Kapitel 20

5.3K 181 9
                                    

Alena

Eine weitere Woche zog ins Land, in der ich nichts von Lia und Sam hörte. Erst nach dieser besagten Woche, durften Sawyer und ich die beiden endlich aus dem Kinderheim holen. Nervös rieb ich mir mit meinen Händen über die Oberschenkel. Jetzt wurde es also ernst. Gleich gab es kein Zurück mehr. Denn wenn ich die Kinder einmal hatte, war es endgültig. Scott folgte uns in seinem Auto. Einfach aus dem Grund, weil ich nicht wusste, wie die beiden Kinder reagierten, wenn ich ihnen einen für sie fremden Mann vorstellte. Angeblich kannten sie ihn ja schon. Und eigentlich war das keine ganze Lüge. Lediglich der falsche Mann saß neben mir.

»Du musst nicht nervös sein. Das Schlimmste haben wir doch schon hinter uns. Jetzt holen wir nur noch die beiden Kinder und danach kannst du mit ihnen ein friedliches Leben führen«, drückte Sawyer meinen Oberschenkel. Ich hatte ihn nach den zwei vergangenen Wochen wirklich gern. Aber er war eben nicht Scott. Und diese Tatsache wurde mir von Tag zu Tag bewusster, je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte. »Und was ist...«, wurde ich von Sawyers Klingelton unterbrochen. »Ja Boss«, meldete er sich sofort, warf mir gleichzeitig einen entschuldigenden Blick zu. »Verstanden. Dann treffen wir uns nachher wieder hier«, dauerte das Gespräch der beiden nicht wirklich lang.

»Scott wartet hier«, wandte sich der Mann neben mir mit einer kurzen Erklärung an mich. »Okay«, war alles, was ich herausbrachte, da das Kinderheim gerade vor uns auftauchte. Sawyer lenkte das Auto auf den dazugehörigen Parkplatz und ließ den Motor verstummen. »Das wird schon«, pflichtete er mir optimistisch bei, bevor er sich daran machte, auszusteigen. Ich folgte seinem Beispiel, öffnete die Beifahrertür und stieg aus. Mit meinem Gesicht kuschelte ich mich tiefer in meinen dicken Schall, da die Temperaturen in den letzten Tagen im einstelligen Minusbereich lagen. Wie schon das letzte Mal, als wir im Jugendamt auftauchten, griff Sawyer nach meiner Hand und verschränkte sie mit seiner großen. Die jedoch nicht so kräftig, wie Scott seine, war. Und mich störte, dass ich mir darüber Gedanken machte.

Gemeinsam traten wir den Weg ins Innere des Kinderheims an. Allein bei dessen Anblick stiegen in mir unschöne Erinnerungen auf. Meine damalige Zeit im Kinderheim war jedenfalls nicht von Sonnenschein geprägt gewesen. Ganz und gar nicht. Ich war jung, eine Außenseiterin und wurde schlecht behandelt. Und das war einer der ausschlaggebenden Gründe, weshalb ich nicht wollte, dass es Lia und Sam ähnlich erging. Auch wenn sie sich beide gegenseitig hatten und nicht ganz allein waren. Drinnen suchten wir gleich eine der Mitarbeiterin, die uns hoffentlich sagen konnte, wo wir Mrs. Welsh fanden. Wir folgten ihrer Wegbeschreibung, bis wir vor einer Tür, neben welcher auf einem Schild Mrs. Welsh stand, anhielten.

»Bist du bereit?«, sah Sawyer fragend auf mich herunter. »Ja«, signalisierte ich ihm mit einem Nicken, dass ich so weit war. »Holen wir die beiden endlich hier raus«, fügte ich meinen Worten noch hinzu. Auch hier traten wir nach einer Aufforderung von der anderen Seite der Tür ein. Mrs. Welsh wirkte sehr freundlich. Sie bemühte sich, die benötigten Unterlagen und Fakten zügig mit uns durchzugehen, damit wir so schnell, wie möglich wieder von hier verschwinden konnten. »Sind Sie sich sicher, dass Sie diese beiden Kinder mitnehmen wollen?«, warf sie uns einen prüfenden Blick zu. Doch ihre Worte ließen mich alarmiert aufhorchen. »Warum denn nicht?«, fragte ich deshalb möglichst neutral, ohne meine aufsteigende Sorge zu zeigen.

»Ich will damit nur sagen, dass das kleine Mädchen seit ihrer Ankunft vor zwei Wochen noch kein Wort gesagt hat. Nicht mal zu ihrem Bruder. Noch dazu wirkt sie seltsam verstört und verängstigt. Bei jeder noch so kleinen Berührung zuckt sie zusammen, schreit und tritt um sich«, zählte sie all das auf, wovor ich Angst hatte, dass Lia wieder in alte Muster verfiel. Denn genau deswegen musste ich sie hier schleunigst rausholen. Ich blickte Sawyer fragend an, damit es wenigstens so aussah, als überlegten wir nochmal. Doch meine Entscheidung stand fest. Ich hatte diesen ganzen Aufwand nicht betrieben, um jetzt einen Rückzieher zu machen oder ein anderes Kind mitzunehmen. Was wäre ich dann für ein Mensch? Wahrscheinlich nicht besser als meine eigene Mutter.

Chicago BastardWhere stories live. Discover now