Kapitel 15

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Alena

»Guten Morgen ihr beiden«, trat ich nach zwei Tagen krank, zu meinem Schichtbeginn in das Krankenzimmer, in dem Sam und Lia lagen. »Alena!«, sprang Lia vom Bett ihres Bruders, nur um sich in der nächsten Sekunde auf mich zu stürzen. Ich taumelte zwei Schritte zurück, als sie sich in meine Arme warf. »Hey meine Kleine«, strich ich ihr liebevoll über die Haare. Ich nahm das kleine Mädchen auf meinen Arm und ging mit ihr zum Bett ihres Bruders. »Wie geht es dir Sam?«, legte ich ihm besorgt eine Hand an die Wange. »Gut. Ich hab nur noch ein bisschen Kopfschmerzen«, legte er mir seine Hand über meine.

»Wo warst du die letzten beiden Tage?«, scannte mich dieser kleine schlaue Wicht von oben bis unten ab. »Ich hatte einen kleinen Unfall und war krankgeschrieben«, blickte ich in zwei vollkommen geschockte Gesichter, weshalb ich augenblicklich zurückruderte. »Mir geht es schon wieder sehr gut. Es war nichts Schlimmes. Wirklich nicht«, versicherte ich den beiden, während ich mich zusammen mit Lia auf der Bettkante niederließ. »Sicher?«, sah die kleine Maus mich aus ihren braunen Augen an. Die Tage seitdem ihr Bruder aufgewacht war, taute sie ein wenig auf. Sie sprach mehr, wenn auch nicht mit jedem. Mittlerweile antwortete sie auch George, wenn er ihr eine Frage stellte. Doch die anderen Ärzten und Schwestern schwieg sie noch immer an.

Ich erkundigte mich gerade, wie die letzten beiden Tage für sie waren, als wir von einem Klopfen an der Tür unterbrochen wurden. Sam antwortete mit einem einfachen: »Ja«. Schon im nächsten Moment schwang die Tür auf und Dr. Harrington trat in das Zimmer ein. Normalerweise kam er nicht persönlich vorbei, sondern schickte immer irgendwelche Praktikanten oder Auszubildende, wenn er einen von uns sehen wollte. Doch heute anscheinend nicht. »Ms. Cooper. Die Jugendamt Mitarbeiterin hat sich angekündigt. Sie will die Kinder heute mitnehmen. Sorgen Sie also dafür, dass sie fertig sind, wenn sie in 10 Minuten hier ist. Verstanden!«, machte er mir mit seinem Gesichtsausdruck klar, dass ich mich nicht wagen sollte ihm zu widersprechen.

Dennoch tat ich es. Auch, weil ich die ängstlichen Gesichter der beiden Kinder vor mir sah. Sie wollten hier nicht weg. »Aber Sir das ist noch zu früh«, flehte ich ihn verzweifelt an, weil ich noch immer keine brauchbare Lösung gefunden hatte, die sicherstellte, dass die beiden Kinder bei mir bleiben konnten. »Nein. Eigentlich hätten die beiden schon vor drei Tagen entlassen werden müssen. Deshalb hören Sie auf zu diskutieren und machen Sie gefälligst, was man Ihnen sagt. Mit ihrer aufmüpfigen Art können Sie eigentlich froh sein, dass ich Sie noch nicht entlassen habe«, sagte er mir einmal mehr deutlich ins Gesicht, was er von mir hielt.

Nämlich nichts. Ich war für ihn nur eine billige Arbeitskraft. Mehr nicht. Das sollte ich bedenken. Aber das ging nicht. Nicht mit der bösen Vorahnung, dass den beiden unschuldigen Kindern das gleiche passierte, wie mir damals. »Aber...«, wollte ich erneut ansetzen, als er mich harsch unterbrach. »Schluss jetzt!« Bei seinem lauten Tonfall zuckten Lia und Sam merklich zusammen. Und ich sah im Augenwinkel, wie dem Mädchen Tränen über die Wangen liefen, während ihr Bruder verzweifelt, versuchte sie zu trösten. Ich wusste, dass ich es jetzt gut sein lassen sollte, weshalb ich schwieg und wortlos dabei zusah, wie Dr. Harrington aus der Tür verschwand.

Das Einzige, was übrig blieb, war das Chaos, dass er mit seiner Ankündigung hinterlassen hatte. Und ich war mir sicher, dass ich mir schleunigst etwas überlegen musste. Ich konnte die Kinder nicht einfach so abgeben. Wer wusste schon an welcher nächsten Ecke die Menschen lauerten, vor denen sie geschafft hatten zu fliehen. Vor deren Festnahme würden sie keine Ruhe bekommen. Pausenlos verfolgt und im schlimmsten Fall verschleppt werden. Dabei wäre dies dem Jugendamt völlig egal. Die vielen Kinder, die sie betreuen mussten. Da fielen zwei fehlende nicht weiter auf. »Ich will nicht weg. Ich möchte bei dir bleiben«, klang Lias Stimme schwach und zittrig. Und ich wusste genau, wie sie sich fühlte.

Chicago BastardWhere stories live. Discover now