Tiefere Magie (1)

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Das Kolleg hält den Atem an.

Die wenigsten Anwesenden werden diese Situation schon mal erlebt haben. Bei einer so verschworenen Gemeinschaft wie den Wächtern kommt es sicher nicht oft vor, dass jemand ausgeschlossen wird. Ich frage mich, was sie erwarten. Donner? Blitze? Eine Erdspalte, die sich in ihrer Mitte auftut und Eleanor verschlingt?

Nichts davon geschieht.

Demetra sitzt einfach da, mit gesenktem Kopf, den Füller noch in der Hand. Sie blickt nicht auf, als sie sagt: „Eleanor. Bitte übergib dein Portalbuch Alumna Constanze. In drei Tagen werden Mo und Lina dich in der Menschenwelt aufsuchen und ins Kolleg bringen. Dann, wenn die beiden uns ihre Entscheidung verkünden, werden wir auch dich noch einmal hören. Es ist deine letzte Chance, uns die Wahrheit zu sagen. Erst danach ist deine Verbannung endgültig. Bis es soweit ist, darfst du deine Wohnung in der Menschenwelt weder verlassen, noch Kontakt zur Außenwelt haben. Brichst du die Regeln, ist deine Chance verwirkt. Nutze die Zeit zum Nachdenken."

Eleanor geht nicht auf ihre Worte ein. „Dann heißt es jetzt wohl packen." Sie dreht sich um die eigene Achse, bis sie alle um Raum einmal angesehen hat. „Ich würde sagen, es war schön mit euch", sagt sie laut, "Aber wir alle haben heute genug Lügen gehört."

Begleitet von ihren Wachen verlässt sie den Raum. Sie würdigt niemand mehr eines Blickes, weder Demetra, noch Mo und mich.

Mo scheint das nicht so gut zu verkraften. Ehe ich mich versehe, ist er aufgesprungen und vor dem Tisch der Alumni getreten. „Meint ihr das jetzt ernst? Ihr schmeißt sie wegen eines Verdachts raus?"

„Es ist mehr als ein Verdacht", sagt Eric genervt. „Sie verheimlicht etwas. Das müsstest sogar du mittlerweile begriffen haben."

„Was, wenn die Zeugen lügen? Haben wir sie hier gehört? Nein! Und selbst wenn? Wen interessiert, was sie im Wald gemacht hat? Vielleicht wollte sie einfach mal für ne Stunde eure Visagen nicht mehr sehen. Reigen ist am Strand gestorben."

„Oder dort platziert worden...", sagte Alumna Constanze leise. „Man geht nicht einfach nachts in den Wald. Außer man-"

„Das denkt ihr?" Mo lacht, aber es wirkt eher wie ein Schnauben. „Wirklich? Eleanor eine Rebellin? Habt ihr sie noch alle?"

„Sie war rebellischen Ansichten immer recht zugetan", sagt Constanze, „und dann ihre aufmüpfige Art...diese latente Abneigung gegen Autorität-"

„Sie hat euch allen den Arsch gerettet!" Mos Worte donnern durch das Kapitel. Wie Eleanor zuvor, wendet er sich dem Publikum zu. „Sie ist da rausgegangen, allein, mitten in einem Rebellenangriff und hat das Kolleg verteidigt!" Er fährt er zu Constanze herum. Seine Augen sprühen Funken. „Während ihr, was gemacht habt? Euch heulend hinter ihrem Rock verstecken? Eleanor hat so viel gegeben, für das hier", er hebt die Arme und lässt den Blick über Wände und Decke gleiten. „das Kolleg, ihr Zuhause. Zu viel, um sie jetzt einfach fortzujagen! Dass Ihr es überhaupt wagt, ihr Ungehorsam vorzuwerfen! Jahrelang hat sie den Mund gehalten, hat alles ertragen, was eure ach so guten Kollegien ihr angetan haben. Jemand schwächeres wäre darunter längst zusammengebrochen." Wieder dreht er sich zur Menge um. Ich habe ihn noch nie so zornig gesehen. „Kein Mensch kommt böse auf die Welt, auch kein Schattenwächter! Aber ihr bestraft uns von unserer Erwählung an für das, was wir sind. Ihr grenzt und aus, sprecht uns jeden Wert ab. Wenn wir Monster sind, dann habt ihr uns erschaffen! Eleanor war stark genug, der Versuchung zu wiederstehen. Zu stark für Rache. Aber ich bin es nicht." Die Zuschauer beginnen zu Tuscheln, doch Mo ist noch nicht fertig. „Denkt ihr, nur weil ich lache und Witze reiße, bin ich besser als Eleanor? Der harmlose Clown war meine Überlebensstrategie! Wollt ihr wissen, was ich wirklich denke?" Er ballt beide Hände zu Fäusten. „Wenn ich könnte, würde ich in der Zeit zurückreisen und verhindern, dass sie euch rettet! Dass sie ihr Leben aufs Spiel setzt, für feiges Pack wie euch! Ich würde liebend gerne sehen, wie die Rebellen dieses Haus überrennen. Egal, wie sie über Fabelreich herrschen: es kann nur besser werden!"

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