Kapitel 11

5.9K 190 5
                                    

Scott

Ich warf in regelmäßigen Abständen einen Blick nach hinten. Alena nickte immer mal wieder kurz weg. Meist hielt dieser Schlaf nicht länger als 2 Minuten an. Doch seit 5 Minuten hatte sie die Augen noch nicht wieder geöffnet, weshalb ich das Gaspedal nur noch stärker durchtrat. Denn eins stand fest. Alena musste unbedingt ins Krankenhaus. Der Aufprall vorhin war nicht gerade sanft gewesen. Ich musste aber auch gestehen, dass ich in dem Augenblick, als ich sie mitten auf der Straße stehen sah und sich nicht bewegte, nicht wirklich darüber nachdachte, was alles passieren konnte. Das Einzige was ich wusste, dass sie von dieser verdammten Straße runter musste.

Ich konnte im Moment nicht genau sagen, warum Alena überhaupt bei Rot auf die Straße gerannt war. Bisher hatte sie mir dafür noch keine Erklärung geliefert. Doch die würde ich schon noch bekommen. Garantiert. Denn lockerlassen, bevor ich keine zufriedenstellende Antwort hatte, gab es bei mir nicht. Das sie mein Gesicht ohne Kapuze gesehen hatte, machte die Situation nicht unbedingt besser. Ich konnte dennoch hoffen, dass Alena es einfach vergaß und jegliche Worte darüber ruhen ließ. Nur hatte ich sie in den letzten beiden Wochen kennengelernt und wenn ich eins wusste, dass sie unglaublich stur sein konnte, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Sie war am Anfang, ohne mich auch nur ein bisschen zu kennen, sogar auf meinen Vorschlag einen Quickie mit mir im Badezimmer zu schieben, eingegangen. Was mich schon ziemlich beeindruckt hatte. Denn ich hatte noch zu gut ihre Augen in Erinnerung, die in dem Moment nichts als pure Angst ausstrahlten, die sie berechtigter Weise hatte. Mit mir legte sich keiner freiwillig an, wenn man noch an seinem Leben hing. Mit der Ausnahme dieser kleinen vorlauten, sturköpfigen Krankenschwester. Die gerade in einem Zustand zwischen wach und dämmern schwebte. Wobei selbst ich wusste, dass das nicht besonders gut war.

Ich warf noch einen letzten Blick auf Alena und suchte in meinen Kontakten nach Georges Nummer. Er war im Augenblick der Einzige, der mir und vor allem Alena helfen konnte. Nach dem dritten Klingeln nahm er endlich ab. »Hey Scott. Was gibt's?«, klang er voller Tatendrang. »Bist du gerade im Krankenhaus?«, fragte ich unverfänglich. »Ja. Ich hab Nachtschicht. Was hat du schon wieder angestellt?«, kannte er mich mittlerweile so gut, dass ich wirklich nur im dringendsten Notfall anrief. »Kannst du bitte einfach zum Seiteneingang kommen. Ich erklär es dir später«, versuchte ich ihn für den Moment abzuwimmeln. »Na schön. Wie lange brauchst du noch, bis du hier bist?«, wollte er wissen. »Nicht lang. Ich bieg gerade auf den Parkplatz.« »Okay. Dann bis gleich«, erstarb die Leitung.

Ich stellte das Auto etwas Abseits in den Schatten. Weg von den Straßenlaternen und anderen Leuten. Ich verharrte so lange darin, bis ich George durch die Tür treten sah. Erst dann öffnete ich meine Autotür, stieg aus und wandte mich an die hintere Tür, um Alena herauszuholen. Dazu stützte ich mich mit einem Bein auf dem Rücksitz ab, beugte mich ins Wageninnere, schob ihr meine Arme unter den Körper und hob sie vorsichtig heraus. Nicht dass sie sich nochmal den Kopf stieß. Der, würde ich mal behaupten, hatte für heute auf jeden Fall genug abbekommen. »Was hast du mit Alena gemacht, verdammt?«, hörte ich Georges entsetzte Stimme direkt hinter mir.

»Sie davor gerettet sich selbst umzubringen«, lieferte ich ihm eine Antwort, die er sicher nicht hören wollte. Aber es entsprach der Wahrheit. Mindestens noch so lange, bis Alena uns sagte, was es damit auf sich hatte. »Dir ist schon klar, dass das absolut verrückt klingt und ich dir nicht glaube, oder?«, ging er mir mit seiner dämlichen Fragerei gerade wirklich auf den Sack. »Das mag sein. Aber ich sag die Wahrheit«, schnaubte ich geschafft. Denn eigentlich hatte ich im Moment wirklich andere Probleme. Das Größte von allen. Ein Menschenhändler, der kleine Kinder entführte und an alte, pädophile Männer verkaufte, um diese zu foltern, sexuell zu missbrauchen oder sonst was mit ihnen anzustellen.

