Kapitel 12

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Scott

Ich betrachtete George still dabei, wie er verschiedene Sachen zusammensammelte. Erst danach trat er an die Behandlungsliege heran. Als er seinen Kopf in meine Richtung wandte, wahrscheinlich um nachzufragen, was überhaupt passiert war, stoppte er mitten in seiner Bewegung. Und ich wusste auch ganz genau warum. Ich zog meine Kapuze in der Öffentlichkeit nie vom Kopf. Wirklich niemals. »Bist du verrückt! Was ist, wenn sie aufwacht?«, gestikulierte er wild, mit versucht beherrschter Stimme. »Dafür ist es eh schon zu spät«, zuckte ich teilnahmslos mit den Schultern, während Georges Mund weit aufklappte. »Was soll das heißen?«, wirkte er regelrecht schockiert. »Genau das, was ich gesagt habe. Sie hat mein Gesicht schon gesehen«, deutete ich mit dem Kopf in Alenas Richtung.

»Okayyyy«, zog er das Wort unnötig in die Länge. »Du sagst mir jetzt verdammt nochmal, was passiert ist!«, wurde er richtig fordernd. Doch ich konnte es nachvollziehen. Ich hatte ihm bis jetzt wirklich nur knappe, unpräzise Antworten gegeben. »Alena ist vorhin bei Rot auf die Straße gelaufen. Ein Lastwagen fuhr direkt auf sie zu, aber sie rührte sich kein bisschen. Es wirkte fast schon so, als wäre sie festgefroren gewesen. Und weil ich sie nicht einfach sterben lassen konnte, hab ich sie von der Straße gezogen. Dabei ist sie mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgeschlagen und dann wurde sie immer mal wieder bewusstlos«, starrte ich während meiner Worte, die Wand mir gegenüber an.

Es dauerte einen Moment, bis George meine Erzählung verarbeitet hatte. Anstatt jedoch geschockt zu reagieren, wie eigentlich angenommen, war das Einzige, was ihn scheinbar zu interessieren schien. »Woher wusstest du, wo sie war?« »Zufall«, klang das Wort sogar in meinen Ohren absolut unglaubwürdig. »Bullshit. Jetzt bitte die Wahrheit!«, spürte ich seinen durchdringenden Blick auf mir. »Schön. Ich hab sie vielleicht verfolgt«, faltete ich meine Hände in meinem Nacken und sah über mir an die Decke. »Du machst dir Sorgen um sie!«, stellte George nüchtern, ohne jegliche Bewertung fest. Und trotzdem reagierte ich sofort abwehrend. »Auf keinen Fall!«, spuckte ich die Worte förmlich aus. »Auf jeden Fall«, grinste er überlegen.

Um ihn nicht noch weiteren Stoff zu liefern, über welchen er sich lustig machen oder die Tatsachen verdrehen konnte, hielt ich einfach meine Klappe und sagte nichts weiter dazu. Stattdessen beschäftigte ich mich damit meine Hände zu begutachten. Bis mir das irgendwann zu langweilig wurde, ich stattdessen meinen Blick hob und George dabei beobachtete, wie er Alena verarztete. Als ich ihr ins Gesicht sah, registrierte ich, dass ihre Lider verräterisch zuckten. So als würden diese sich gleich öffnen. Und ich behielt recht. Schon im nächsten Augenblick flatterten ihre Augen, bevor sie sich öffneten. Da George sich gerade umgedreht hatte, um noch irgendwas zu suchen, bemerkte er nicht, wie Alena sich aufsetzte, bis sie zischend die Luft einsog.

»Au!«, hielt sie sich ihren Kopf und versuchte gleichzeitig ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Sofort schoss George zu ihr herum. »Willkommen zurück unter den Lebenden«, grinste er frech. »Du Arsch!«, gab Alena stöhnend von sich. Wobei mich ihre Wortwahl automatisch schmunzeln ließ. Ihre Ausdrucksweise war wirklich tadellos. Nicht! Auch George schien sich prächtig zu amüsieren. »Danke«, nahm er ihre Beleidigung ziemlich locker auf. »Was ist passiert?«, blickte sie ihn forschend an. Mich hatte sie bis jetzt noch nicht bemerkt. Doch das änderte sich schlagartig, als George ihr mit einem Kopfnicken und den Worten: »Das solltest du besser ihn fragen«, auf mich deutete.

Das Mädchen wandte augenblicklich ihren Kopf zu mir und musterte mich eingehend. Vielleicht war das mit der Kapuze doch eine blöde Idee gewesen, da sie ihren Kopf zurück zu ihrem Kollegen drehte. »Ich erinnere mich. Ich bin auf die Straße gerannt und wurde fast von einem LKW über den Haufen gefahren«, stellte sie völlig erschüttert fest. »So hab ich es jedenfalls gehört«, richtete sich der Blick meines Freundes auf mich. Da ich das Gefühl hatte, sie wollte nicht mit mir reden, sei es aus Angst vor mir, meinem Anblick oder was auch immer, zog ich mir meine Kapuze wieder tief ins Gesicht und wandte mich gerade zum Gehen, als mich ihre Stimme innehalten ließ.

