an mich, um es glaubhaft wirken zu lassen.




Alice in BorderlandWhere stories live. Discover now