Lia und ihr Bruder waren dafür, leider Gottes, ein sehr gutes Beispiel. Wir hatten bis jetzt noch keinerlei Anhaltspunkte, wo sie ursprünglich herkamen. Wer ihre Eltern waren? Wo sie entführt wurden? Und vieles weitere. Ich war die letzten Tage seit der kleine Junge aufgewacht war, permanent auf den Beinen, um irgendwas Brauchbares herauszufinden. Bis jetzt jedoch ohne Erfolg. Ich war jegliche Vermissten-
meldung der letzten sechs Jahre durchgegangen. Aber diese beiden Kinder schienen nicht zu existieren. Nirgendwo? Weder hier in Illinois noch in den anderen Bundesstaaten.

Als nächstes standen die Datenbanken aus ganz Amerika an. Und wenn es dort wieder keinen Treffer gab, musste ich wohl oder übel Vermisstenmeldungen aus aller Welt durchstöbern. Das meine Recherche mithilfe der polizeilichen Datenbanken illegal war, brauchte ich wahrscheinlich nicht zu erwähnen. Wenn das rauskäme, würde ich eine ganze Weile im Gefängnis sitzen. Aber diese beiden unschuldigen Kinder waren es mir wert. Vor allem auch, weil ich sie in meinem Bezirk gefunden hatte und mich gewissermaßen dafür verantwortlich fühlte.

Die wahren Verantwortlichen würden bei mir nicht ungestraft davonkommen. Wie die Polizei das sah, wusste ich nicht. Trotzdem ging ich im Moment stark davon aus, dass die Aufdeckung dieses illegalen Menschenhändler-
ringes ja wohl auch im Interesse der Polizei lag. Das dachte man jedenfalls. Aber es gab auch genügend Beamte, die nur sahen, was sie sehen wollten. Zum Beispiel uns. Obwohl wir, wenn man es genau nahm, für die Gerechtigkeit sorgten, die die Polizei gern einmal übersah, weil sie ordentlich geschmiert worden. Doch meine weitere Recherche würde wohl noch ein wenig auf sich warten lassen müssen, da ständig was dazwischenkam. Erst die ganzen Anrufe von Alena bezüglich der Kinder. Und jüngst eine selbstmordgefährdete Krankenschwester.

Eigentlich könnte mir Alena nicht egaler sein, aber ich brachte es nicht übers Herz diesen beiden Kindern, die einzige Bezugsperson zu entreißen, die sie im Moment hatten. Denn ich war für diesen Posten wirklich mehr als ungeeignet. Außerdem hatte ich auch keine große Zeit dafür. »Scott!«, fuchtelte eine Hand energisch vor meinem Gesicht herum. Ich schüttelte kurz meinen Kopf, um wieder Herr über die jetzige Situation zu werden. Die Hand vor meinem Gesicht gehörte zu George. Und die andere, die sich gerade in meinem Nacken bewegte zu Alena, welche ich noch immer im Arm hielt. »Alter ich rede die ganze Zeit mit dir!«, klang selbst George im Moment etwas wütend, was man von ihm normalerweise gar nicht so kannte.

»Was hast du gesagt?« »Du sollst gefälligst mit reinkommen. Nicht das uns hier draußen noch jemand sieht. Vor allem Dr. Harrington. Alena hätte schon vor einer halben Stunde anfangen müssen.« »Tut mir leid, dass ich für diesen Arsch kein Verständnis habe. Der behandelt euch doch alle wie Dreck und hält sich für was Besseres«, rollte ich genervt mit den Augen. »Das mag sein. Aber wir arbeiten trotzdem hier und bekommen unser Geld dafür. Und jetzt komm!«, klangen seine letzten Worte nach einer klaren Aufforderung. Weshalb ich ihm, ohne zu mucken, folgte.

Im Krankenhaus manövrierte er uns durch einige leere Gänge, bis wir schließlich vor einem Behandlungszimmer anhielten. »Warum hier hin? Kann nicht jeden Moment jemand reinkommen?«, musterte ich den Raum mitsamt der Einrichtung skeptisch. »Der gehört einem Kollegen, der gerade im Urlaub ist. Ich hab nur einen Schlüssel, weil ich hier drinnen Blumen gießen soll. Hier kommt also ganz sicher keiner rein«, versicherte er mir, nachdem er die Tür von inne wieder abgeschlossen hatte. »Na schön«, ging ich auf die Behandlungsliege zu und legte Alena darauf ab.

Ich trat ein paar Schritte zurück, lehnte mich an den Schreibtisch auf der anderen Seite des Raumes, streifte mir die Kapuze vom Kopf und fuhr mir geschafft durch die Haare. Schon halb zwölf. Das würde wohl wieder eine lange Nacht ganz ohne Schlaf werden. Herzlichen Glückwunsch Scott!
_________________________________________
Neues Kapitel. Diesmal wieder aus Scotts Sicht.

Ich hoffe es gefällt euch.😅

A/N: Das nächste Kapitel gibt es wieder ab 7 🌟 und 5 Kommentaren.


Chicago BastardWhere stories live. Discover now