»Danke Scott. Ich schätze du hast mir wohl mein kleines, wertloses Leben gerettet«, lachte sie verlegen. Ich atmete einmal tief durch, schloss meine Augen und kniff mir in den Nasenrücken, bevor ich mich schließlich doch wieder zu ihr umdrehte. »Tja. Ich schätze, dass macht man so«, versuchte ich mich an einem möglichst neutralen Ton, um meine kalte, undurchdringliche Fassade aufrechtzuerhalten, wofür ich jedoch von George gleich einen strafenden Blick zugeworfen bekam. Da Alena ebenfalls mit einer anderen Antwort gerechnet hatte, nickte sie nur stumm. Sie sollte sich bloß nichts darauf einbilden, dass ich ihr den Arsch gerettet hatte. Das würde nicht wieder vorkommen.

»Ich lass euch zwei dann mal allein«, verabschiedete George sich knapp von uns, nachdem sein Piepser ein Geräusch von sich gab. »Ich lass dir den Schlüssel da, Alena. Schließ dann bitte ab, bevor du nachhause gehst.« »Und was ist mit Dr. Harrington?«, war sie gerade dabei aufzustehen, als George sie wieder runterdrückte. »Ich sag, dass du krank bist. Du darfst dich hier nur nicht von ihm erwischen lassen. Um den Rest kümmere ich mich«, versicherte er ihr. Nach einem kurzen Nicken von Alena, machte er sich daran den Raum zu verlassen, als er neben mir stoppte. »Und du benimmst dich gefälligst!«, gab er mir einen Klaps auf den Hinterkopf, was mich wütend knurren ließ. »Halt die Klappe«, zischte ich ihn bedrohlich zu. Nach einem letzten kurzen Blickduell verschwand er schließlich aus der Tür.

»Scott?«, klang Alenas Stimme mit einem Mal unsicher. Bestimmt, weil sie jetzt mit mir allein war. »Was?«, kam es genervter als beabsichtigt von mir. Doch die letzten Worte dieses Spinners hatten mich auf die Palme getrieben. »Es tut mir leid!«, flüsterte sie. »Was genau?«, drehte ich mich letztendlich doch wieder zu ihr um. »Das ich, ohne zu gucken, wie ein kleines Kind, auf die Straße gerannt bin. Ich weiß auch nicht, was mit mir im Moment los ist. Meine Gedanken kommen nicht zur Ruhe. Ich hab kaum geschlafen und suche die ganze Zeit verzweifelt nach einer gescheiten Lösung, um Lia und Sam zu helfen«, knetete sie nervös ihre Hände in ihrem Schoß. Ich atmete geschafft aus, trat ein paar Schritte näher an sie heran und ließ mich auf den Hocker neben ihr fallen.

»Worin warst du so vertieft?«, richtete ich meinen Blick ebenfalls auf ihre zarten Hände. »Ich hab nachgelesen, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, damit man ein Kind adoptieren kann«, gab sie kleinlaut zu. »Warum das denn?«, war ich völlig verwirrt. »Ich kann nicht zulassen, dass das Jugendamt Lia und Sam mitnimmt. Wer weiß schon, in welches Kinderheim oder zu welcher Pflegefamilie sie kommen. Vielleicht sind die Personen auch nicht besser als diese Menschenhändler. Und dann werden die beiden im schlimmsten Fall noch auseinandergerissen. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Das geht nicht«, fuhr Alena sich gestresst durch die Haare.

Da ich spürte, wie sie verzweifelt nach meinem Blick suchte, schob ich mir meine Kapuze erneut vom Kopf. »Und zu welcher Lösung bist du gekommen?«, sah ich prüfend zwischen ihren Augen hin und her. Wahrscheinlich um eine Reaktion von ihr, bezüglich meiner Narbe zu bekommen. Doch nichts dergleichen passierte. Alena scannte mein ganzes Gesicht sorgfältig ab, machte aber nicht den Anschein, dass sie mein Aussehen störte. »Das ist ja das blöde. Es gibt keine Lösung für dieses Problem«, raufte sie sich die Haare. Ich sah sie zusammenzucken, griff deshalb nach ihren Armen und zog sie weg von ihrem Kopf auf ihre Beine, wo ich sie, mit meinen Händen um ihre Handgelenke, festhielt. »Es gibt nie keine Lösung. Irgendwas muss es geben«, fing ich unbewusst an mit meinen Daumen über die dünne Haut ihrer Handgelenke zu fahren.
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Auch wenn es schon spät ist, gibt es trotzdem noch ein Kapitel.

Ich hoffe es gefällt euch.😇

A/N: Bei 7 🌟und 5 Kommentaren gibt es wieder ein neues Kapitel.

Und jetzt wünsche ich euch erstmal eine Gute Nacht.😊

Chicago BastardOù les histoires vivent. Découvrez maintenant